Ängstlich in einem Boot

Von Redaktion · · 2008/11

Nach den schweren Unruhen Anfang des Jahres regiert in Kenia seit einem halben Jahr eine große Koalition. Doch eine Aufarbeitung der Krise und wirkliche Veränderungen bleiben aus. Marc Engelhardt aus Nairobi

Wenn Kenias Außenminister Moses Wetangula über Samuel Kivuitu spricht, den Chef der Kenianischen Wahlkommission, gerät er leicht in Rage. Dabei richtet sich sein Ärger nicht etwa gegen Kivuitu selbst, obwohl es die mehr als mangelhafte Organisation der Präsidentenwahl vom 27. Dezember 2007 unmöglich machte, den Sieger zu bestimmen. Dies stellte eine Wahrheitskommission unter Vorsitz des südafrikanischen Richters Johann Kriegler unlängst fest. Sie ist Teil des Friedenspakets, mit dem der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan Ende Februar die auf die Wahlen folgende Gewalt beendet hat, die mehr als 1.000 Menschen das Leben gekostet hatte. Krieglers Ende September vorgestellter Untersuchungsbericht ist das Ergebnis von hunderten Interviews mit AugenzeugInnen und Protagonisten der schlimmsten politischen Krise in Kenia nach der Unabhängigkeit. Und er schreit geradezu nach der Entlassung der Verantwortlichen. Doch bislang hat niemand seinen Hut genommen.
„Unsere Wahlen waren schlechter organisiert als eine spontane Teeparty im Affenstall“, wettert einer von Kenias bedeutendsten Kolumnisten, der Ökonom Sunny Bhindra. Die Wahlkommission sei „eine Organisation mit pompösen Windbeuteln an der Spitze und ebenso ahnungslosen wie unerfahrenen Angestellten an der Basis“. Doch solche Kritik perlt an Wetangula ab. Was ihn wirklich empöre, so ließ er die Presse jüngst wissen, sei der Druck, den europäische Nationen auf die Wahlkommission ausübten. „Ich rege mich darüber auf, dass einige Botschafter Kivuitu zum Rücktritt auffordern“, gab der Minister zu Protokoll. „Das ist eine Frage von Kenias Souveränität.“
Wetangula ist ein Symbol dafür, wie in Kenia ein halbes Jahr nach der Einigung auf eine große Koalition Politik gemacht wird. Der neu ernannte Premierminister Raila Odinga erledigt öffentlichkeitswirksam die Tagespolitik, der alte und neue Präsident Mwai Kibaki zieht die Fäden im Hintergrund. Seit ihrer in der Öffentlichkeit bejubelten Einigung mit Handschlag haben beide kein kritisches Wort übereinander verloren. So halten es auch die fast 100 Minister, Vizeminister und Staatssekretäre – Männer und Frauen -, die an der Spitze einer der am meisten aufgeblähten Regierungen Afrikas stehen. Der Blick geht starr nach vorne – eine Aufarbeitung der von Regierenden in beiden Lagern geschürten ethnischen Gewalt findet nicht statt. Glaubt man Regierungssprecher Alfred Mutua, ist in Kenia längst wieder alles im Lot. Doch während das für die politische Elite stimmen mag – ihr geht es vermutlich sogar besser als zuvor – befinden sich weite Teile des einstigen Urlaubsparadieses noch im Ausnahmezustand.

Gekämpft wird zwar nicht mehr, aber die Menschen im Rift Valley leben immer noch in Angst vor ihren Nachbarn. „Meine Farm ist dort drüben, ein Hektar Land und ein einfaches Farmhaus. Aber es ist alles niedergebrannt und ich traue mich nicht zurück“, klagt etwa Jackson Ogero, ein 60-jähriger Vater von acht Kindern, der eine gute Stunde vom Highway entfernt lebt, der Nairobi mit Uganda verbindet. Mit seiner Frau, zwei Kindern und drei Enkelkindern teilt er sich ein Zelt des UN-Flüchtlingshilfswerks aus durchscheinendem weißen Plastik. Ogero ist wie Präsident Kibaki ein Kikuyu, und hier im Rift Valley ist seine Ethnie in der Minderheit. Die Kalenjin, die die Mehrheit stellen, verhindern, dass die Ogeros auf ihr Land zurück kehren. „Die Regierung hat uns Hilfe beim Wiederaufbau versprochen, aber wir haben nichts bekommen“, erzählt der Vertriebene.
Wenn es nach dem Kalenjin Joel Korir geht, sollen die Vertriebenen abhauen, dorthin, wo sie hergekommen sind. „Man kann nicht mit denen zusammen leben, die dir dein Eigentum nehmen. Es ist gut, wenn sie gehen.“ Dass Ogeros Familie schon in dritter Generation hier lebt, macht für Korir keinen Unterschied. Land ist knapp in Kenia, und wer es hat, gibt es nicht mehr her. Eine Landreform ist eine der größten Herausforderungen, der sich die Koalition stellen müsste – doch bislang hat sie dazu keine Anstalten gemacht. Auch die Verfassungsreform, die den Premierminister mit mehr Vollmachten ausstatten würde, kommt nicht voran. Stattdessen mehren sich die Vorwürfe, die ParlamentarierInnen seien wie ihre Vorgänger primär damit beschäftigt, sich selbst zu bereichern. Die Chancen sind so gut wie nie: Weil eine große Koalition regiert, gibt es keine parlamentarische Opposition. Die Zivilgesellschaft ist kaum mehr präsent.

Von einer Art politischem Blankoscheck spricht einer der größten Kritiker der politischen Klasse Kenias, Kibakis ehemaliger Anti-Korruptionsbeauftragter John Githongo (siehe SWM 5/2005, S. 19). Um neue Gewalt zu verhindern, die wieder vor allem die Ärmsten auf dem Land und in den Slums treffen würde, seien die meisten KenianerInnen bereit, alles zu ertragen. „Das Motto lautet: Bloß den Frieden wahren“, meint Githongo, der nach drei Jahren im selbst gewählten Exil kürzlich zum ersten Mal nach Kenia zurück gekehrt ist. „Um die Gewalt zu beenden, hat man alle in ein Boot gepackt. Aber in diesem Boot beäugen sich alle noch genauso ängstlich wie zuvor.“ In diesem Klima den einen oder anderen Kapitän der Korruption zu bezichtigen, so fürchtet Githongo, könnte das Schiff kentern lassen.
Deshalb hält sich der einst so wortgewaltige Volkstribun, der selbst von seinen KritikerInnen als loyal und ehrlich beschrieben wird, zurück. 2005 ließ er Kibaki per Radiointerview aus London wissen, er werde aus Angst um sein Leben seinen mit Sondervollmachten ausgestatteten Ministerposten für ethische Fragen und gute Regierungsführung quittieren. Jetzt gibt er sich versöhnlich. „Wir können nur nach vorne schauen, wenn wir die Vergangenheit hinter uns lassen“, begründet Githongo seine Forderung nach einer Amnestie für vergangene Korruptionsdelikte. Freilich, er knüpft daran Bedingungen: „Die Verantwortlichen müssen sich stellen, öffentlich ihre Taten bekennen und das unterschlagene Geld zurückzahlen.“ Auch von öffentlichen Ämtern sollen diejenigen, die sich selbst bezichtigen, ausgeschlossen werden. Doch auf diese entscheidenden Details ging Kenias Justizministerin Martha Karua nicht ein, als sie ankündigte, eine Generalamnestie per Gesetz sei in Vorbereitung.

Seit Monaten ringt die große Koalition mit ihrem ersten Korruptionsskandal. Mehrere Minister sollen am Verkauf eines Top-Hotels kräftig mitverdient haben. Finanzminister Amos Kimunya, einer der engsten Vertrauten Kibakis, musste zurücktreten. Doch fast alle in Kenia sind sich sicher, dass Kimunya wie so viele andere unter Korruptionsverdacht stehende Politiker ins Kabinett zurückkehren wird.
Entscheidend für den Erfolg der Koalition, so glaubt Githongo, ist ohnehin nur eines: Die Harmonie der beiden Männer an der Spitze. Und die scheint garantiert. Während in Kibakis Parteienbündnis schon offen über die Nachfolge des 77-Jährigen bei den Wahlen 2012 gestritten wird, ist Odinga einer der wenigen, die in der Öffentlichkeit unerschütterlich zu Kibaki stehen. Politisch garantiert dies Stabilität. Doch ob sich das Leben der KenianerInnen jenseits von Nairobis Regierungsviertel durch die Einheitsregierung verbessern wird, ist mehr als ungewiss.

Marc Engelhardt lebt seit 2003 in Kenia und arbeitet von dort als freier Afrika-Korrespondent u.a. für die Tageszeitung Der Standard.
Kontakt über www.oneplanetmedia.de

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