Breites Spektrum

Von Peter Böhm · · 2008/04

Wie groß das nigerianische Filmschaffen wirklich ist, weiß niemand ganz genau, denn die Industrie ist gänzlich aus privater Initiative entstanden und staatlich so gut wie nicht reguliert.

Laut einer Schätzung der Nollywood Foundation, einer Lobby-Gruppe, die in den USA für den nigerianischen Film wirbt, werden in der nigerianischen Filmindustrie jährlich mehr als 500 Filme veröffentlicht. Damit macht die Branche Einnahmen von umgerechnet 135 bis 170 Millionen Euro im Jahr und beschäftigt rund 300.000 NigerianerInnen.
Schätzung – das ist hier das entscheidende Wort. Nach weniger konservativen Schätzungen werden jährlich sogar bis zu 1.500 Filme produziert – was Nollywood den Veröffentlichungen nach zur größten Filmindustrie der Welt machen würde. Den Einnahmen nach steht sie jedoch deutlich hinter Hollywood und Bollywood.
Die Ursprünge der nigerianischen Filmproduktion gehen laut Shaibu Husseini auf die Strukturanpassungsmaßnahmen des Internationalen Währungsfonds (SAP) und die Abwertung des nigerianischen Naira unter Ibrahim Babangidas Militärregierung Mitte der 1980er Jahre zurück. In den 1970ern hatte Nigeria einen Ölboom erlebt, doch mit der Abwertung der Landeswährung verarmte die gesamte Mittelklasse. „Mit einem Schlag hatte das nigerianische Fernsehen kein Geld mehr für Fernsehproduktionen“, erklärt Husseini, „und den Fernsehleuten blieb nichts anderes übrig, als sich nach anderen Möglichkeiten umzusehen.“ Deshalb könnten auch heute noch viele Nollywood-Produktionen ihre Herkunft von der Fernseh-Seifenoper nur schwer verleugnen, meint der Journalist, der über die Jahre für die nigerianische Tageszeitung „The Guardian“ mehr als 300 Interviews mit Produzenten, Regisseuren und SchauspielerInnen geführt hat.

Den ersten großen Publikumserfolg erlebte Nollywood mit dem Film „Living in Bondage“, von dem 1992 innerhalb kurzer Zeit fast eine Million VHS-Kassetten verkauft wurden. Der Film beschreibt den Aufstieg eines Mannes, der sich einem Kult anschließt, seine Ehefrau jedoch für einen Ritualmord opfern muss. Besonders der ungewohnte Umgang mit den Themen Animismus und Zauberei traf einen Nerv in Nigeria und ist seitdem fester Bestandteil vieler Nollywood-Filme. „Unabhängig davon, wo die Geschichte angesiedelt ist“, erläutert Onookone Okome, Professor für Afrikanische Literatur und Kino an der Universität von Alberta/Kanada, „gibt es darin immer das Element der Tradition, die der Moderne gegenüber steht. Die Leute glauben an die moderne Welt, an rationales Denken, das von der europäischen Aufklärung abgeleitet ist. Aber wenn sonst nichts funktioniert, wenden sie sich dem anderen Extrem zu, dem Okkulten.“
Nollywood ist ein extrem weit gefasster Begriff. Er schließt die Streifen anspruchsvoller Filmemacher wie Tunde Kulani ebenso ein wie die in drei Tagen mit wackliger Kamera und sich verhaspelnden SchauspielerInnen zusammen geschusterten Kommerz-Filme. Jedoch bezieht er sich ausschließlich auf englischsprachige Filme, während Filme in den drei wichtigsten nigerianischen Sprachen Yoruba, Ibo und Hausa (die manchmal mit englischen Untertiteln versehen werden) im Allgemeinen nicht dazu gezählt werden. Für die Filmindustrie in Hausa hat sich inzwischen der Begriff Kannywood, manchmal auch Kanowood, durchgesetzt – so benannt nach der Stadt Kano, dem religiösen Zentrum im Norden Nigerias, wo die meisten Hausa-Filme entstehen. Der Norden Nigerias ist muslimisch dominiert, und die Filme dort unterscheiden sich radikal von denen im Süden des Landes.

Für die gesamte nigerianische Filmindustrie gilt jedoch, so Shaibu Husseini, dass sie nur dann weiter so schnell wachsen wird, wenn der Staat eindeutige rechtliche Rahmenbedingungen schafft. „Was wir brauchen ist klar“, sagt Husseini. „Die Industrie selbst muss transparenter werden, damit Investoren von außen angelockt werden. Und die Regierung muss endlich aktiv werden. Nollywood stellt eine riesige Chance dar, Nigeria ein positives Image im Ausland zu geben. Bisher wurde es von der Regierung aber fürchterlich vernachlässigt.“

Peter Böhm ist freiberuflicher Journalist und Buchautor und lebt nach längeren Aufenthalten in Ostafrika und Zentralasien wieder in Deutschland.

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