Ärger im Paradies

Von Dario Azzellini · · 2004/09

Eine interozeanische Bahnstrecke – der „trockene Kanal“ – von der Atlantik- zur Pazifikküste Nicaraguas mit parallel laufender Pipeline würde die beschauliche Ruhe in der südlichen Karibikregion mit einem Schlag zerstören.

Monkey Point und Umgebung wirken wie ein kleines Paradies. Still liegt das Wasser in der großen und tiefen Bucht der nicaraguanischen Karibikküste. Am Strand zeichnen unzählige Kokospalmen ihre Silhouette in den Himmel. Die Idylle der kleinen Dorfgemeinschaft von Creoles und die der Nachbardörfer der Rama-Indianer ist allerdings getrübt. Die Pläne für den Bau einer Güterzugverbindung zwischen Atlantik und Pazifik sehen vor, in Monkey Point einen Tiefseehafen zu bauen.
An die Karibikküste Nicaraguas führen keine Straßen. Bluefields, die Hauptstadt der „Autonomen Region Atlantik-Süd“, erreicht man am besten mit dem Flugzeug. Fast zwei Stunden dauert es dann noch in einem Boot mit einem 75-PS-Außenbordmotor von Bluefields nach Monkey Point.
Vor einigen Jahren noch wohnten hier nur Creoles, wie die schwarze Karibikbevölkerung genannt wird. In der letzten Zeit haben sich auch einige Mestizen angesiedelt. Die EinwohnerInnen leben vom Fischen und vom Jagen; auf dem Markt in Bluefields bieten sie ihre Beute feil: Shrimps, Haifische und Wildschweine. Auch etwas Ackerbau wird betrieben.
Da es keinen Strom gibt, sitzen die meisten EinwohnerInnen abends zusammen und erzählen sich Geschichten und Erlebnisse. Miss Pearl Watson und Miss Bernice Duncan geben den Jüngeren die Geschichte von Monkey Point weiter und erzählen von ihrem Leben, während eine Myriade von Sternen am tiefschwarzen Nachthimmel leuchtet und unzählige Insekten und nachtaktive Tiere ein beeindruckendes Konzert anstimmen. Spätestens um 23 Uhr sind in der Regel alle im Bett. Das Konzert hingegen setzt sich bis zum Regen fort, der pünktlich jede Nacht die Regentonnen füllt und für Trinkwasser sorgt.

Mittlerweile reden die Menschen in Monkey Point aber immer häufiger vom „trockenen Kanal”, einer Bahnstrecke, über die pausenlos Containerzüge zwischen Atlantik und Pazifik pendeln sollen. Und obwohl in Monkey Point alle karibisches Englisch sprechen, benutzen sie den spanischen Begriff „canal seco“, wie die Verbindung in Nicaragua genannt wird. Zwei Konsortien konkurrieren um den Zuschlag für den Bau. In dem einen Konsortium sitzen, nicht ganz zufällig, ein Sohn – Enrique Bolaños Jr., Repräsentant des Saatgut- und Gentechnik-Multis Monsanto – und ein Neffe des nicaraguanischen Präsidenten.
Ersteres Projekt sieht den Bau eines 377 km langen und 500 m breiten Korridors für eine interozeanische Hochgeschwindigkeitsbahn zwischen Monkey Point und Rivas an der Pazifikküste sowie zweier Containerhäfen mit tiefen Gewässern vor. In zweistöckigen Waggons sollen täglich Tausende von Warencontainern von Hafen zu Hafen transportiert werden. Das zweite Projekt hat einen ähnlichen Verlauf, nur am Pazifik unterscheiden sich die Pläne, wodurch diese Strecke gut hundert Kilometer länger wäre. Die veranschlagten Baukosten liegen zwischen 1,6 und 2,6 Mrd. US-Dollar.
Beide Projekte sehen die Bucht von Monkey Point als Startpunkt vor, denn mit ihrer enormen Wassertiefe ist sie der größte natürliche Hafen der Atlantikküste. Und als ob dies nicht Bedrohung genug für die BewohnerInnen der Region wäre, meldete sich Mitte 2002 noch ein Joint Venture, das eine Öl-Pipeline entlang der gleichen Strecke verlegen will.
„Die Leute hier wollen keinen Canal Seco und auch keine Pipeline”, so Miss Pearl Watson aus Monkey Point, eine robuste und sympathische Dame Ende 40. Sie sitzt auch als Vertreterin der Creoles in der „Multisektoralen Kommission” der nicaraguanischen Nationalversammlung zur Evaluierung der Machbarkeitsstudien, doch teilt sie sich ihre Stimme mit einem Vertreter der Rama, und so haben sie angesichts der 14 Repräsentanten der Regierung nicht viel Gewicht. Miss Bernice Duncan hingegen ist die Bürgermeisterin des Dorfes. Es sind vor allem Frauen, die sich um das Schicksal von Monkey Point kümmern.

Als 1979 die sandinistische Revolution gegen Diktator Somoza triumphierte, wollten sich die BewohnerInnen Monkey Points „aus allem heraus halten”, doch ab 1981 zog der Krieg auch in ihr Dorf. Sie waren einerseits Ziel der US-finanzierten Contras, die Monkey Point immer wieder überfielen, andererseits wurden viele von ihnen von den Sandinisten der Kollaboration mit der Contra verdächtigt. Viele flüchteten nach Bluefields oder sogar nach Costa Rica, so wie der Creole Pinto, heute Mitte dreißig. Er arbeitete dort drei Jahre lang in einem Hafen und weiß daher genau, was die Verwirklichung des Megaprojekts bedeuten würde. „Die Investoren sagen, wir könnten unsere Häuser und unser Land behalten, aber ich glaube ihnen nicht, das kann nicht sein. Mein Haus ist 100 Meter vom Strand entfernt. Das kann dort nicht bleiben, wenn hier ein Hafen gebaut wird, in und um den 20.000 Menschen arbeiten sollen.“
Entlang der Strecke sind außerdem Freihandelszonen, die Ausbeutung von Naturressourcen, Erdölförderung und
-raffinerien sowie ein Ausbau des Tourismus geplant. Siedlungen würden wachsen und die bisher relativ unberührten Gebiete schnell verschwinden.
Eigentlich gehört das historisch genutzte Land gemäß der geltenden Autonomie für die beiden Atlantikregionen Nord und Süd den Gemeinden. Sie bekamen noch unter der sandinistischen Regierung 1988 ein Autonomiestatut, das auch den Krieg an der Küste beendete. Doch nach Abwahl der FSLN 1990 kümmerte sich keine Zentralregierung mehr um das Autonomiestatut. Auch der aktuelle Präsident Nicaraguas, Enrique Bolaños, verpflichtete sich während seiner Wahlkampagne, die Autonomie gesetzlich zu reglementieren, doch nachdem er im Januar 2002 das Präsidentenamt übernommen hatte, blieben die Versprechen unerfüllt.

Die Gemeinden bestehen auf einer kollektiven Landvergabe und der Unveräußerlichkeit des Landes. So wurde es in Monkey Point gehandhabt, so lange sich die Gemeinde erinnern kann. „Es wohnen einige arme Mestizenfamilien hier, wir haben ihnen Land gegeben, um es zu bebauen. Doch wir haben ihnen auch gesagt, dass sie es nicht verkaufen können. Wenn sie weg gehen wollen, müssen sie es der Gemeinde zurückgeben”, berichtet Miss Duncan. Die Regierung zieht es hingegen vor, persönliche Landtitel zu vergeben.
Pinto stellt rückblickend fest: „Daniel” – gemeint ist Daniel Ortega, Sandinist und Präsident Nicaraguas bis 1990 – „hat zwar im Krieg Menschen umbringen lassen, aber er hat alles an die Armen verteilt. Alemán (Präsident von 1996 bis 2002; Anm.d.Red.) hat nur Leute umgebracht, weil es keine Medizin, keine Ärzte, kein Essen mehr gibt, aber er hat niemandem geholfen und nur sich selbst bereichert.” Nachdem die Sandinisten 1990 abgewählt wurden, zog die neue konservative Regierung den Arzt, die Lehrer und die Polizei aus Monkey Point ab, Schule und Krankenstation wurden geschlossen.
Miss Duncan, die als Kandidatin von Alemáns Liberalen Bürgermeisterin wurde, hat den letzten Glauben an die Partei verloren. Der Ex-Präsident war Ende des Vorjahres wegen Unterschlagung in zweistelliger Millionenhöhe zu 20 Jahren Haft verurteilt worden.

Punta Aguila ist ein Rama-Dorf an der Karibikküste. Die Häuser sind wie in Monkey Point auf Pfählen gebaut, aber sie liegen weiter auseinander und ihre Dächer bestehen nicht aus Wellblech, sondern Palmwedeln. Die Rama sind sehr ruhig und zurückhaltend. Viele führen alte Traditionen weiter, so lassen sie beispielsweise nie ihr Feuer ausgehen, obwohl sie heute natürlich alle über Feuerzeuge und Streichhölzer verfügen. Einige Mestizen und Miskito-IndianerInnen leben einträchtig mit den Rama zusammen. Sie bekamen von ihnen Land, um ihre Häuser zu bauen und etwas zu pflanzen. Wer bereit ist, wie sie zu leben, ist bei den Rama willkommen, ganz gleich wie er aussieht und woher er kommt.
Aus dem Landesinneren bewegen sich jedoch Siedler, Holzfäller, Viehzüchter und Spekulanten immer näher an die Ländereien der Rama heran. Auch von Seiten der Kokainschmuggler, die die Karibikküste Nicaraguas als Etappe auf dem Weg in den Norden nutzen, droht den Gemeinden Gefahr.
Mitte 2003 besuchte eine Delegation aus China Nicaragua und stellte in Aussicht, unter Nutzung vorhandener Flüsse und des riesigen Nicaraguasees eine mit zahlreichen Schleusen versehene Wasserstraße zu bauen, die um ein vielfaches größer und tiefer wäre als der Panamakanal. Das wäre mit Sicherheit die zerstörerischste Variante für die Atlantikküste, und es ist wohl auch die unwahrscheinlichste. Doch zugleich ist es der Traum aller parlamentarischen Kräfte Nicaraguas. Sandinisten, Konservative und die rechten Liberalen hatten in ihrem Größenwahn schon vor Jahren eine Parlamentskommission ins Leben gerufen, um den Bau eines „Gran Canal” zu fördern.

Kaum diskutiert wird hingegen die ökologisch vernünftigste und billigste Variante, beide Ozeane zu verbinden: Der so genannte „Öko-Kanal”, ein britisches Projekt, sieht die Nutzung des im Süden, an der Grenze zu Costa Rica, verlaufenden Rio San Juan vor. Zum Container-Transport sollen Flachschiffe mit sehr geringem Tiefgang benutzt werden, die mit Bio-Diesel betrieben werden. Im Fluss müsste auf seiner gesamten Länge eine Fahrrinne für die Flachschiffe ausgehoben werden, die die Strecke von San Juan del Norte, an der Karibikmündung des Flusses, bis Granada am Nicaraguasee in zwei Tagen zurücklegen würden. Von und nach Granada würde die Fracht auf der Straße transportiert werden. Die Kosten beliefen sich schätzungsweise auf 50 bis 85 Millionen US-Dollar.
Die Natur der Atlantikküste Nicaraguas, das größte zusammenhängende Urwaldgebiet Zentralamerikas, bliebe so erhalten. Und umfangreiche Investitionen im Ökotourismussektor, die sicher geringer wären als die einer Wasserstraße oder Containerzugverbindung, würden wohl mehr einbringen. Costa Rica erwirtschaftet immerhin jährlich 400 Millionen US-Dollar aus dem Tourismussektor. Aus diesem Grund lehnt Costa Rica ja auch die Realisierung einer interozeanischen Verbindung im eigenen Land strikt ab. Nicaragua verfügt über weitaus intaktere und großflächigere Naturlandschaften als der südliche Nachbar. Bis jetzt noch.

Der Autor lebt und arbeitet als Journalist, Buchautor und Filmemacher in Berlin und kennt Lateinamerika von zahlreichen Reisen. Zuletzt erschienen „Unternehmen Krieg“ (s. Rezension SWM 12/03).

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