„Brauchen wir das?“

Von Irmi Kirchner · · 1999/04

Mit der US-amerikanischen Aktivistin Beth Borrrows sprach SÜDWIND-Redakteurin Irmgard Kirchner über den weltweiten Einsatz und die Gefahren von Gentechnik.

Beth Borrows ist Direktorin des Edmonds Institute in Washington, einer kleinen NRO, die sich mit Fragen von Umwelt und Technologie, insbesondere mit intellektuellen Eigentumsrechten und Patentierungen von lebenden Organismen beschäftigt.

Borrows ist Mitbegründerin von „Diverse Women for Diversity“, einer Dachorganisation von Frauen aus aller Welt, die sich mit Landwirtschaft, Ernährungssicherheit und Gentechnik beschäftigen.

Borrows nahm an den gescheiterten Verhandlungen des „Biosafety-Protokolls“ der Mitgliedsstaaten der Biodiversitäts-Konvention im kolumbianischen Cartagena teil. Das Biosafety-Protokoll beinhaltet uner anderem Regelungen für Haftung und Risikoabschätzung bei gentechnisch veränderten Organismen.

Was hat sich in Cartagena abgespielt?

Ein häßliches Beispiel unverhohlener Machtpolitik. Ein großes Land, selbst nicht einmal Unterzeichner der Biodiversitäts-Konvention, nutzt seine ökonomische Macht aus, um gemeinsam mit Verbündeten in Kanada, Australien, Argentinien, Uruguay und Chile darauf zu bestehen, daß der Rest der Welt unrecht hat.

Die Delegationsleiterin der USA sagte mir, der einzige Vertrag, der in den USA noch unbeliebter sei als die Konvention über die biologische Vielfalt, ist die Konvention über die Rechte der Kinder. Interessant, dies aus dem Munde einer Frau zu hören. Biologische Vielfalt und Rechte der Kinder sind Zukunftsfragen. Man könnte diese Aussage so interpretieren, daß in den USA die Zukunft nicht populär ist.

Halten Sie den Schutz der Biodiversität für ein spezielles Frauenanliegen?

Ja, Frauen waren immer die Schützerinnnen der Vielfalt. Der Großteil der Bauern der Welt sind Frauen. Sie bewahren das Saatgut und das Wissen, welches Saatgut unter welchen Bedingungen gut ist.

Monokultur ist ein männliches Bestreben. Frauen mögen alle ihre Kinder, so wie sie sind und dafür, wie sie sind. Das liegt nicht in ihren Genen, das ist eine soziale Rolle, die im Laufe der Geschichte geübt wurde.

Wie geht es nach Cartagena weiter?

Die Verhandlnugen werden frühestens in 16 Monaten wiederaufgenommen. In dieser Zeit werden gentechnisch veränderte Organismen weiter verbreitet. Auch in Ländern die keine Kapazität haben, die schädlichen Auswirkungen auf ihre Ökosysteme zu überprüfen.

Was sind Ihrer Meinung nach die größten Gefahren der Biotechnologien – hier und im Süden?

A priori ist Gentechnik weder gut noch schlecht. Sie muß – wie jede Technologie – zuerst geprüft werden. Wenn gentechnisch veränderte Organismen freigesetzt werden, hat das Auswirkungen auf die Umwelt. Wie alle anderen Neuankömmlinge können sie andere Organismen verdrängen, in Konkurrenz um Nahrung treten, in die die Fortpflanzungsmuster existierender Arten eingreifen.

Stellen Sie sich vor, gentechnisch veränderter Mais, wird in einem Diversitätszentrum für Mais gepflanzt. Dort will man Reinheit unter den Wildpflanzen erhalten. Die Pollen einer neuen Art können den Schatz, den man bewahren will, zerstören. Von diesen Diversitätszentren in den Staaten des Südens hängt die ganze Welt ab.

Es gibt keine ausführlichen Langzeitstudien über die Auswirkungen des Konsums gentechnisch veränderter Nahrungsmittel auf die menschliche Gesundheit.

Welche Instrumente des internationalen Rechtes gibt es zum Schutz der Biodiversität?

Nichts, was die Biodiversität vor gentechnisch veränderten Organismen schützt.

Deswegen haben vor allem die Entwicklungsländer auf diesen Vertrag gehofft: eine internationale Reglung, die einen (Mindest)Standard schafft, den man anheben kann oder nicht. Jetzt sind sie gezwungen, nationale Regelungen unter großem Aufwand an Zeit und Geld durchzusetzten.

Was können wir hier in Österreich zum Schutz der Vielfalt tun?

Österreich spielt in Fragen der Gentechnik eine gute Rolle. Drängen Sie Ihr Land dazu, die Verhandlungen des Biosafety-Protokolls voranzutreiben. Bestehen Sie auf der strengstmöglichen Position in Fragen der Kennzeichnung und der Haftung. Wichtig ist innerhalb der EU Lobbyarbeit in die Richtung: Wenn die USA kein Mitglied der Konvention ist, brauchen wir sie auch nicht bei den Verhandlungen. Lobbyarbeit sollte auch bei Kanada, Australien, Chile und Argentinien und Uruguay geleistet werden.

Vielen afrikanischen Staaten zum Beispiel fehlen Geld und Fachleute, um nationale Regelungen durchzusetzten. Europa sollte sie finanziell unterstützen. Auch in dieser Hinsicht kann man bei der österreichischen Regierung Lobbyarbeit betreiben.

Wie wird in der internationalen Diskussion um die Artenvielfalt argumentiert?

In der Biodiversitäts-Konvention geht es um mehrere Bereiche: Schutz der Vielfalt, nachhaltiger Nutzen der Biodiversität, und gerechte Verteilung des Nutzens aus der Vielfalt. Die beiden letztgenannten Bereiche fallen in die Ökonomie. Manche Kritiker lehnen deswegen die Konvention über die Biologische Vielfalt ab. Sie sagen, daß sie einen Markt für Biodiversität erst schafft.

Aber die Konvention hat gute Seiten. Es ist weltweit das einzige Dokument, das die Rechte der indigenen Völker anerkennt. Und Kompensationen vorsieht, wenn man ihre Biodiversität nutzt. Dabei werden Rechte von Gemeinschaften anerkannt. Das ist auch einzigartig. Indigene Völker können sich in Diskussion einbringen. Das allein schon macht die Konvention zu einer guten Sache.

Findet auf internationaler Ebene auch eine Diskussion ethischer Fragen statt?

Sehr selten. Viele Menschen verwechseln Ethik mit Religion oder Moral.

Bei Ethik werden alle nervös. Wir müssen nicht an Gott glauben, um andere Organismen zu respektieren.

Wird nicht jede neue Technologie von Ängsten und Fehleinschätzungen auf Seiten – der Gegner wie der Befürworter – begleitet?

Blicken wir in der Geschichte zurück – auf jene Technolgien, die als segensbringend angepriesen wurden. Die chemische Revolution nach dem Zweiten Weltkrieg hat uns die Ausrottung der Krankheiten versprochen. Dank DDT sollte es eine Welt ohne Insekten geben. Oder die Atomenergie, die als billge, problemlose und unerschöpfliche Energiequelle angepriesen wurde. Heute stehen im Staate Washington einieg nicht fertiggebauter Atomkraftwerke – weil die Menschen sie nicht wollten.

Diese Erfahrung hat uns gelehrt, vorsichtig gegenüber den Versprechungen der neuen Technologien zu sein.

Und zweitens: Die Wahrheit liegt nicht immer in der Mitte. Nicht alles kann verhandelt werden.

Eine Frage, die wir uns bei jeder Technologie stellen müssen ist: Brauchen wir sie? Wenn das Rinderwachstumshormon die Lösung ist, was um Himmels Willen war das Problem?

Es wird immer angeführt, daß die Gentechnik die Welt ernähren kann. Wird gentechnisch verändertes Saatgut etwa gratis in der Welt verteilt? Wird die Gentechnik das Verteilungssystem von Nahrung verändern? Ich bezweifle es.

Viel eher werden fruchtbare Landstriche in fernen Ländern dazu genutzt werden, Nahrung für den Export, für uns im Norden, zu produzieren.

Wenn es eine Risikoabschätzung im Vorfeld und eine klare Reglung der Haftung gibt, sind Sie nicht grundsätzlich gegen Gentechnik?

Ich persönlich nicht. Es gibt Leute, die Gentechnik komplett ablehnen, weil sie in einen so grundlegenden Bereich eingreift. Sie argumentieren auch damit, daß es keinen Anlaß gibt, den Herstellern zu vertrauen.

Gentechnik beim Menschen lehne ich komplett ab. Das ist Eugenik und die assoziiere ich mit einer sehr traurigen Phase der menschlichen Geschichte.

Gentechnik auf den Menschen angewandt ist ein Todesszenario.

Könnte bei steigendem Widerstand gegen die Gentechnik im Norden die Dritte Welt zum Versuchslabor werden?

Das trifft auch für Gebiete im Norden zu, etwa kleine abgelegene Dörfer. Gentechnik ist eine sehr simple Technologie. Einiges kann man bereits Studenten beibringen. Deswegen finde ich das Biosafety-Protokoll so notwendig, damit weltweit Kapazitäten in Fragen der Biosafety aufgebaut werden können.

Ich mache mir um uns alle Sorgen. Denn Gentechnik ist auch über weite Entfernungen hin wirksam. Pollen gentechnisch veränderter Pflanzen fliegen durch die Luft, legen sich an Traktorrädern und am Gefieder der Vögel an.

Aber meine größte Sorge gilt der Dritten Welt, weil sie weniger ökonomische Möglichkeiten haben, Regelungen zu schaffen.

Dort geht es auch um Biopiraterie, den Diebstahl ihrer Pflanzen, Tiere, ihres einzigartigen genetischen Materials, das sie entwickelt und über Generationen bewahrt haben.

Die Kulturen in der Dritten Welt sind großteils Kulturen der Großzügigkeit. Wenn die auf eine Kultur der Gier treffen, gibt es ein Problem.

Wir können diese Kulturen der Großzügigkeit unterstützen, indem wir sicherstellen, daß in unseren Kulturen niemand etwas patentieren oder irgendwie verwerten kann, das von der Dritten Welt ohne Zustimmung entnommen wurde.

Wir danken für das Gespräch.

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