Akt der Entrüstung, nicht des Schmerzes

Von Redaktion · · 2008/12

Die Künstlerin Teresa Margolles aus Mexiko war bis Ende November drei Monate als „Artist in Residence“ in Krems zu Gast. Ein Gespräch mit der Künstlerin, geführt von Martina Kopf und Werner Hörtner.

Südwind: In Europa werden Sie als Künstlerin wahrgenommen, die sich mit dem Thema „Tod“ beschäftigt. In der Ausstellung ‚Anstelle der Tatsachen‘ geht es aber nicht nur um Tod, sondern auch Gewalt und Verbrechen. Wie sehen Sie das?
Teresa Margolles:
Das Thema des Todes, das in Mexiko eine alte Tradition hat, ist nicht Gegenstand meiner Arbeit. Mich interessiert mehr der Leichnam in sozialer Hinsicht. Was ist ein Leichnam? Darüber arbeite und forsche ich schon seit Jahren. Das hat mich dazu gebracht, in Mexiko-Stadt und anderen lateinamerikanischen Ländern in Leichenhäuser zu gehen. Über die Jahre hat sich aber die Form der Verarbeitung verändert. Jetzt arbeite ich mehr auf der Straße. Was in den Straßen passiert, ist wie ein Thermometer des Landes, und die Straßen erzählen mir sehr viel.

In Krems thematisieren Sie Drogenmorde in Ihrer Heimatstadt Culiacán auf sehr ungewöhnliche Weise. Sie zeigen kein Bild davon, sondern bringen die „Spuren“, die am Tatort hinterlassen werden, in den Ausstellungsraum. Was genau tun Sie vor Ort?
In den Straßen arbeite ich nicht mit Leichnamen, sondern den Resten, die davon geblieben sind. Manchmal vergehen Wochen und Monate, bis ich an den Ort komme, wo jemand ermordet wurde, und dann suche ich nach Spuren und bringe sie auf die Leinwand. Ich reinige die Stelle auch, wasche Blutflecken weg. Wer sonst wäscht die Straßen? Personen, die umgebracht wurden, waren oft nur zufällig dort auf der Straße. Oft weiß niemand, wer der Ermordete war und niemand kümmert sich darum.

Ist das eine Art von Trauerarbeit?
Nicht in einem religiösen Sinn. Natürlich schmerzt es, denn es sind alles Menschen meiner Stadt. Aber viel mehr ist es ein Akt der Entrüstung als des Schmerzes. Ich mache das nicht allein, sondern habe Freunde, die mir helfen. Wenn ich nicht da bin, gehen andere hin und reinigen die Stelle.

Stehen all diese Morde im Zusammenhang mit Drogenhandel?
Ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass alle durch Kugeln umkommen. Ich erforsche nicht das „Warum“, sondern den Schmerz über den Verlust eines Menschen. Jeder Ermordete ist eine Tragödie, die die ganze Familie in Mitleidenschaft zieht. Ich habe viel mit Angehörigen von Ermordeten gearbeitet. Es gibt Familien, in denen alle Kinder getötet wurden, und die, die zurück bleiben, an Trauer sterben. Wir befinden uns in Mexiko eigentlich in einem Bürgerkrieg. Die Frage ist, wer soll uns daraus retten?
„En lugar de los hechos“ – „Anstelle der Tatsachen“ heißt die Ausstellung der Künstlerin Teresa Margolles, die bis Februar in der Factory, einem Teil der Kunsthalle Krems, zu sehen ist. Die Tatsachen: In Margolles‘ Heimatstadt Culiacán im Norden Mexicos werden durchschnittlich drei bis vier Menschen pro Tag auf offener Straße ermordet, die Stadt ist ein Zentrum des Drogenhandels. 46 Personen waren es allein in der Woche vom 1. bis 9. November.
Anstelle der Tatsachen stellt Margolles Leinwände aus, abstrakte Tableaus in warmen Brauntönen, die ein bisschen an Holz, ein bisschen an Batik erinnern und auf den ersten Blick angenehm wirken. Jedes Tableau steht für einen Mord. Die Farbe auf den Leinwänden stammt von Überresten von Blut und von Dreck auf der Straße. In einem Begleittext steht zu jedem der „Bilder“ eine Mordnachricht aus der Lokalzeitung „Periodico Noroeste“. Die Verbindung ihrer optischen Wirkung mit den Fakten, die sie repräsentieren, ohne sie unmittelbar zu zeigen, erzeugt einen starken Eindruck und widersprüchliche Gefühle.
Martina Kopf

Sie stellen gerade sehr viel in Europa aus. Würden Sie diese Arbeit, die Sie in Krems zeigen, auch zu Hause ausstellen?
Ich arbeite seit 17 Jahren in Mexiko und habe dort in allen Museen ausgestellt – soviel, dass ich den Eindruck habe, dass sie meiner schon überdrüssig werden. Jetzt werde ich Europa langweilen.

Gefährden Sie sich in Culiacán damit, wenn Sie mit Ihrer Kunst über die Drogenmorde sprechen?
Was ist schon nicht gefährlich – so gefährlich wie eine Reise mit einem Flugzeug. Wenn ich an meinen Tod denke, so würde mich das bloß lähmen. Sterben werde ich auf jeden Fall, ich weiß nur nicht wann.

Fühlen Sie sich mit Ihren Arbeiten in Europa verstanden?
Da ich die Sprachen nicht verstehe, weiß ich gar nicht, was Kunstkritiker hier über mich schreiben. Insgesamt lege ich nicht viel Wert auf Kritiken. Ich lese sie manchmal, aber ich bin nicht abhängig davon. Eher durchforste ich im Internet die Lokalzeitung von Culiacán, um zu erfahren, ob Bekannte von mir ermordet wurden. Ich hoffe nur, dass meine Arbeiten zumindest teilweise das ausdrücken, was ich denke und fühle.

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