Angst vor der eigenen Vergangenheit

Von Brigitte Voykowitsch · · 2006/06

Mit acht Jahren wurde China Keitetsi von der Armee rekrutiert, heute engagiert sich die Exil-Uganderin gegen den Missbrauch von Kindern als SoldatInnen.

Die Vergangenheit wird immer da sein, ich werde immer auf irgendeine Art die Soldatin in mir spüren. Aber ich habe mich auch sehr verändert, seit ich die Armee verlassen habe. Ich kenne mich besser, ich schaue in den Spiegel und sehe mich selbst. Seit sechs Monaten trage ich Ohrringe“, zeigt China Keitetsi auf die Perlen, die in ihren Ohren stecken. „So viel hat sich geändert, äußerlich und in mir drin. Nun habe ich auch meine Söhne wieder.“
Ein Lächeln breitet sich über China Keitetsis Gesicht aus, wenn sie ihre Söhne erwähnt; düster wird ihr Blick sofort wieder, wenn sie von der Vergangenheit spricht.
China Keitetsi war Kindersoldatin. 1976 in Uganda geboren, wurde sie 1984 von der „National Resistance Army” (NRA) unter Yoweri Museveni rekrutiert, damals noch Rebellen-, heute Regierungsarmee. Nach dem Sieg der NRA und der Machtergreifung Musevenis 1986 wurde das Mädchen zunächst Leibwächterin eines hohen Funktionärs, später diente sie bei der Militärpolizei.

„Es ist verrückt. Als ich Soldatin war, war das normal für mich. Niemand von uns hätte sagen können: Ich bin ein Kind, ich sollte nicht in der Armee sein. Aber dann kam ich nach Europa und sah, dass Kinder hier ganz anders behandelt werden. Da bekam ich Angst vor meiner eigenen Vergangenheit“, schildert Keitetsi. Mit 19 Jahren desertiert sie und flieht nach Südafrika, wo sie vom ugandischen Geheimdienst verfolgt wird. Mit Hilfe des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) kam sie 1999 nach Dänemark, wo sie seither lebt.
Wenn China Keitetsi „normal“ sagt, meint sie die grauenhafte Realität, in der bis heute weltweit mehr als 300.000 Kinder leben. Sie scheint ihnen „normal“, weil diese Kinder nichts anderes kennen als Krieg und Gewalt. „In deinem Herzen weißt du natürlich, dass es nicht normal ist, wenn jemand an einen Baum gebunden und hingerichtet wird. Aber das war die Politik bei uns. Wir mussten der Exekution zusehen, vielleicht mit demjenigen, der sterben sollte, vorher noch eine Zigarette rauchen. Vielleicht mussten wir ihn auch selbst erschießen. Was hätte man als Kind tun sollen? Sagen, das ist nicht normal? Wohin hätte man gehen sollen? Das Leben zählte nichts dort. In Dänemark holten Leute sofort die Rettung, als ich vom Rad fiel.
Wir mussten einander ja auch beeindrucken. Wer ist ein Feigling? Hier braucht man keine Feiglinge. Wenn einige Kinder auf jemanden mit einer Waffe einschlugen und du nicht mitmachtest, riefen sie: Ah, bist du seine Freundin? Ich hätte heulen können, natürlich war ich nicht die Freundin eines Feindes. Aber das musste ich auch beweisen.“
Die KindersoldatInnen wurden von Musevenis Armee als TrägerInnen, SpionInnen und Kanonenfutter eingesetzt. Die Mädchen wurden von den Kommandanten sexuell ausgebeutet. China Keitetsis 15-jähriger Sohn und ihre 10-jährige Tochter entstammen solchen Gewaltbeziehungen. Den Sohn musste sie in Uganda zurücklassen, als sie aus Angst um ihr Leben die Flucht ergriff. Seit kurzem hat sie wieder Kontakt mit ihm und seinem besten Freund, einem Waisen, der für sie wie ein eigenes Kind ist und sie auch Mama nennt. Die beiden besuchen ein Internat in Uganda und wollen, sobald sie 18 sind, zu ihrer Mutter nach Dänemark kommen. Zur Zeit treffen sie einander alle drei Monate in Ruanda oder Dänemark. Nach Uganda kann Keitetsi als Deserteurin und Autorin eines Buchs, in dem sie mit ihrer Lebensgeschichte eine verdrängte Wahrheit innerhalb der NRA offen legt, nicht reisen.

„Meine Tochter, die in Südafrika lebt, habe ich seit mehr als acht Jahren nicht mehr gesehen. Ich ließ sie in Afrika, als ich nach Dänemark ging. Das ist eine lange Geschichte, darüber möchte ich nicht sprechen.“ Nur so viel sagt Keitetsi: Sie hat wieder Kontakt und träumt davon, ihre Tochter nach Dänemark zu holen.
Inzwischen engagiert sich die Exil-Uganderin in der internationalen Kampagne gegen den Missbrauch von Kindern als SoldatInnen. „Ich weiß, welches Glück ich habe. Aber es macht mich traurig und wütend, wenn ich denke, wie viele Kinder heute ein Leben führen, wie ich es führen musste, wie viele bereits tot sind, wie viele Mädchen missbraucht werden.“


AutorenInfo:
Brigitte Voykowitsch ist freie Journalistin. Sie sprach mit China Keitetsi anlässlich der Premiere von „China K. – Tagebuch einer Kindersoldatin“ im Mai in Wien. Das Stück beruht auf Keitetsis Buch „Sie nahmen mir die Mutter und gaben mir ein Gewehr. Mein Leben als Kindersoldatin.“ München: Ullstein Verlag 2002.

http://xchild.dk

Basic

Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!

  • 6 Ausgaben pro Jahr als Print-Ausgabe und/oder E-Paper
  • 48 Seiten mit 12-seitigem Themenschwerpunkt pro Ausgabe
  • 12 x "Extrablatt" direkt in Ihr E-Mail-Postfach
  • voller Online-Zugang inkl. Archiv
ab € 25 /Jahr
Abo Abschließen
Förder

Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.

Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

84 /Jahr
Abo Abschließen
Soli

Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!

Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

168 /Jahr
Abo Abschließen