Bewegung in Raum und Kopf

Von Martina Kopf · · 2005/06

Vor zwölf Jahren hat Zohra Bouchentouf-Siagh Algier den Rücken gekehrt und sich mit einer Gastprofessur am Wiener Institut für Romanistik ein neues Leben aufgebaut.

Eine Migrantin ist eine Frau, die, aus welchen Gründen auch immer, sich auf den Weg gemacht hat, sich getraut hat, das in jeder Hinsicht Vertraute aufzugeben und sich auf das Neue einzulassen.“ So schreibt Gamze Ongan, Obfrau der Beratungsstelle Peregrina, in dem Essay „Fantasma Migrantin“. Ein Satz, den Zohra Bouchentouf-Siagh nur bestätigen kann. „Wer sich einmal auf den Weg gemacht und etwas völlig Anderes begonnen hat, ist in Bewegung: Nicht nur körperlich und räumlich, man bewegt sich auch im Kopf, in der Kultur, in Bezug auf die eigenen Werte.“ Sie sieht in dieser Erfahrung ein „großartiges Potenzial“.
Die algerische Sprachwissenschaftlerin hat 1993 ihr Land verlassen, weil sie, wie sie sagt, „die Nase voll hatte“. Die Universität Algier, wo sie seit 1972 unterrichtete und forschte, erfüllte in Bouchentoufs Augen ihre Rolle als Universität nicht mehr, in den gesellschaftlichen Entwicklungen sah sie keine Perspektiven für die Studierenden. Hinzu kamen persönliche Gründe. Ein Angebot der Universität Wien, zu der es bereits über ein Forschungsprojekt Kontakte gab, machte es möglich: Am Institut für Romanistik war die Stelle einer Gastprofessorin frei und Bouchentouf bewarb sich. „Ich wäre nicht einfach so weggegangen. Ich hätte nicht meine Koffer gepackt, mir eine Wohnung und Arbeit gesucht – diesen Mut hätte ich, glaube ich, nicht gehabt.“ Hart war es dennoch. In Algerien begannen Islamisten mit ihren Mordanschlägen. Bald gehörten auch FreundInnen sowie Personen des öffentlichen Lebens – Intellektuelle, SchriftstellerInnen – die Bouchentouf gekannt hatte, zu den Opfern. Während sie sich in Österreich einlebte, in einem fremden Land und einer fremden Sprache bei Null anfing, fühlte sie sich schuldig.

Auch war sie mit ihrem fünfjährigen Sohn nach Wien gekommen. Der Bub stellte viele Fragen. Warum hier die Sonne nicht schien, wollte er wissen, warum er nicht nach nebenan spielen gehen könnte, wie er es gewohnt war. „Dinge, die zur Kultur gehören und als normal erscheinen – als Erwachsener kann man sich davon trennen, aber einem Kind muss man ständig erklären, warum das jetzt so ist. Es konfrontiert dich den ganzen Tag mit den Veränderungen.“
Die Akademikerin und Mutter sieht es als Glück an, in einem Umfeld tätig zu sein, wo sie mit Leuten aus aller Welt zusammen trifft. „Ich akzeptiere es nicht, katalogisiert zu werden, darum bewege ich mich: räumlich, intellektuell und menschlich.“

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