Bitteres Los

Von Dionne Bunsha · · 2004/02

Überproduktion, Vetternwirtschaft und Korruption haben die Zuckerwirtschaft im zentralindischen Maharashtra in die Krise gestürzt. Die Rechnung zahlen die KleinbäuerInnen, berichtet New Internationalist-Autorin Dionne Bunsha.

Wer seine Kinder liebt, lässt sie nicht gerne monatelang allein. Aber Balasaheb Shinde, ein kleiner Zuckerrohrbauer in Beed im indischen Teilstaat Maharashtra, sieht keinen anderen Ausweg. Er ist schwer verschuldet, und seine Frau und er werden diese Saison fortziehen müssen, um als ZuckerrohrschneiderInnen zu arbeiten. Sein jüngster Sohn wird die Schule verlassen und mit ihnen kommen. Aber seine drei älteren Kinder können ihre Ausbildung nicht abbrechen – er wird sie allein im Dorf zurücklassen müssen. „Es gibt niemand, der auf sie aufpassen kann. Zum ersten Mal gehe ich fort, um als Tagelöhner zu arbeiten, obwohl ich eine eigene Landwirtschaft habe“, sagt Balasaheb. „Zuckerrohr wirft nichts mehr ab. Die Schulden werden immer höher. Die Geldverleiher wollen ihr Geld zurück. Wie soll ich das schaffen?“
Sorgen um ihre Existenz quälen auch die anderen BäuerInnen der Zuckergenossenschaft Ambejogai, der Balasaheb angehört. Sie könnte geschlossen werden, heißt es – und es gibt auch einen Verdächtigen: Gopinath Munde, ein politisches Schwergewicht in Maharashtra. In der früheren Regierung war er stellvertretender Chief Minister, jetzt ist er Oppositionschef, und seine Partei, die rechtsgerichtete Bharatiya Janata Party (BJP), hat in der Zuckergenossenschaft das Sagen. Die Zuckerfabrik liegt in Mundes Wahlkreis, und ihr Leiter ist einer seiner Parteifreunde von der BJP. Sie schuldet sowohl den BäuerInnen als auch den ArbeiterInnen Geld. Aber vor kurzem errichtete Munde ein paar neue Zuckerfabriken in der Nähe, eine davon unter Leitung seiner Frau, bei einer anderen ist er selbst am Ruder. Sperrt er Ambejogai zu, wäre das gut für das Geschäft seiner anderen Genossenschaften.
Ob auch für seine Partei, ist fraglich. Fast alle Zuckerfabriken in Maharashtra gehören Genossenschaften, werden aber großteils von PolitikerInnen und Abgeordneten der regierenden gemäßigten Parteienkoalition kontrolliert. Die BJP versucht seit geraumer Zeit, in dieses Kartell einzubrechen, das auch andere Genossenschaften im Kreditwesen, in der Milchwirtschaft oder der Bewässerung umfasst. Wer die Kontrolle über eine Genossenschaft übernimmt, verschafft sich damit eine bequeme Geldquelle und noch dazu einen Stimmenblock.

Die gesamte politische Hierarchie, vom Sarpanch, dem Dorfvorsteher, bis hinauf zum Chief Minister, ist eng mit den Zuckergenossenschaften verbunden, und jedes Glied in der Kette bekommt einen Teil vom Kuchen: Alte Freunde oder Familienangehörige der Zuckerbarone werden zu Firmenchefs oder leitenden Managern ernannt, treue AnhängerInnen mit Aufträgen und Arbeitsplätzen belohnt – ein perfektes Patronagesystem. Für die Mitglieder der Zuckergenossenschaften selbst bleiben gerade mal ein paar Bröseln übrig.
„Die Genossenschaft gehört uns. Aber wir haben keinen Einfluss darauf, wie sie geführt wird“, sagt Ramgonda Patil, ein Kleinbauer im Bezirk Kolhapur. „Es stimmt, wir haben die Mitglieder der Geschäftsleitung gewählt. Aber was bleibt uns anderes übrig? Sie arbeiten bei den Wahlen mit Geld und Gewalt.“ Jeder Versuch, ihre Autorität anzugreifen, wird im Keim erstickt. „Wenn jemand wagt, bei den Versammlungen der Genossenschaft eine Frage zu stellen, wird er von ihren Schlägern rausgeschmissen. Die haben ihre eigene Mafiaherrschaft eingeführt.“ Vereinzelte Kritik verhallt großteils ungehört – etwa fordert Madhav Godbole, ein früherer Beamter, den Rückzug der Regierung aus dem Sektor: „Die Genossenschaften werden von Leuten geleitet, die überhaupt keinen rechtmäßigen Anspruch darauf haben. Sie sollten kein Nebenerwerb für PolitikerInnen sein.“

Das hatten die PionierInnen der Genossenschaftsbewegung wohl nicht im Sinn, als sie in den 1950er Jahren den Zuckerrohranbau im Westen Maharashtras einführten. Erhebliche öffentliche Mittel wurden in die Genossenschaften gepumpt, Straßen wurden gebaut, und der Zuckersektor erhielt einen Großteil der Bewässerungssubventionen. Zuckerrohr wird zwar nur auf vier Prozent der Landwirtschaftsfläche Maharashtras angebaut, verschlingt aber 60 Prozent des gesamten Bewässerungswassers. Prompt entwickelte sich die Region weit rascher als der Rest des Teilstaats. Es gibt hier weit mehr Banken, Molkereien und andere Infrastruktur als anderswo, und BäuerInnen in vernachlässigten Regionen Maharashtras beklagen sich immer noch über ihre stiefmütterliche Behandlung.

Doch die Zeiten, als mit Zuckerrohr leichtes Geld verdient werden konnte, sind vorbei. Die ganze Region steckt in einer tiefen Krise: 56 der 163 Zuckerfabriken sind bankrott, und die Lager gehen über vor Zucker. Die Fabriken tun alles, um ihn los zu werden, und die Zentralregierung in Delhi hat bereits Exportsubventionen angeboten. Die lokale Regierung in Mumbai (Bombay) wiederum ist mit erheblichen Kosten konfrontiert. Sie hatte sich ursprünglich mit einem rückzahlbaren Anteil von 30 Prozent am Genossenschaftskapital beteiligt, aber nur wenige zahlten die Einlage zurück. Sie garantierte auch für weitere 60 Prozent, die als Fremdkapital aufgenommen wurden, aber auch von diesen Krediten wurden einige nicht getilgt. Zuletzt machte die Regierung zwar mehr als eine Mio. Euro locker, um die Bankschulden der Genossenschaften zu begleichen. Aber über 70 Mio. Euro an Bankgarantien stehen noch aus, und die Regierung ist selbst schwer verschuldet.

Begonnen hatte die Krise schon vor einigen Jahren. Während die Zuckerfabriken ihre Ankaufpreise für Zuckerrohr um 25 Prozent reduzierten, stiegen gleichzeitig die Produktionskosten um zwei Drittel – die Liberalisierung führte zu erheblichen Verteuerungen bei Energie, Bewässerung und anderen Gebühren. Etwa ein Drittel der Fabriken hat den BäuerInnen zuletzt nicht einmal den offiziellen Mindestpreis von 695 Rupien pro Tonne (12,2 Euro) bezahlt, und selbst der ist nicht kostendeckend. In der seit Oktober laufenden Saison, glauben BranchenexpertInnen, werden nur fünf Prozent der Fabriken in der Lage sein, diesen Mindestpreis zu zahlen.
„Jedes Jahr wachsen unsere Schulden um weitere 10 bis 15.000 Rupien (175 bis 260 Euro). Die Zuckerrohrpreise reichen nicht aus, um unsere Ausgaben zu decken. Viele Fabriken zahlen nicht rechtzeitig. Daher werden auch die Zinsen für unsere Kredite immer mehr“, erklärt Ramgonda. Am Ende der 18-monatigen Saison bleibt bloß ein Nettoeinkommen von rund 5.000 Rupien pro Acre (0,4 ha) übrig – nicht einmal zwei Euro pro Monat.

Es liegt aber nicht nur am Zuckerpreis, meint Ramgonda – die Mühlen würden bewusst in den Ruin getrieben: „Ordentlich gemanagt ist das Geschäft profitabel. Aber die Geschäftsleitung will Verluste ausweisen. Wie sollen sie sonst zu Geld kommen? Sie blasen die Kosten auf und unterschlagen das Geld. Dann nehmen sie weitere Kredite bei den Banken, um die Bauern zu bezahlen. Von dem Geld sehen wir zwar nichts, aber dafür bleiben uns die Schulden.“ Tatsächlich begannen in der letzten Saison 19 Fabriken, auf Kredit Zuckerrohr zu verarbeiten, produzierten eine Zeit lang und hörten dann einfach auf. Es ging nur darum, sich das Geld zu beschaffen und damit zu verschwinden. Auf der Strecke blieben die Banken und die BäuerInnen, deren Zuckerrohr verarbeitet wurde.
Wachsende Schulden haben viele KleinbäuerInnen gezwungen, Teile ihres Landes zu verkaufen, die sich Geldverleiher unter den Nagel reißen. Sie berechnen Zinsen zwischen 35 und 60 Prozent. Wird nicht bezahlt, schnappen sie sich einfach das Land. Früher, als die Regierung die Genossenschaftsbanken einführte, verloren die Geldverleiher ihre Kontrolle über die KleinbäuerInnen. Jetzt läuft ihr Geschäft wieder blendend.

Warum nicht etwas anderes anbauen? Viele haben es mit Sojabohnen versucht. Aber auch die Sojapreise sind im letzten Jahr auf die Hälfte eingebrochen. „Was können wir sonst noch anbauen? Wir müssen für den Markt produzieren, weil wir Geld für Arztrechnungen und Schulgebühren brauchen. Es ist auch leichter, bei der Bank Kredit zu bekommen, wenn man Zuckerrohr anbaut. Bisher galt es als stabiles Produkt“, sagt Ramgonda. Aber in dieser Saison hat ein Schädling die Hälfte der Ernte vernichtet. Die Einkommen der BäuerInnen fielen umso magerer aus. Shetgonda Patil, ein anderer Bauer aus Kolhapur, sagt nicht ohne Bitterkeit: „Wir sind an der Zuckerfabrik beteiligt. Wir bauen das Zuckerrohr an. Aber unser Leben ist alles andere als ein Zuckerlecken.“


copyright New Internationalist

Dionne Bunsha ist Korrespondentin des indischen Magazins Frontline (www.flonnet.com)

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