Afrika im Kopf

Von Michaela Krimmer · · 2010/04

Österreich ist vielfältiger geworden. Viele Menschen mit afrikanischen Wurzeln sind hier zu Hause – und führen ein ganz normales Leben. Die Frage ist: Sind unsere Köpfe schon in der Realität angekommen?

Viele AfrikanerInnen in Österreich kommen sich wie Papageien vor. Seit zehn Jahren geben sie die gleichen Kommentare zu "Meinl-Mohr", Stereotypen von afrikanischen Drogendealern & Co. ab. Seit drei Jahren weigert sich deshalb der Kameruner Simon Inou über Afrika zu reden, obwohl oder gerade weil ihn die Medien gerne um seine Meinung bitten, wenn es darum geht, wie Österreich seine schwarzen BürgerInnen sieht und darstellt. Mit der Gründung von M-Media, einer Organisation, die anstrebt, MigrantInnen in die großen Medien einzubinden und der jährlichen Medien.Messe.Migration ist Inou quasi zu einer Instanz im Land geworden, wenn es um migrantische Selbstbestimmung und eine differenzierte Darstellung von MigrantInnen geht. "Für die Fußball-WM in Südafrika werde ich wohl eine Ausnahme machen und wieder über Afrika reden", sagt Inou schmunzelnd. Schließlich bietet das Sportgroßereignis die Möglichkeit, vermehrt auf den ganzen Kontinent zu blicken und erneut zu hinterfragen, welches Bild von Afrika in unseren Köpfen herrscht.

"Die Ke Nako Initiative ist ein sehr gutes Projekt", analysiert Inou eine Kampagne, die während und im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft ein vielfältiges und realistisches Bild Afrikas in der Öffentlichkeit etablieren möchte (siehe Kasten Seite 29). Aus gutem Grund: "Die verqueren Bilder zu Afrika scheinen hierzulande noch unverändert in den Köpfen herumzugeistern", meint der Nigerianer Chibueze Udeani, Direktor des Instituts für Caritaswissenschaften an der katholisch-theologischen Privatuniversität Linz. Er leitet Workshops zu interkultureller Kommunikation. "Ich will niemanden belehren, wie man Afrika ‚richtig' sehen muss", sagt er. "Ich schaffe neue Begegnungsmöglichkeiten." Um sich tatsächlich auf einen anderen Menschen einlassen zu können, müssen die eigenen Bilder im Kopf hinterfragt werden: Wieso glaube ich, dass AfrikanerInnen faul sind; wieso glaube ich, dass Schwarze aggressiv sind? Um nur ein paar der gängigsten Klischees zu erwähnen. "Die eigenen Vorurteile zu erkennen, ist wie die Befreiung von einem Zwang", erklärt Udeani. "Du befreist dich aus einem Gefängnis – und dein Gegenüber."

Eine der gängigsten Verallgemeinerungen in Österreich ist das Bild des afrikanischen, vor allem nigerianischen Drogendealers. Die Drogendealer gibt es – keine Frage. Doch als die Kronen-Zeitung plötzlich mit "1.000 Nigerianer überfluten Österreich mit Drogen" titelte, brannte sich ein Bild in die österreichische Bevölkerung ein, das nur noch schwer weg zu bekommen ist.

Doch Afrika ist groß. 53 Länder, 2.000 Sprachen, 1 Milliarde EinwohnerInnen. Allein diese drei Zahlen machen deutlich, dass es "das Afrika" und "den Afrikaner", wie er in unseren Köpfen herrscht, nicht geben kann. Der Reporter Ryszard Kapuscinski schrieb: "Dieser Kontinent ist zu groß, als dass man ihn beschreiben könnte. Wir sprechen nur der Einfachheit, der Bequemlichkeit halber von Afrika. In Wirklichkeit gibt es dieses Afrika gar nicht, außer als geografischen Begriff."

"In den Medien hat sich viel getan", gibt sich Simon Inou optimistisch. Das Bild des nigerianischen Drogendealers ist seiner Meinung nach fast ganz aus den Medien verschwunden. Inou ist überzeugt, dass das auf die intensive Aufklärungsarbeit des letzten Jahrzehnts zurückzuführen ist. Oder ist dieses Bild schon so stark in unseren Köpfen verankert, dass es als Zeitungsmeldung nicht mehr aufhorchen ließe? Ende Februar brandmarkte FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky alle Nigerianer in Österreich als Drogendealer – öffentlich in der ORF-Diskussionssendung "Im Zentrum". Alexis Nshimyimana Neuberg, Obmann der Afrika Vernetzungsplattform wird Klage einreichen. Die kürzlich entstandene Plattform versucht, möglichst alle afrikanischen Organisationen und Verbände zu vereinen. Ein Projekt, das viel Mühe und Hingabe erfordert, ob der gewaltigen Vielfalt, die es da unter einen Hut zu bringen gilt. Die Stimme von schwarzen Menschen in Österreich wird es weiter stärken.

Simon Inou sieht gerade in den Qualitätsmedien eine verstärkte Repräsentation von schwarzen BürgerInnen: "Wir kommen oft zu Wort." Bestes Beispiel: Im September letzten Jahres porträtierte die Stadtzeitung Falter Simon Inou, kurz zuvor zierte die nigerianisch-österreichische Aktivistin gegen Frauenhandel und Buchautorin Joana Adesuwa-Reiterer das Cover des Falters.

"Dass ein Falter- oder auch Südwind-Leser ein anderes Bild von Afrika hat als ein Krone-Leser ist klar", sagt Inou. Die Krone-LeserInnen werden von den Aktionen und Bildungskampagnen der afrikanischen Community kaum erreicht. Doch selbst Medien, die sich um ein differenziertes Afrika-Bild bemühen wie das Südwind Magazin, sind nicht kritiklos zu sehen. Ein Beispiel: Ein Foto, das kommentarlos die traditionellen Sternsinger der Dreikönigsaktion zeigt, im letzten Südwind Magazin (SWM 03/10). Einer der Jugendlichen ist als Caspar schwarz angemalt. Ein netter Brauch, der belächelt wird. Nicht so von Simon Inou: "Schwarze müssen von Schwarzen repräsentiert werden." Genauso wie bei dem Theaterstück Othello, das zur Zeit im Theater an der Wien aufgeführt wird. Othello ist dort ein Weißer – der sich schwarz anmalt.
 

Afrika jetzt!
"Ke Nako" heißt auf Sotho (Sprachengruppe im südlichen Afrika)
"Es ist Zeit".

Es ist Zeit für ein neues, positives und differenziertes Bild von Afrika in Österreich – unter diesem Motto fördert die Österreichische Entwicklungszusammenarbeit im zeitlichen Vor- und Umfeld der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika eine groß angelegte Initiative mit dem Titel Ke Nako Afrika – Afrika jetzt!
Die Initiative umfasst eine umfangreiche Veranstaltungs- und Aktionsreihe für alle Altersgruppen in ganz Österreich. Sie wird bis zum Ende der Fußball-WM die Vielfalt des afrikanischen Kontinents aufzeigen und dabei das gängige Afrika-Bild hinterfragen und erweitern.
Koordiniert wird die Initiative vom Wiener Institut für internationalen Dialog und Zusammenarbeit (vidc) und der Afrika Vernetzungsplattform in Zusammenarbeit mit der Austrian Development Agency.

Eine tagesaktuelle Übersicht über das vielfältige Programm (Theater, Filme, Workshops, Medienprojekte, Schulprogramme, Musik u.v.a.m) findet sich auf www.kenako.at


Mit solchen Meinungen handelt sich Inou fast täglich rassistische Beschimpfungen ein. Selbst in der U-Bahn wird er von Fahrgästen erkannt: "He, das ist doch der, der will, dass wir nicht mehr Mohr im Hemd sagen."

Doch: Selbstmitleid bringt nichts. Darüber sind sich viele AfrikanerInnen in Österreich einig. Es sei wichtig, dass Menschen schwarzer Hautfarbe teilnehmen, partizipieren am Leben in Österreich, findet Chibueze Udeani. Und wie, das müsse jeder für sich selbst lösen. "Der Mensch ist ein politisches Wesen", sagt er. Jeder hat seine Möglichkeiten in seinem Umfeld.

Die österreichische Politik ist noch wenig von MigrantInnen geprägt, und noch weniger von afrikanischen MigrantInnen. Die gebürtige Kamerunerin Beatrice Achaleke kandidierte 2008 für die Grüne Bundesliste – wurde aber nicht gewählt. Sie ist Obfrau von AFRA, dem Wiener International Center for Black Women's Perspectives und Mitinitiatorin von Blackaustria. Diese Kampagne fordert, BürgerInnen schwarzer Hautfarbe als das wahrzunehmen, was sie sind: ganz normale Menschen. 2007 plakatierte die Kampagne Bilder von Schwarzen mit Sprüchen, die klassische Vorurteile untermalen. "Ich dreh ständig ein Ding" steht neben dem schwarzen Filmemacher. "Ich hab´s auf deine Kinder abgesehen", sagt die schwarze Tagesmutter. Mit dem "Leiberltausch" 2008 sorgten sie wieder für Aufsehen. T-Shirts mit Sprüchen wurden unter die Leute gebracht, wie: "Scheinehefrau", um auf die schwierige Situation von bikulturellen Paaren aufmerksam zu machen, denen oft unterstellt wird, dass sie nur der Papiere wegen heiraten. Auf einem weiteren Plakat hat der ehemalige Fußballstar Herbert Prohaska ein T-Shirt an, auf dem "Sozialschmarotzer" steht. Daneben der Spruch: "Wäre ich schwarz, hätte ich kein Leiberl."

"Im Augenblick schläft die Kampagne", erklärt Inou, neben Achaleke für die Kampagne verantwortlich. Das will heißen: Es fehlt an Geld. Auf der Homepage von Blackaustria steht: "Der erste schwarze US-Präsident der Geschichte wurde angelobt. In Österreich erzählt ein Landeshauptmann ‚Negerwitze'. Schade, dass Blackaustria gerade in Zeiten wie diesen aufgeben muss." Schade.

"Die Politik ist eher bis sehr zurückhaltend in ihren Bestrebungen, Afrika in seiner Vielfalt ins Bewusstsein Österreichs zu holen", sagt Walter Sauer, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien und Vorsitzender des Dokumentations- und Kooperationszentrums Südliches Afrika (SADOCC) in Wien. Nicht nur stellt sich die Politik in vielen Belangen quer, um Afrika differenzierter zu sehen, oft wird das auch nicht gewollt. Anfang der 1990er Jahre wurde das Wort "Neger" im amtlichen und behördlichen Gebrauch verboten. Der Politiker Jörg Haider griff das Wort Buschneger kurz darauf ganz bewusst wieder auf, um gängige Klischees wachzurufen und Feindbilder und Angst zu schüren.

Eines der Hobbies von Walter Sauer ist es, die Stadt Wien zu animieren, Straßen nach afrikanischen Persönlichkeiten zu benennen. Erster Vorschlag: Nelson-Mandela-Straße. Antwort der Stadt Wien: Nur Namen von toten Berühmtheiten könnten aufgenommen werden. Zweiter Vorschlag: Leopold Senghor-Straße – ehemals senegalesischer Präsident und Mitbegründer der Négritude – und Julius Nyerere-Straße – ehemals tansanischer, sehr sozial geprägter Präsident. Antwort der Stadt Wien: Diese Namen sind zu kompliziert. "Das wäre so eine einfache Art, etwas Afrikanisches auf differenzierte Weise in die Öffentlichkeit zu holen", meint Sauer. "Neben dem Straßennamen hängt man ein kleines Schild auf, wer das war und was er tat. Wunderbar!"

Walter Sauer ist trotz der Rückschläge überzeugt, dass sich in den letzten zehn Jahren etwas im Bewusstsein Österreichs verändert hat. Allein dass es so viele Initiativen, Workshops und Kampagnen gibt, ist ein Zeichen von Veränderung.

Dabei war das Bild von Afrika nicht immer so negativ. Im Mittelalter wurde Afrika sehr positiv gesehen, fast schon als Paradies auf Erden. Der entscheidende Wendepunkt kam mit dem Kolonialismus, dessen Ideologie in Österreich verspätet im 19. Jahrhundert eintraf. Mit der europäischen Unterjochung großer Teile des afrikanischen Kontinents ging die Ideologie der Abwertung seiner BewohnerInnen einher. Historisch gesehen ist das negative Afrika-Bild in Österreich also eigentlich relativ jung: 150 Jahre.

Doch das negative Afrika-Bild wird auch von denen weitergeführt, die eigentlich nur das Beste im Sinn haben für den afrikanischen Kontinent: Nichtregierungs- und Hilfsorganisationen (NGOs). Um Spenden lukrieren zu können, plakatieren Caritas & Co. Bilder, die die Herzen und Geldbörsen öffnen sollen: schwarze Kinder mit traurigen Augen oder Mütter, die ihre Kinder nicht ernähren können. Hartnäckig wird das Bild verbreitet: Ohne uns geht der Kontinent unter. Gerade religiös motivierte Medien neigen dazu, das Bild von einem armen, hilflosen Afrika immer wieder neu zu zeichnen.

Das neue Plakat der Hilfsorganisation CARE überraschte in dieser Flut von afrikanischen Kinderköpfen auf Plakatwänden – gerade zur Weihnachtszeit. Darauf zu sehen ist eine schwarze Frau, in safrangelben Stoff gehüllt, die fest in die Kamera schaut. "I am powerful" steht darauf, und "Sie hat die Kraft, ihre Welt zu verändern. Du hast die Chance, sie dabei zu unterstützen." "Dieses Plakat zielt nicht auf Spenden ab", sagt Angelika Rädler, Pressesprecherin von CARE Österreich. Es ist vielmehr eine Image- und Bildungskampagne, um das arme, schwache Afrika aus unseren Köpfen zu verbannen. "Um Spenden zu lukrieren, muss man – leider – die üblichen Bilder verwenden", sagt Rädler.
 

Die Bilder von Harald Hund auf den folgenden zehn Thema-Seiten entstanden auf einer Recherchereise durch Südafrika im Dezember 2009. Ein halbes Jahr vor Beginn der ersten Fußball-WM auf dem afrikanischen Kontinent traf das Team von name*it-medienbüro auf Vertreter von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Musiker und Künstler – Männer und Frauen – im Raum von Johannesburg. Mit nahezu acht Millionen EinwohnerInnen wurde die größte Metropolregion im südlichen Afrika zum Sinnbild für Aufstieg, Wandel und Wohlstand, aber auch für die immensen Gegensätze des Post-Apartheid-Staates. Ab Anfang April können Sie Reportagen zu politischen, sozialen und kulturellen Themen aus Südafrika auf der
Website www.kaptransmissions.org verfolgen.


Doch NGOs pauschal als Übeltäter abzutun, wäre zu kurzsichtig. Viele NGOs haben sich dem Leitsatz "Hilfe zur Selbsthilfe" verpflichtet. CARE zum Beispiel unterstützt Projekte vor Ort, entsendet jedoch keine MitarbeiterInnen für Einsätze oder – wie im Fall der Erdbebenkatastrophe vor kurzem in Haiti – schickt keine HelferInnen, sondern greift auf einheimische MitarbeiterInnen vor Ort zurück. "Doch das ist genau, was die Medien nicht wollen", sagt Rädler. "Die wollen das Bild vom blonden Engel, der die schwarzen Kinder rettet." In diesem Dilemma sind viele NGOs gefangen: SpenderInnen und auch Medien haben oft eine veraltete Meinung, wie Entwicklungszusammenarbeit funktioniert – und daran halten sie fest: Die berühmte Katze, die sich in den eigenen Schwanz beißt.

Dazu kommt das Wesen der Medien: "Good news are bad news." Über positive Entwicklungen in afrikanischen Ländern wird kaum berichtet. Vom funktionierenden Mikrokreditsystem, das vielen kenianischen Frauen ein Einkommen gesichert hat, von den afrikanischen Musterstaaten, wie Benin, Mauritius oder Botswana oder von der friedlichen Absetzung des Militärregimes in Guinea, in dem jetzt VertreterInnen der Zivilgesellschaft regieren, hört man kaum etwas – um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Die Initiative Ke Nako wird in den nächsten Monaten versuchen, auch diese Seiten Afrikas an die Öffentlichkeit zu bringen. Über 200 Veranstaltungen finden im Vorfeld und während der Fußball-WM statt. Aufgabe ist es, dabei nicht ein unrealistisch positives Bild von Afrika zu zeichnen sondern ein möglichst vielfältiges Bild. In Afrika gibt es alles: Positives wie Negatives. Langweiliges wie Aufregendes. Schönes wie Hässliches. Und alles, was dazwischen liegt. Jedes einzelne Land ist es wert, dass man sich ein Bild davon macht und hinschaut. Doch die Sorge, die viele bezüglich der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika haben, kann auch für die Ke Nako-Initiative gelten: Was bleibt nach der Weltmeisterschaft? Wie nachhaltig ist Ke Nako?

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