Brot, Rosen und Mimosen

Von Redaktion · · 2005/03

In vielen Ländern ist der 8. März ein nationaler Feiertag. In anderen nimmt den Internationalen Frauentag nur eine kleine Schicht von Eingeweihten wahr. Ein Blick in die Geschichte von Martina Kopf.

Neapel am Abend des 8. März. Die Restaurants sind mit lauten, lachenden Frauenrunden gefüllt, es ist schwer, noch einen Platz zu finden, wenn man nicht reserviert hat. Nachts sieht man hier sonst selten Frauen, die sich allein oder in kleinen Gruppen ohne Begleitung von Männern entspannt auf den Straßen und in den Lokalen bewegen. Ein Auto saust vorbei, wie so oft schallt die Hupe und im Vorbeifahren wird ein Gejohle durch das herunter gekurbelte Fenster losgelassen. Diesmal sind es jedoch keine Burschen, die sich der Flaneurin womöglich auch noch im Schritttempo an die Fersen heften. Die Insassinnen sind Frauen, ihre Fröhlichkeit beschwingt den eigenen Gang. So könnte sich wohl die Freiheit anfühlen, für die Feministinnen seit Beginn der modernen Frauenbewegungen zu Ende des 19. Jahrhunderts kämpfen. Der Internationale Frauentag am 8. März ist Teil dieser Geschichte.
So ausgelassen wie in italienischen Städten wird er nicht überall gefeiert. Mal war er verboten – wie während des Nationalsozialismus oder in der Türkei der Militärdiktatur – mal wird er nur von einer kleinen Schicht Eingeweihter oder gar nicht öffentlich wahrgenommen. 1977 erklärte die UNO den 8. März zum Internationalen Frauentag. Seine Geschichte ist aber wesentlich älter. Sie wurzelt in Gewerkschaftskämpfen, der Stimmrechtsbewegung und dem Sozialismus in den USA, Europa und Russland zu Beginn des vorigen Jahrhunderts. Wer sich in den verwirrenden, weil je nach Quelle unterschiedlichen historischen Angaben zurecht finden will, muss zuerst wissen, dass der „8. März“ nicht immer am 8. März begangen wurde.
USA 1908: In New York demonstrieren Textilarbeiterinnen für gerechten Lohn und menschliche Arbeitsbedingungen, im Jahr darauf gehen 20.000 bis 30.000 Hemdennäherinnen in einen 13-wöchigen Generalstreik.* Um den Kampf der Arbeiterinnen zu unterstützen, führen die SozialistInnen einen nationalen Frauentag ein. Er findet erstmals am 28. Februar 1909 statt und soll von da an jeden letzten Sonntag im Februar begangen werden. „Wir wollen Brot und Rosen“ wird als Motto der nordamerikanischen Arbeiterinnenbewegung berühmt. 1910 greifen Frauen auf der Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen die Idee auf und beschließen auf Vorschlag Clara Zetkins einen Internationalen Frauentag. Österreich gehört mit Deutschland, Dänemark, der Schweiz und den USA zu den ersten Ländern, in denen er 1911 Wirklichkeit wird.
1913 greifen Russinnen den Internationalen Frauentag auf und wählen dafür den letzten Februarsonntag im Jahr. So auch am 23. Februar 1917: Petersburger Textilarbeiterinnen schlagen alle Warnungen vor Repression in den Wind. Sie brechen anlässlich des Frauentages einen Streik für „Brot und Frieden“ vom Zaun, der sich rasch ausweitet und in die Februarrevolution mündet. Nach gregorianischem Kalender war dies der 8. März. 1921 legt die Kommunistische Frauenkonferenz in Moskau den Internationalen Frauentag auf dieses Datum fest.
Durch das Jahrhundert hindurch bleibt die Geschichte des Frauentages so wechselhaft wie die Geschichte nationaler und internationaler Frauenbewegungen selbst. Reißt der Faden ab, wird er anderswo wieder aufgenommen. „Ich weiß, dass in den 1920er Jahren am 8. März der Tag der arbeitenden Frauen gefeiert wurde. Das wurde aber nicht zur Tradition“, erklärt Dilman, Deutschlehrerin und Übersetzerin in Istanbul. Anders in den Ländern der russischen Föderation, wo der 8. März seit den 1960er Jahren ein nationaler Feiertag ist und Frauen von ihren Männern, Freunden und Kollegen wie in Italien mit Mimosen beschenkt werden. Mit dem Resultat, dass sich feministische Frauen eher davon abwandten: „Ich vermisse den Frauentag nicht“, bekennt die Russin Elena Vorontsova, die heute als Korrespondentin für Radio Free Europe in Wien lebt und sich hier nicht an der alljährlichen Kundgebung beteiligt. Sie verbindet mit dem 8. März noch von Sowjet-Zeit her Versammlungen in den Betrieben, halblustiges Betriebskabarett und öffentliche Ansprachen.

Welche Kämpfe, Geschichten und Traditionen geben dem 8. März heute Inhalt? Vielleicht das, was sich beim Gang durch die Geschichte ablesen lässt: Ob ein Tag zum Kämpfen, zum Feiern oder zum Gedenken, der Internationale Frauentag ist Frauen immer soviel wert wie die Bedeutungen, mit denen sie ihn selbst füllen.


*) Ein eindrucksvolles Bild von den Arbeitskämpfen der vorwiegend jüdischen und italienischen Migrantinnen in den Fabriken New Yorks zeichnet der historische Roman „Sarahs Töchter“ von Elana Dykewomon.

Veranstaltungen weltweit auf www.internationalwomensday.com

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