An den Pranger!

Von Redaktion · · 2011/03

Unsere Regierungen und Behörden sind durchsetzt von „versteckten AgentInnen“ im Sold der Großkonzerne – ein Nahverhältnis zwischen Politik und Wirtschaft, das einer ständigen öffentlichen Kritik unterworfen werden muss, meint New Internationalist-Redakteurin Vanessa Baird.

"Soll das ein Scherz sein?“, meinte eine Leserin zum Online-Artikel. „Ich habe mir das Datum angesehen. Es ist nicht der 1. April“, antwortete ein anderer.

Es war wirklich kein Scherz. Die neue Regierungskoalition aus Konservativen und Demokraten hatte McDonalds’s und PepsiCo aufgefordert, an der Formulierung der britischen Gesundheitspolitik mitzuwirken.1) Nur wenige Monate davor hatte Premierminister David Cameron – damals noch in Opposition – vor den negativen Auswirkungen der Lobbytätigkeit von Unternehmen gewarnt: Der nächste große Skandal drohe in Zusammenhang mit einem Problem, das „schon viel zu lange ein Makel unserer Politik war … das viel zu enge Nahverhältnis zwischen Politik, Regierung, Business und Geld“. Was eine Wahl so alles verändern kann …

Lobbying ist nichts Neues. Die Herkunft des Begriffs lässt sich auf US-Präsident Ulysses S. Grant zurückführen, der Anfang des 19. Jahrhunderts oft in der Empfangshalle, der „Lobby“ des Willard Hotels in Washington D.C., anzutreffen war. In Großbritannien denkt man dabei in der Regel an die Gewölbegänge oder „lobbies“ des Parlaments, wo Einzelpersonen oder Interessengruppen die Möglichkeit haben, mit Abgeordneten zu reden und Einfluss auf ihr Stimmverhalten zu nehmen.

Theoretisch gehört Lobbying zur Demokratie. Jede Interessengruppe kann Lobbying betreiben – Gewerkschaften, karitative Organisationen, Umweltgruppen oder Unternehmensverbände, sogar ausländische Regierungen. Das dominante Phänomen ist aber die Lobbytätigkeit der Unternehmen – ob nach dem Umfang, dem dafür aufgewendeten Geld oder der Wirksamkeit.

Lobbying, ein Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, ist zu einer eigenen Branche geworden, die Milliarden Dollar umsetzt. Das Ausmaß der Lobbytätigkeit ist irrwitzig, wenn nicht sogar alarmierend. Britische Abgeordnete werden bis zu 100 Mal pro Woche von LobbyistInnen kontaktiert.2) In Washington soll sich ihre Zahl seit 2000 verdoppelt haben.3) In Australien steigen die Ausgaben für Lobbying mit dem Dreifachen der Inflationsrate und belaufen sich derzeit auf mehr als eine Mrd. US-Dollar pro Jahr.4) In Indiens Hauptstadt tummelt sich eine neue Generation von UnternehmenslobbyistInnen, darunter viele mit internationalen Kontakten etwa zu dem Washingtoner PR-Riesen Burson-Marsteller (siehe Fakten S. 31).

„Lobbying für Unternehmen“, schreibt der Journalist Praful Bidwai, „ist zur ultimativen Inkarnation eines vetternwirtschaftlichen Kapitalismus in Indien geworden und hat sich zu einem beachtlichen Wirtschaftszweig entwickelt. Allein in Neu Delhi sind mindestens 30 große Firmen vertreten.“5)

Beim heutigen Lobbying geht es nicht nur um Einflussnahme, LobbyistInnen sind zunehmend an der Politikformulierung und an politischen Entscheidungsprozessen beteiligt, sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene. Dabei unterliegen sie keiner demokratischen Kontrolle, und im Allgemeinen weiß die Öffentlichkeit nichts davon.

Dass Unternehmen bereit sind, für politischen Einfluss tief in die Tasche zu greifen, ist nicht überraschend, besonders wenn es um Gesetze geht, die ihre Gewinne schmälern könnten. In den USA war zuletzt die Pharma- und Gesundheitsindustrie der Spitzenreiter: Sie investierte 2009 mehr als 200 Mio. US-Dollar, um die Gesundheitsreformen von Präsident Obama zu Fall zu bringen. Mit dem selben Ziel gab die Versicherungsbranche ca. 122 Mio. aus.3)

Und sie waren erfolgreich. Das gelang jedoch, so PR-Guru Wendell Potter, nur dank einer groß angelegten Irreführung der Öffentlichkeit. In Reaktion auf Kritik anderer LobbyistInnen, die ihn wegen seiner Offenheit verurteilten, meinte Potter: „Nach 30 Jahren in der PR-Branche sollte ich doch wirklich das Recht haben, die irreführenden Kampagnen bloßzustellen, die von PR-Firmen orchestriert wurden, um die Wahrheit zu verschleiern und die amerikanische Öffentlichkeit bei der Debatte um die Reform des Gesundheitssystems und darüber hinaus zu täuschen. Ich beschreibe diese Kampagnen ausführlich … auf Basis meiner eigenen Mitwirkung an solchen Praktiken.“6)

Ein traditionelles Mittel der Einflussnahme auf die Politik sind Parteispenden. Ob sie zulässig sind, offengelegt werden müssen oder der Höhe nach begrenzt sind, ist unterschiedlich geregelt. In Australien etwa spendeten die Pharmaunternehmen Pfizer und Medicines Australia 572.560 bzw. 392.386 Dollar an die größeren Parteien. „Big Pharma“ stehen aber andere Methoden zur Verfügung. Als Wyeth Australia das Arthritis-Medikament Enbrel auf die Liste des Pharmaceutical Benefits Scheme (PBS – Staatliches Programm zur Subventionierung von Arzneimitteln; Anm. d. Red.) bekommen wollte, beauftragte das Unternehmen die Lobby-Firma Parker and Partners, bei den Treffen mit PolitikerInnen kranke Kinder in Rollstühlen mitzunehmen. Ergebnis: Das Medikament wurde sofort in die Liste aufgenommen, zu jährlichen Kosten von 100 Mio. Dollar.7)

Eine andere Methode besteht darin, eine Deckorganisation aufzubauen. Der Tabakkonzern Philip Morris gründete die „Alliance of Australian Retailers“, um ein Gesetz zu bekämpfen, das 2012 in Kraft treten soll – vorgesehen ist, dass Zigaretten nur mehr in farblosen Packungen mit wenigen oder überhaupt keinen Logos verkauft werden dürfen.8)

Die vielleicht erfolgreichste Umsetzung dieser Strategie des Täuschens und Tarnens gelang jedoch den Brüdern David und Charles Koch, Eigentümer von Koch Industries, des zweitgrößten nicht börsennotierten US-Unternehmens, mit der „Tea Party“, die sich selbst als spontane Basisbewegung beschreibt, die gegen die traditionelle Politik und das PR-Gewäsch der Wirtschaft auftritt. Ihr Aushängeschild ist die frühere Gouverneurin von Alaska, Sarah Palin. Es dauerte einige Zeit, bis JournalistInnen die über eine Reihe von Organisationen verschleierten engen Verbindungen zwischen der Tea Party und ihrem reichsten Gönner aufdeckten.

David Koch war Mitbegründer der Americans for Prosperity Foundation, die AktivistInnen der Tea Party schult und „erzieht“, ihrem politischen Wirken die Richtung vorgibt und Listen von ParlamentarierInnen erstellt, die aufs Korn zu nehmen sind. Öffentlichen Steuerdokumenten lässt sich entnehmen, dass die drei wichtigsten Familienstiftungen der Kochs 34 politische Organisationen finanziell unterstützten, drei davon von ihnen selbst gegründet und mehrere unter ihrer persönlichen Leitung.9) (Siehe auch Fakten S.32.)

Wer ein Politiker ist und wer eine Lobbyistin, lässt sich heute nicht mehr so leicht sagen. Es ist kein Problem mehr, zwischen Funktionen in der Regierung oder der Opposition und hohen Positionen in der Privatwirtschaft hin und her zu wechseln, durch die so genannte „Drehtür“. Manchmal versuchen PolitikerInnen, sich auf beiden Seiten der Drehtür gleichzeitig zu betätigen. Im März 2010 ermöglichte der frühere Verkehrsminister der Labour-Regierung, Stephen Byers, der britischen Öffentlichkeit einen flüchtigen, aber unbezahlbaren Einblick in die schmutzige Welt des Lobbying. „Ich bin eine Art von Taxi, das man mieten kann“, gab Byers gegenüber einer Journalistin zu, die sich ihm als PR-Profi vorgestellt hatte. „Ich bekomme noch immer viele vertrauliche Informationen, weil ich nach wie vor mit Number 10 (10 Downing Street, der offizielle Sitz der britischen Regierung; Anm. d. Red.) in Verbindung stehe.“ Sein Honorar bewege sich „in der Regel zwischen 3.000 und 5.000 Pfund pro Tag“ (umgerechnet 3.500 bis 5.900 Euro).

Andere tappten ebenfalls in die Falle der verdeckten Recherche der Sunday Times und der Channel 4-Sendereihe „Dispatches“. Die frühere Gesundheitsministerin Patricia Hewitt etwa führte aus, sie könnte für ein Tageshonorar von 3.000 Pfund „einem Klienten helfen, der eine spezielle Bestimmung aufgehoben haben will“, was sie danach aber abstritt. Ex-Verteidigungsminister Geoff Hoon wiederum erklärte sich bereit, für 3.000 Pfund Mitglied eines Verwaltungsrats zu werden. Im vergangenen Dezember wurden Byers und Hoon für zwei bzw. fünf Jahre aus dem Unterhaus ausgeschlossen.10, 11) Byers hatte seine Dienste als Lobbyist angeboten, als er noch im Parlament saß, und zu einem Tageshonorar, das die meisten Menschen in seinem Wahlkreis North Tyneside sich nur in den kühnsten Träumen als Monatsverdienst vorstellen könnten.

Web-Tipps
International
www.sourcewatch.org
WikiLeaks: http://213.251.145.96/ (Adresse kann sich ändern)
EU
www.alter-eu.org
www.corporateeurope.de
www.lobbycontrol.de
www.worstlobby.eu
www.tni.org

Siehe auch Beitrag in Südwind-Magazin 1-2/2011, Seite 26-27.

Seltsam, aber wahr: In Großbritannien können Parlamentsabgeordnete gleichzeitig bezahlte Konsulenten von Unternehmen sein und dabei uneingeschränkt als Fürsprecher ihrer Auftraggeber agieren, womit sie ihr Einkommen oft verdoppeln oder verdreifachen. Ein Verhalten, das in Afrika, Asien oder Lateinamerika als Korruption eingestuft würde, gilt im Westen als legales Mittel der politischen Einflussnahme.

Was sich britische PolitikerInnen derart zusammenraffen, ist von der anderen Seite des Atlantik betrachtet mit Sicherheit ein Pappenstiel. Trotz der Rezession nahm das private Vermögen aller Mitglieder des US-Kongresses zusammen zwischen 2008 und 2009 um 16% zu. Fast die Hälfte von ihnen sind Millionäre, einige mehr als im Vorjahr.3)

„Milliardäre und Konzerne vereinnahmen überall den politischen Prozess; jeder, der an Demokratie interessiert ist, sollte überlegen, was man dagegen tun kann. Nichts ist mehr wirklich. Nichts ist, wie es scheint“, schreibt George Monbiot.

Aber was können wir tun, um sie zu stoppen? Jedenfalls nicht viel, solange wir nicht wissen, was eigentlich passiert. Wir wissen etwas über das Ausmaß des Lobbying in den USA, weil es dort zumindest eine minimale Offenlegungspflicht in Form eines amtlichen Registers für LobbyistInnen gibt. In Großbritannien wurden derartige Ansätze einer minimalen Transparenz 2009 zugunsten einer „Selbstregulierung“ der Lobbying-Branche abgelehnt. „Derzeit haben wir kein Recht darauf, zu wissen, wer bei wem Lobbying betreibt und wozu. Wir sind der Ansicht, dass die Öffentlichkeit wissen sollte, wer die Entscheidungen der Regierung beeinflusst“, erklärt die Alliance for Lobbying Transparency (www.lobbyingtransparency.org).

Sie fordert ein obligatorisches Register, aus dem ersichtlich wird, wer Lobbying betreibt und wieviel dafür bezahlt wird, ein öffentliches Verzeichnis aller Treffen zwischen gewählten FunktionärInnen, BeamtInnen und Regierungsmitgliedern und LobbyistInnen sowie durchsetzbare ethische Regeln und Beschränkungen für Sachleistungen und Geschenke. Ebenso kämpft die Organisation gegen den privilegierten Zugang von Unternehmen zu Abgeordneten und Regierungsmitgliedern und fordert ein Ende des „Drehtür-Syndroms“.

Die beste PR ist eine, die nicht als solche erkannt wird, heißt es. Unternehmen, Lobby-Firmen und viele PolitikerInnen hätten gerne, dass es immer so ist. Doch dank einiger Einzelpersonen und Gruppen, die bereit sind, an die Öffentlichkeit zu gehen, mutig zu recherchieren und die finstere Welt des Lobbying ans Licht zu bringen, wird das Phänomen nun mehr beachtet. Überall auf der Welt machen zivilgesellschaftliche Organisationen die Öffentlichkeit darauf aufmerksam, dass wir in einer Zeit leben, in der Unternehmen weitgehend unkontrolliert Einfluss ausüben.

Die Vereinnahmung der Demokratie durch die Konzerne ist nicht bloß ein paranoider Albtraum von Verschwörungstheoretikern. Wir sind von ihr betroffen, in jedem Bereich unserer Existenz: Es geht um unsere Ernährung, unsere Medikamente, um die Luft, die wir atmen, die Kriege, die in unserem Namen geführt werden, darum, wie unsere natürlichen Ressourcen genutzt werden, um die Temperatur unseres Planeten, wie wir unser Geld ausgeben, und wie unser Geld für uns von jenen ausgegeben wird, die die staatlichen Geldtöpfe kontrollieren. Gleichzeitig wissen Regierungen und Unternehmen mehr über uns und unsere Gewohnheiten als jemals zuvor, und sie können diese Informationen zu ihrem Vorteil verwenden.

Die Enthüllungen von WikiLeaks haben allerdings gezeigt, dass selbst die Mächtigsten nicht verhindern können, dass peinliche Informationen über ihre Aktivitäten an die Öffentlichkeit gelangen. Ebenso signifikant ist die enorme öffentliche Unterstützung für WikiLeaks. Sie hat mitgeholfen, die Informationen zu verbreiten und Versuchen von Unternehmen oder Regierungen Einhalt zu gebieten, die Website mundtot zu machen oder abzuschalten. WikiLeaks hat dem Begriff „Überwachungsgesellschaft“ eine neue Bedeutung gegeben. Der Spieß wurde umgedreht: Es geht um die Überwachung der Machenschaften der Mächtigen und Privilegierten durch die Gesellschaft.

Copyright New Internationalist

1) The Guardian, www.guardian.co.uk/politics/2010/nov/12/mcdonalds-pepsico-help-health-policy
2) Wikipedia, http://en.wikipedia.org/wiki/Lobbying
3) Center for Responsive Politics, www.opensecrets.org
4) Sourcewatch, www.sourcewatch.org/index.php?title=Lobby_groups/Australia
5) Transnational Institute, www.tni.org/article/when-corporations-capture-state-corporate-lobbying-and-democracy
6) PR Watch, www.prwatch.org
7) Sydney Morning Herald & The Age, www.smh.com.au/business/making-sure-pills-go-down-and-money-flows-20100226-p96y.html
8) PR Watch, www.prwatch.org/node/9437
9) New Yorker, www.newyorker.com/reporting/ 2010/08/30/100830fa_fact_mayer
10) The Guardian, www.guardian.co.uk/commentisfree/2010/mar/22/stephen-byers-editorial
11) The Guardian, www.guardian.co.uk/politics/ 2010/dec/09/hoon-byers-caborn-fake-lobbying-scandal

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