Burmas verstecktes Gesicht

Von Ines Kohl · · 2002/09

Einst „Goldenes Königliches Land“ genannt, besaß Burma überregionale Bedeutung. Heute, nach Jahrzehnten der Isolation, beginnt das Land mit seinen über 60 ethnischen Minderheiten wieder langsam sein Gesicht zu zeigen. Ines Kohl

Seit genau 40 Jahren wird Burma von einem totalitären Militärregime regiert. Gewalt, Repression, Zwangsarbeit und Bespitzelung stehen an der Tagesordnung in dem Land, das an einer Schnittstelle zwischen indischem, chinesischem und südostasiatischem Einflussgebiet liegt. Die „Wünsche des Volkes“ werden von der Militärjunta selbst formuliert und täglich in Zeitungen publiziert:
Burma ist ein Schmelztiegel ethnischer Vielfalt. Von den 45 Millionen EinwohnerInnen sind zwei Drittel Burmesen und ein Drittel ethnische Minderheiten, die sich sprachlich, religiös und kulturell voneinander unterscheiden. Ein Großteil dieser Minderheiten befand sich nie unter direkter Kontrolle einer burmesischen Regierung und besteht seit jeher auf Autonomie und Selbstbestimmung.
Der erste Versuch einer politischen Einheit wurde 1947 von Bogyoke Aung San, der Leitfigur von Burmas Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft und Vater der Oppositionsführerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, initiiert. Im Panglong-Abkommen vereinbarte er mit Vertretern der größeren Ethnien (Shan, Kachin, Chin) eine teilweise Autonomie, und für Shan und Karenni außerdem das Recht auf Austritt aus der neu gegründeten „Union of Burma“ nach einer Probezeit von zehn Jahren. Andere Minderheiten wie die Karen, Pao, Mon etc. nahmen an den Verhandlungen erst gar nicht teil und äußerten bereits in den ersten Monaten nach der Unabhängigkeit Unzufriedenheit mit der Regierung. Sie sahen ihre Interessen vernachlässigt, rebellierten und nahmen den bewaffneten Widerstand gegen die Zentralregierung in Rangoon auf.

Die internen bürgerkriegsähnlichen Zustände schwächten die Regierung zunehmend und gipfelten 1962 in einem Militärputsch unter der Führung von General Ne Win. Er begründete den Coup mit der Notwendigkeit, Chaos und Anarchie im Land zu verhindern. Ne Win installierte einen Revolutionsrat, löste Parlament und Verfassung auf, etablierte den „Burmese Way to Socialism“ – Verstaatlichung der Wirtschaft, Verbot von Privatunternehmen, Lösung internationaler Vereinbarungen – und führte Burma in die Isolation.
Seit dieser Machtergreifung hat sich in Burma wenig verändert. Die Machthaber wechselten, nicht aber das System. Die Unzufriedenheit mit dem Regime wuchs und gipfelte 1988 in einem Volksaufstand, der blutigst niedergeschlagen wurde und die Hoffnung auf baldigen politischen Wandel zunichte machte. Zwar endete die Ära Ne Wins umit der Einsetzung des SLORC, des „State Law and Order Restoration Council“, einesStaatsrats aus ranghohen Militärs zur „Wiederherstellung von Recht und Ordnung“. Doch abgesehen von einigen ökonomischen Zugeständnissen (Privatisierung) und einer relativen Lockerung der Isolation (Zulassung von Satelliten-TV, Tourismus) traten keine nennenswerten politischen Veränderungen ein. Die neuen Machthaber setzten den repressiven Weg der früheren Diktatur fort.
Zu den SLORC-„Reformen“ zählten eine Umbenennungen: die Hauptstadt Rangoon wurde zu Yangon, der Irrawaddy-Fluss zum Ayeyarwady, und Burma wandelte sich in Myanmar. Diese Änderung sollte den nach Autonomie kämpfenden Minderheiten den Wind aus den Segeln nehmen, denn eine ihrer Forderungen war stets die Loslösung vom burmesischen Kernland. Mit Myanmar sollte eine übergeordnete Kategorie geschaffen werden, die sich nicht mehr rein auf ethnische Burmesen bezieht, sondern die jeweilige eigene Identität sowie die kulturelle Vielfalt betont. Viele Oppositionelle lehnen diese Änderung jedoch ab und bezeichnen sie als Augenauswischerei.
Auch die 1990 zugelassenen Wahlen entpuppten sich als Farce. Die Opposition unter Aung San Suu Kyi erzielte einen haushohen Sieg, der jedoch von den Militärs nicht anerkannt wurde. Die „Demokratische Liga“ wurde verboten, zahlreiche AktivistInnen verhaftet, die Parteiführerin von 1989 bis 1995 und ein zweites Mal von 1995 bis zum vergangenen Mai unter Hausarrest gestellt.

Die politische Stagnation aufgrund mangelnder Bereitschaft seitens der Militärs, sich auf einen demokratischen Dialog einzulassen, brachte eine Reihe oppositioneller Initiativen hervor, die sowohl auf politischer als auch auf künstlerischer Ebene tätig sind.
Die Truppe der „Moustache Brothers“ zum Beispiel verwendet das Pwe, eine traditionelle burmesische Kombination aus Tanz, Musik und Theater, als ihr Ausdrucksmittel für aktiven Widerstand. Früher übte diese Darstellungsform eine soziale Funktion bei religiösen und profanen Festen aus; heute dient sie der satirischen und kritischen Artikulation aktueller Ereignisse. Die „Moustache Brothers“ agieren mit subtilen politischen Anspielungen, die sie schon mehrmals in Schwierigkeiten gebracht haben. Bei einer Festaufführung zur Feier des Unabhängigkeitstages in der Hauptstadt Anfang 1996 verkündeten sie: „Früher wurden Diebe Diebe genannt, heute nennt man sie Kooperationsarbeiter.“ Dieser Witz brachte zweien der „Moustache Brothers“ sieben Jahren Haft ein. Heute sind sie wieder frei und halten unverändert am kulturellen Widerstand fest.

„Die Wände haben Ohren“ sagen die BewohnerInnen Burmas. Die Machthaber bezeichnen das ausgeprägte Spitzelwesen, die Zensur, das semi-militärische Training für öffentliche Bedienstete als Maßnahmen zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung. Zu denen zählen durchaus auch Zwangsarbeit und Zwangsumsiedlungen.
Für das 1996 organisierte „Visit Myanmar Year“, ein Programm zur Förderung des Tourismus, erreichten solche Zwangsmaßnahmen traurige Höchstzahlen. Um den internationalen politischen Druck zu reduzieren und den Eindruck eines wohlhabenden stabilen Landes zu erwecken, sollte Myanmar von seiner besten Seite präsentiert werden.
In Rangoon wurden im Rahmen eines „City Beautification Programme“ unter anderem rund 2000 indische HändlerInnen der Innenstadt gezwungen, ihre Läden in einen Außenbezirk zu verlegen. Auch in Bagan, einer archäologische Sensation von über zweitausend buddhistischen Tempeln, wurde radikal zwangsabgesiedelt. Der Verlust von Eigentum, Arbeit und Landbesitz wird nicht kompensiert, und in den neuen Siedlungen gehört das Land dem Militär. 1994 wurde in Mandalay der aus dem Jahre 1857 stammende Palast König Mindons mit 10.000 ZwangsarbeiterInnen rekonstruiert. Jede Familie musste dafür mindestens eine Arbeitskraft oder das Äquivalent in Bargeld zur Verfügung stellen.

Welcome to Myanmar? Oppositionelle vertreten die Meinung, die Einnahmen aus dem Pauschal-Tourismus flössen ausschließlich in die Taschen der Machthaber, und rufen daher zu einem Tourismus-Boykott auf. Hört man sich in der Bevölkerung um, so dominiert Vertrauen, das in die TouristInnen gesetzt wird. So kann eine verblüffte Besucherin selbst von einem Beamten der Immigrationsbehörde die Aufforderung hören: „Please, when you go home, tell about our situation!“.

Die Autorin ist Ethnologin, Sozial- und Kulturanthropologin, beschäftigt sich primär mit dem Vorderen Orient, ethnischen Minderheiten und den Auswirkungen von Tourismus und hielt sich kürzlich einen Monat in Burma auf.

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