Ausbruch aus dem Teufelskreis

Von Werner Hörtner · · 2003/05

Die auf das sandinistische Jahrzehnt der 80er Jahre zurückgehenden österreichischen Solidaritätsgruppen sind auch heute noch in Nicaragua aktiv. Für sie ist Armutsbekämpfung nicht das Ziel, sondern der Ausgangspunkt für eine nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen.

Das war früher schlimm! Wir mussten das Wasser von weit weit her schleppen! Nie im Leben dachten wir daran, dass wir einen eigenen Wasseranschluss bekommen. Für uns ist nun ein Traum Wirklichkeit geworden.“ Hermelinda Cepeda ist sichtlich bewegt und bedankt sich immer wieder für die Hilfe aus Österreich. Ein Schluck von dem neuen Brunnen vor ihrem Haus beweist: es handelt sich um Trinkwasser bester Qualität, das in seiner Frische eher an die Alpen erinnert als an Grundwasser aus dem heiß-trockenen Norden Nicaraguas.
Wir können uns kaum die Situation vorstellen, wie sie bis vor kurzem in den vier an Honduras grenzenden Gemeinden Santo Tomás, Cinco Pinos, San Pedro del Norte und San Francisco bestand, und teilweise heute noch besteht: Die Menschen – vor allem die Frauen und Kinder – mussten das kostbare Nass teilweise stundenlang heranschleppen oder im nächsten Ort beim Händler teuer kaufen. Was nicht nur große Mühe und Kosten verursachte, sondern immer noch kein hygienisch einwandfreies Trinkwasser garantierte. Obendrein sind in den letzten Jahren durch verschlechterte Umweltbedingungen zahlreiche Quellen und Bäche versiegt.
Nach dem kürzlich veröffentlichten Weltwasserbericht der Vereinten Nationen starben im Jahr 2000 weltweit an die 2,2 Millionen Menschen an wasserbedingten Krankheiten, mehrheitlich Kinder unter fünf Jahren. In den Gebieten im nördlichen Nicaragua, die nun über einen sauberen Trinwasseranschluss verfügen, ist nach Aussage aller Befragten die Zahl von Darmwürmerinfektionen und Durchfallerkrankungen schnell auf Null zurückgegangen. Menschenleben, die mit wenig Geld gerettet wurden.

Wenig Geld? Wenn man die Summen, die österreichische Dritte-Welt-Gruppen und Solidaritätsinitiativen mühevoll für ihre Projekte in Nicaragua zusammenkratzen, mit unseren Ausgaben fürs Füttern von Haustieren oder gar mit staatlichen Rüstungsausgaben vergleicht, sind es lächerliche Beträge. Auch wenn man daran denkt, dass der frühere nicaraguanische Regierungschef Arnoldo Alemán mindestens 100 Millionen US-Dollar Staatseinnahmen in seine eigenen Taschen gleiten ließ und sich viele seiner Günstlinge während seiner Amtszeit ebenfalls schamlos bereicherten.
Die von Alemán aufgebaute gewaltige Betrugsmaschinerie – die man angesichts einer zu zwei Dritteln unterhalb der Armutsgrenze lebenden Bevölkerung wohl zu Recht als verbrecherischen Amtsmissbrauch bezeichnen kann – darf jedoch nicht dazu führen, die Menschen dafür zu bestrafen. Viele Geberländer haben in den letzten Jahren ihre Hilfe an Nicaragua reduziert, Entwicklungsprogramme eingestellt. Es ist ein Vorteil der regierungsunabhängigen Hilfsorganisationen und Solidaritätsgruppen, dass sie ihre Unterstützung direkt mit den Betroffenen vor Ort abwickeln können. Die Basis für diese Zusammenarbeit wurde bereits in den 80er Jahren gelegt.

Das sandinistische Jahrzehnt: Viele denken heute wehmütig an diese Zeit zurück. „Es ist so vieles schlechter geworden, hat sich völlig verändert. Früher bin ich oft nach Managua auf den Markt gefahren, habe groß eingekauft und hier im Geschäft dann alles verkaufen können. Heute bleiben die Waren liegen und verstauben. Die Leute kaufen nur das Allernotwendigste, und selbst das lassen sie oft aufschreiben“. Mailing Yolanis Mendoza ist Besitzerin des größten Ladens in Cinco Pinos und erinnert sich sehnsüchtig an das sandinistische Jahrzehnt.
Die Erinnerung an eine Zeit, als ebenfalls Mangel herrschte, dieser jedoch wenigstens einigermaßen gerecht verteilt war, wird aber für viele durch das Bild des Krieges getrübt. Jener Krieg gegen die von den USA aufgebauten und angeleiteten „Contras“ – ehemalige Mitglieder der Nationalgarde Somozas, von der Revolution enttäuschte Indígenas, landlose Bauern – , der schließlich die Sandinisten 1990 nach elfjähriger Regierung zur Abwahl führte.
Viele der sozialen Errungenschaften dieser Zeit wurden im darauf folgenden Jahrzehnt, unter den Regierungen von Violeta Barrios de Chamorro und Arnoldo Alemán, wieder abgebaut. Was jedoch geblieben ist, ist das Bewusstsein und das Engagement vieler sandinistischen AktivistInnen, die sich heute auf kommunaler Ebene und in Nichtregierungsorganisationen für das Wohl ihrer Mitmenschen einsetzen. Wie etwa Mailing Yolanis, die nicht nur als Geschäftsfrau tätig ist, sondern sich als Präsidentin des Elternvereines für eine Verbesserung der schulischen Infrastruktur einsetzt – auch ein Bereich, in dem der Staat durch Abwesenheit glänzt. Zum Ausbau ihres Betriebes erhielt sie schon zwei Mal Geld aus einem österreichischen Kleinkredit-Fonds. Da kann sie es sich auch manchmal leisten, zahlungsunfähigen KundInnen am Monatsende die gestundete Rechnung zu erlassen. Doch ihren Kredit zahlt sie pünktlich und vollständig zurück. Von der hohen Zahlungsmoral der KleinkreditnehmerInnen können die Bankinstitute in den reichen Ländern nur träumen …

Moises Martínez ist Bürgermeister der knapp an der honduranischen Grenze gelegenen Kleinstadt San Pedro del Norte. Nach der Zufahrt auf einer für österreichische Verhältnisse miserablen Landstraße ist der Besucher überrascht: Das Ortszentrum besteht aus einem Sportplatz und einem Kinderspielpark, rundherum ebenerdige, weiß getünchte oder färbig bemalte Häuser. Alles strahlt Ruhe, Sauberkeit und einen bescheidenen Wohlstand aus.
Der knapp 40-jährige Moises tritt an diesem Sonntagvormittag im Baseball-Kostüm auf; anschließend an unser Gespräch wird er diesem nicaraguanischen Nationalsport huldigen, in einem Freundschaftsspiel mit einer Nachbargemeinde.
„Unsere Zusammenarbeit mit Österreich begann vor vielen Jahren mit dem Pfarrer Hans Fischer vom Akkonplatz in Wien“, führt der sandinistische Gemeindepolitiker, bereits zum zweiten Mal Bürgermeister von San Pedro, aus. „Es ist keine umfangreiche Zusammenarbeit, aber sie war immer kontinuierlich. Ich war einmal in Österreich und habe gesehen, mit welchen Opfern sie dort das Geld auftreiben, um es nach San Pedro zu schicken.“
Die viele ausländische Hilfe, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten nach Nicaragua geflossen ist, hat dort zur Ausbildung einer regelrechten Nehmer-Mentalität geführt. Man rechnet mit Hilfe, man wartet darauf, man lebt davon. Die eigentlich Betroffenen – die Opfer von Naturkatastrophen, die Not leidende Landbevölkerung, die SlumbewohnerInnen – eher schlecht als recht, da viele Hilfsleistungen nur teilweise zu ihnen gelangen. Einige jedoch, die ohnehin schon genug hätten, Regierungsfunktionäre oder Unternehmer, leben hingegen ganz gut davon. Nach dem Hurrikan Mitch zum Beispiel floss sehr viel Auslandshilfe ins Land. Etwa um neue Häuser für die Opfer des Wirbelsturms zu bauen. Und da passierte es nicht selten, dass die Bauunternehmer, in Komplizenschaft mit offiziellen Stellen, billigste Materialien verwendeten und statt vier Einfamilienhäuser einen hühnerstallähnlichen Kasten für vier Familien hinstellten, um sich Wände zu ersparen, usw.
Moises Martínez hat dieser Versuchung widerstanden. „Wir wollen nicht von der Hilfe leben. Wir wollen sie nützen, um uns selbständig zu machen, um eine eigenständige nachhaltige Entwicklung in Gang zu setzen – das ist es, was wir uns für San Pedro vorstellen.“


Hinweis:
Am 19. Mai um 21 Uhr wird auf dem Fernsehsender 3sat ein Film über österreichische Entwicklungsprojekte in Nicaragua gezeigt.

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