Comeback der Islamisten

Von Peter Böhm · · 2006/12

Im Ferghana-Tal – Teil von Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan – ist der radikale Islam auf dem Vormarsch.

Der Männerchor singt getragen, fast sanft. Wenn man nicht zwischendurch die Wörter „Mujahid“ und „Jihad“ heraushören könnte, müsste man die Musik fast für eine Art Meditationshilfe halten. Dann sieht man rund fünfzig Soldaten mit der grünen Fahne des Propheten im Dauerlauf; im Hintergrund schneebedeckte Bergketten und Männer mit Pakuls, den für die paschtunischen Regionen Afghanistans und Pakistans charakteristischen Mützen, bevor die Kamera schließlich auf einem rund 35-jährigen, etwas dicklichen Mann mit Vollbart ruht, ein Kalaschnikow-Gewehr hinter ihm an die Wand gelehnt.
Das ist der Beginn eines Werbefilms auf DVD der Terror-Gruppe Islamische Bewegung Usbekistans (IMU), erworben in Osch, der größten Stadt im Süden Kirgistans. Diese DVD wird in Osch zwar nicht frei verkauft, aber über einen einheimischen Journalisten war sie nicht schwer zu bekommen. Seiner Einschätzung nach hätten viele religiöse Familien in der Region sie gesehen.
Osch ist eine lebendige Großstadt mit rund 500.000 EinwohnerInnen am östlichen Rand des Ferghana-Tales. Diese von hohen Bergketten eingerahmte, fruchtbare Region mit fast 15 Millionen EinwohnerInnen ist aufgeteilt zwischen Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan. Das Ferghana-Tal gilt als der islamisch-konservativste Teil Zentralasiens.
Wie im umliegenden Bezirk sind fast die Hälfte der BewohnerInnen Oschs Usbeken mit kirgisischem Pass. Das ist ein Relikt aus der Zeit der Sowjetunion, als die Grenzen zwischen den Teilrepubliken willkürlich gezogen wurden. Diese Mischung und die im Vergleich zu Usbekistan relative politische Freiheit in Kirgistan ist es, die die Region von Osch zu einem Zentrum des islamischen Extremismus hat werden lassen.

Die DVDs der IMU in Osch und einige weitere Audio-Botschaften von Tahir Juldashew, dem politischen Kopf der IMU, sind das deutlichste Zeichen, dass der IMU in diesem Jahr ein Comeback gelungen ist. Außerdem gab es fast ein Dutzend Anschläge, die der IMU zugeschrieben werden. Im abgelegenen, bergigen Süden Kirgistans und im angrenzenden Norden Tadschikistans wurden Grenzposten und Gefängnisse überfallen und auf Autos von Offiziellen Anschläge verübt. Aber die Region von Osch ist auch zu einem Zentrum der Hisb-ut Tahrir geworden, einer inzwischen überall in Zentralasien verbotenen, extremistischen Untergrundorganisation, die auf lange Sicht wohl gefährlicher für die säkularen Regime in Zentralasien sein wird als die IMU.
In seiner Rede auf der DVD bestreitet IMU-Chef Juldaschew Pressemeldungen vom Anfang des Jahres, dass er mit russischen und US-Geheimdienst-Mitarbeitern zusammengearbeitetet habe. Ganz im Gegenteil, sagt er, sein Verhältnis zu Usama bin Laden sei nach wie vor eng. Aber eine Passage in Juldaschews Audio-Botschaft zum 11. September hat die Regime der Region aufhorchen lassen. Darin droht er mit Anschlägen auf die Präsidenten Usbekistans, Kirgistans und Tadschikistans: „Wir erinnern Karimow, Bakiew und Rachmanow daran, dass sie für die Verfolgung der Muslime bestraft werden – in diesem Leben wie auch vor dem himmlischen Gericht.“
Ob die IMU zu solchen Terroranschlägen in der Lage wäre, ist fraglich, aber allein ihre Androhung ist schon erstaunlich, denn für viele ExpertInnen wurde die IMU im Krieg der USA gegen die Taliban in Afghanistan zerschlagen.

Die Anfänge der IMU gehen auf Mitte der 1990er Jahre zurück, als die zwei jungen Usbeken Juma Namangani und Tahir Juldaschew im tadschikischen Garm-Tal eine Guerilla-Armee aufbauten. Dieses abgelegene Bergtal, östlich der Hauptstadt Duschanbe, war damals die Hochburg der islamistischen Opposition im tadschikischen Bürgerkrieg. Als die Bürgerkriegsparteien 1999 jedoch ihr Friedensabkommen umsetzten, musste die IMU nach Afghanistan umziehen. In den Sommern 1999, 2000 und 2001 führte sie von dort kleine Guerilla-Feldzüge nach Usbekistan und Kirgistan.
Beim Angriff der US-Armee im Herbst 2001 auf den Norden Afghanistans wurde Namangani getötet, und im Sommer 2004 gab die pakistanische Armee bekannt, dass sie Juldashew in Nord-Waziristan eingekesselt habe; einige Tage später meldete sie jedoch, dass er schwer verletzt fliehen konnte.
In Kara Suu, dem Grenzstädtchen zu Usbekistan, 20 km westlich von Osch, ist es aber die Hisb-ut Tahrir und nicht die IMU, die von sich reden macht. Nach einem lokalen Zeitungsbericht gibt es in der kirgisischen Stadthälfte mit 30.000 EinwohnerInnen allein drei- bis viertausend AnhängerInnen der Hisb-ut Tahrir. Ajuba Mascharipow, einer ihrer mutmaßlichen Anführer dort, sieht kein Problem darin, ein Interview mit seinem Namen zu geben.
Er wohnt in einem flachen, weiß getünchten Haus direkt am Grenzflüsschen. Eine Kuh steht hinten in seinem Hof. Er erzählt, er verkaufe Plastikschuhe auf dem großen Markt von Kara Suu, einer eigenen kleinen Stadt, gebaut aus Schiffscontainern, in die täglich bis zu 50.000 Leute vor allem aus Usbekistan, strömen um billige Waren aus China einzukaufen.
Mascharipow ist Ende 30, er trägt eine Baseballmütze mit der Aufschrift „Deutsche Vermögensberatung“. Er wolle einzig über die Ziele der Hisb-ut Tahrir sprechen, nicht über ihre Struktur, stellt er die Spielregeln klar. Das erklärte Ziel der Hisb-ut Tahrir ist, das islamische Kalifat wieder einzuführen, und auch Mascharipow macht aus seiner anti-demokratischen Einstellung kein Hehl: „Das Gesetz Gottes und die Demokratie beißen sich, weil die Demokratie vom Menschen geschaffen ist, aber der Mensch kann sich nicht einfach seine eigene Ideologie erfinden.“
Die Hisb-ut Tahrir, Arabisch für „Partei der Befreiung“, wurde 1953 vom palästinensischen Richter Takijudin Al Nabhani gegründet. AnhängerInnen hat sie jedoch fast ausschließlich in Europa und den zentralasiatischen Ländern der vormaligen Sowjetunion. Bis vor einigen Monaten war das Hauptquartier der Hisb-ut Tahrir noch in London. Wie in anderen europäischen und zentralasiatischen Ländern ist sie nun jedoch auch in Großbritannien verboten. Aber rasante Verbreitung erlebt sie ohnedies vor allem in Zentralasien. Ursprünglich hatte die Organisation vor allem auf Usbekistan gezielt, das Land mit der längsten islamischen Tradition in der Region, aber inzwischen sind ihre Flugblätter sogar schon im russischen Astrachan am Kaspischen Meer aufgetaucht.
In seinem Land, sagt der kirgisische Politologe Leonid Bondaretz, habe die Organisation bis zu 15.000 AnhängerInnen. Parlamentsabgeordnete hätten die Strukturen der Hisb-ut Tahrir für ihren Wahlkampf genutzt, und der heutige Ombudsmann des kirgisischen Parlaments, Tursunbai Bakir-Uluu, sei im Präsidentschaftswahlkampf im vergangenen Jahr mehr oder weniger offen als Vertreter der Hisb-ut Tahrir aufgetreten.
Von den zentralasiatischen Regimen wird Hisb-ut Tahrir-Mitgliedern immer wieder vorgeworfen, an Gewaltaktionen beteiligt zu sein. Wie Mascharipow weist das die Organisation zurück, aber wie ambivalent Mascharipows Einstellung zur Gewalt ist, zeigt seine Lobeshymne auf IMU-Chef Tahir Juldaschew und seine AnhängerInnen. Er vergleicht sie mit den Basmatschi, islamistischen Guerillas, die in den 1920er und 1930er Jahren in den kirgisischen und tadschikischen Bergen gegen die Sowjetunion kämpften: „Vor siebzig Jahren haben unsere Großväter gesagt: Ihr werdet schon sehen! Heute gelten unsere Großväter als Helden. Denken Sie nicht, dass in einigen Jahren die IMU Helden sein werden?“

Das Muster der säkularen Regime in Zentralasien, jegliche Strömung des Islam als Bedrohung wahrzunehmen und die Religionsfreiheit einzuschränken, macht den Kampf gegen den islamischen Extremismus nicht einfacher. Schon im Jahr 2003 zum Beispiel verordnete das tadschikische Erziehungsministerium, dass alle Schulkinder Uniform tragen müssen. Auch wenn diese Verordnung vom Obersten Gerichtshof für verfassungswidrig erklärt wurde, wird sie doch immer wieder von Schulleitern benutzt, um Mädchen mit Kopftuch vom Unterricht auszuschließen. Und der Rat der islamischen Geistlichen, das höchste spirituelle Gremium der Muslime in Tadschikistan, erließ eine Fatwa, dass Frauen nicht öffentlich beten sollen. Diese Entscheidung hat keine Gesetzeskraft, dennoch hat die Polizei in einigen Städten Frauen am Betreten von Moscheen gehindert.
Auch in Kirgistan berichten Frauen mit Kopftuch an Schulen und Universitäten von Benachteiligungen. Aber in Usbekistan ist die Situation für Muslime am schlimmsten. Alle Moscheen müssen staatlich registriert werden, jeder Aspekt religiösen Lebens wird staatlich überwacht. So müssen Männer mit Bärten oder Frauen mit Kopftuch damit rechnen, auf der Straße von der Polizei angehalten zu werden.

Der Autor ist freiberuflicher Journalist. Er besuchte Zentralasien im vergangenen Oktober.

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