Bilanz eines Scheiterns

Von Robert Lessmann · · 2008/05

Mit viel Getöse war vor zehn Jahren von der UNO ein Drogenbekämpfungsprogramm verabschiedet worden, das zu einer drogenfreien Welt führen sollte. Kürzlich wurde in Wien eine ernüchternde Bilanz gezogen.

Wien ist Sitz der Drogenkontrollorgane der Vereinten Nationen: Das Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) führt Hilfsprogramme in aller Welt durch; der Suchtstoffkontrollrat (INCB) wacht über die Einhaltung der einschlägigen internationalen Konventionen (von 1961, 1972 und 1988) und auf der jährlichen „Kommission“ (CND) im Frühjahr legen die Delegierten der Mitgliedsländer die politische Linie fest – eine Art Legislative der internationalen Drogenbekämpfung.
Die diesjährige CND – es war die 51. – fand vom 10. bis 14. März in der Wiener UNO-City statt und sollte der Bilanz eines Zehnjahresplanes dienen, der 1998 von einer Sondergeneralversammlung zum Thema Drogen in New York verabschiedet worden war. Ein Großereignis also? Bei der Pressekonferenz waren 14 Medienleute anwesend, darunter ein von der UNO selbst engagiertes Kamerateam. Der seinerzeit mit viel Getöse („A drug-free world, we can do it“) angekündigte Plan hatte sich eine „Eliminierung oder deutliche Reduzierung der Drogenproduktion“ vorgenommen. Seit Jahren zeichnete sich ab, dass man dieses Ziel verfehlen würde; das Südwind-Magazin hat schon mehrfach über die peinliche Bilanz berichtet.

Die Welt könnte es wohl verschmerzen, wenn sich die Völkergemeinschaft stillschweigend von den drogenpolitischen Fehleinschätzungen der Vergangenheit verabschieden würde. Doch nur fünf Tage vor der Konferenz hatte der „Kontrollrat“ mit seinem Jahresbericht ein weiteres Zeugnis der Realitätsferne und Rückwärtsgewandtheit vorgelegt. Das INCB erhebt darin die Forderung, Bolivien und Peru möchten doch im Einklang mit der Konvention von 1961 endlich den Anbau und Konsum von Kokablättern strafrechtlich verfolgen. Natürlich protestierten die Regierungen Perus und Boliviens unverzüglich. Präsident Evo Morales wandte sich in einem Brief direkt an UN-Generalsekretär Ban Ki-moon. Das Andenland hat auf der Wiener Konferenz ferner durch seinen stellvertretenden Außenminister angekündigt, dass man nunmehr Ernst machen wolle mit der Einleitung des seit mehr als zwei Jahren erwarteten Verfahrens, mit dem das Kokablatt überhaupt aus der Liste der kontrollierten Substanzen der UN-Konventionen gestrichen werden soll.
Doch handelt es sich bei dieser Forderung tatsächlich um politische Realitätsferne? Die Formulierungen richten sich sehr klar gegen die (vor allem bolivianische) Politik, Kokaüberschüsse nicht mehr einfach zu vernichten, sondern in Form von Produkten wie Tee und Zahnpasta zu „industrialisieren“ und zu vermarkten. Dabei hat die Regierung Morales im Bereich der Fahndung nach und der Beschlagnahmung von Kokain weit bessere Ergebnisse vorzuweisen als ihre Vorgänger. Es kam auch nicht zu der ungebremsten Ausweitung beim Anbau, wie es vielfach befürchtet worden war. Vielmehr wurden die Reduzierungsvorgaben (5.000 Hektar 2006 und 6.200 Hektar 2007) erfüllt. Und während die Kokavernichtung in den letzten 25 Jahren die wichtigste Ursache für soziale Konflikte und gewalttätige Übergriffe der Sicherheitskräfte in Bolivien war, geschieht die Kontrolle heute friedlich und im Konsens mit den Bauernorganisationen.
Allerdings war im letzten Jahr ein leichter Neuanstieg der Anbauflächen zu bemerken, der sich auf abgelegene Zonen wie Naturschutzgebiete konzentriert, wo die soziale Kontrolle nicht funktioniert.
Die EU ging mit gutem Beispiel voran, dem konsensualen Ansatz Boliviens eine Chance zu geben.: Sie hat Anfang März 36 Millionen Euro zur Unterstützung des bolivianischen Drogenbekämpfungsplans (2007-2013) bewilligt.

Die UN-Organisationen reflektieren Machtverhältnisse und divergierende Interessen. Insider halten die Politik des INCB für besonders aggressiv, seitdem ihm Melvyn Lewitsky angehört. Lewitsky war unter George Bush Senior Assistant Secretary for International Narcotics Matters im US-Außenministerium, also ein Falke aus der Zeit der Internationalisierung und Militarisierung des Drogenkriegs. Sollten nicht US-interne Veränderungen eintreten, etwa bei den nächsten Wahlen, so wird Lewitsky die Politik des Suchtstoffkontrollrates noch bis 2012 beeinflussen.
Im letztjährigen Bericht hat das INCB auf den ausufernden Verkauf gefälschter und schädlicher Pharmaka über das Internet aufmerksam gemacht. Ein ernstes Problem, das nicht zuletzt auch die Länder des Südens betrifft. Das UNODC hilft Ländern mit konkreten Projekten im Bereich der Polizei- und Justizzusammenarbeit, aber auch bei der Erschließung von Einkommensalternativen für die Bauern.

Neue Transportrouten: Vor drei Jahren drangen erste Informationen über die Erschließung neuer Schmuggelwege für Kokain nach Europa über Westafrika an die Öffentlichkeit – mit allen ihren verheerenden Folgen für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit der betroffenen Länder. Heute nennen Fahnder die kürzeste Verbindung zwischen Südamerika und Afrika entlang des 10. Breitengrades im Jargon bereits Highway No. 10. Lagen die jährlichen Kokainbeschlagnahmungen zwischen 1998 und 2003 in ganz Afrika bei durchschnittlich 0,6 Tonnen, so waren es in den ersten neun Monaten des Jahres 2007 bereits 5,7 Tonnen, 99% davon in Westafrika, wie ein UNODC-Bericht vom Oktober letzten Jahres alarmiert feststellt. Und das ist wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs. So beschlagnahmten venezolanische Behörden im Juni 2007 allein 2,5 Tonnen Kokain an Bord eines Privatflugzeugs, das nach Sierra Leone starten sollte.
Bei der eingangs erwähnten Pressekonferenz zur heurigen „Kommission“ waren an der Seite von UNODC-Chef Antonio María Costa noch Pedro da Costa und Carmelita Pires anwesend, stellvertretender Premierminister bzw. Justizministerin von Guinea-Bissau. Die beiden berichteten über ihr vom Bürgerkrieg gezeichnetes Land und davon, dass man der Invasion multinationaler Drogenschmugglerorganisationen dort kaum etwas entgegenzusetzen habe.
Die UNO schätzt den Kokainumschlag in dem westafrikanischen Kleinstaat inzwischen höher als das Nationaleinkommen von – laut Weltbank – ganzen 304 Millionen US-Dollar. Ein rostiges Schiffchen soll einen 350 Kilometer langen Küstenstreifen mit 82 vorgelagerten Inseln kontrollieren? Luftraumüberwachung gibt es nicht und auch kein Gefängnis. Die Polizei hat weder Computer noch Handschellen und oft auch kein Benzin für die Fahrzeuge. Das UNODC hilft nun beim Aufbau von Polizei und Justiz.

Der Autor ist freier Mitarbeiter des Südwind-Magazins und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der internationalen Drogenpolitik.

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