Dankbare Kinderaugen

Von Benjamin Kuscher · · 2000/01

In Wien trafen einander VertreterInnen von Nicht-Regierungsorganisationen und diskutierten über eine finanziell bewährte, doch ethisch umstrittene Möglichkeit der Mittelaufbringung: die Kinderpatenschaften.

Auch wenn das Spektrum der Nicht-Regierungsorganisationen und gemeinnützigen Vereine in der Entwicklungshilfe immer breiter wird, so leiden alle diese Organisationen unter einem gemeinsamen Problem. Egal, welche politischen, menschenrechtlichen oder sozialen Ziele sie verfolgen, alle müssen mit der Knappheit ihrer Ressourcen zurechtkommen. Die Finanzierungsmöglichkeiten sind zwar weit gestreut und erstrecken sich vom Spendenmarkt über Sponsoren bis zur Finanzierung durch staatliche Gelder, doch reichen die finanziellen Mittel immer weniger. So machen sich viele Organisationen auf die Suche nach neuen Möglichkeiten.

Eine davon, und eine der umstrittensten, ist die Kinderpatenschaft. Ist diese nun ein entwicklungspolitisches Instrument oder „nur“ eine wirksame Fundraisingmathode?

Die Idee der Kinderpatenschaft für die Ärmsten der Armen hatte bereits 1949 Rot Pierce, ein US-amerikanischer Journalist im ersten Indochinakrieg. Er gründete die Organisation „World Vision“ und baute mit den finanziellen Mitteln aus den Kinderpatenschaften mehrere Waisenhäuser in Indochina. Durch seine Idee entstand eine neue, persönliche Art des Spendens. Die Spende kam keiner anonymen Organisation, sondern einem bestimmten Kind zugute.

Mit diesem persönlichen Ansatz konnte „World Vision“ bisher 1,4 Millionen Patinnen und Paten weltweit gewinnen. Allerdings gab es in den letzten 50 Jahren einen mehrfachen Wandel in der Struktur der Organisation. Heute gehen die Gelder aus den Patenschaften nicht mehr direkt an die Kinder und deren Familien, sondern vielmehr an Projekte, in deren Einflussbereich das Patenkind lebt. Den Paten wird zwar weiterhin der persönliche Kontakt zu „ihren“ Kindern garantiert. Da eine direkte finanzielle Unterstützung der Kinder aber Neid und Ungerechtigkeiten in der Gemeinschaft hervorrufen würde, werden mit den Geldern der PatInnen Strukturverbesserungen in den Projektgebieten vorgenommen.

Die Kritik an der „Kinderpatenschaft“ bezieht sich genau auf diesen persönlichen Bezug. Heinz Hödl von der österreichischen Dreikönigsaktion ist der Meinung, dass die Patenschaften den Blick auf die Ursachen verstellen und eine internationale Mitverantwortung verschweigen. Weiters stimmten sehr oft die Werbung und der Spendenzweck nicht überein. Es wird mit einem bestimmten Kind um die Spende geworben, aber anstelle der direkten Auszahlung der Gelder an ein Patenkind werden Projekte der Hilfe zur Selbsthilfe durchgeführt.

Die Dreikönigsaktion stößt sich nicht an den einzelnen Projekten von „World Vision“, sondern vielmehr an der irreführenden Werbung, die auch die politischen Zusammenhänge verschleiert.

Genau dieser Vorwurf der schlechten oder irreführenden Information wird aber von „World Vision“ vehement bestritten. Die Anwerbung von neuen Paten lauft zwar über kurze Spots im Radio und Fernsehen, die sich auf die emotionale Ebene beschränken, aber bereits nach dem ersten Kontakt werden die potentiellen UnterstützerInnen mit sehr umfangreichen Informationen über die Projekte und deren Umfeld bedient.

Wolfgang Eisert, Marketingleiter von World Vision Deutschland, sieht in diesem persönlichen Ansatz seiner Organisation nicht nur eine effiziente Fundraising-Methode, sondern auch eine besonders gute Möglichkeit, auf die Probleme der Dritten Welt aufmerksam zu machen. Durch diese Personifizierung wird ein vollkommen anderer Personenkreis zum Spenden animiert und auch informiert als bei den herkömmlichen Aufrufen der katholischen Caritas oder der evangelischen Diakonie.

„Neue Personenkreise ansprechen, um das Spendenaufkommen zu maximieren“ – das ist auch das Ziel von Fundraising. Spendenmaximierung durch direktes und auch aggressives Marketing kann zwar für die einzelnen Hilfsprojekte der EZA-Organisationen von großem Vorteil sein. Da aber dadurch deren Ansehen und auch das Vertrauen in die Organisationen abnehmen könnte, ist diese Finanzierungsmethode sehr umstritten. Mit einer emotionalen Werbung kann das Spendenaufkommen kurzfristig und ohne großen Aufwand enorm gesteigert werden.

Natürlich gibt es viele Überlegungen, wie der Spendenmarkt effizienter genutzt werden kann, ohne das Ansehen der Organisationen dabei zu gefährden. Gerhard Bittner, Leiter des Österreichischen Institutes für Spendenwesen, fordert die bedingungslose Offenlegung der Finanzverwaltung der Hilfsorganisationen. Anhand eines Kriterienkataloges sollen ab dem heurigen Jahr die effiziente Nutzung der Spenden beurteilt und den NGOs Spendengütesiegel verliehen werden.

Auch Herbert Witschnig, ehemaliger Geschäftsführer für den Bereich Fundraising bei Greenpeace Österreich und seit 1997 Prokurist bei SAZ Marketing Service, lieferte durch seinen Vortrag einige Ideen und Ansätze für eine Neugestaltung der Spendenpolitik im entwicklungspolitischen Bereich. Die Kosten für Fundraising sollten steuerlich absetzbar sein, da die Neuspendergewinnung eine Investition in die Zukunft darstellt und sich oft erst nach Jahren amortisiert.

Bei World Vision liegt derKostenaufwand für die Neugewinnung einer Patin oder eines Paten unter 10 % seiner durchschnittlichen Spende. Dies kann nur dadurch erreicht werden, dass die Treue der PatInnen besonders hoch ist. Durchschnittlich bleiben sie beinahe sieben Jahre bei World Vision.

Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, die Spendengewinnung auf mehrere Standbeine zu stellen. Kurzfristige Kampagnen können zwar bei Katastrophen hilfreich sein, aber um langfristige Projekte planen und auch durchführen zu können, ist man auf die Treue seiner SpenderInnen angewiesen. Offenbar ist dies der Grund für den weltweiten Erfolg von World Vision.

Die Rolle der Medien wurde ebenfalls überdacht. Zu gerne erfinden große Medien neue Spendenkampagnen, anstatt auf bewährte Organisationen zurückzugreifen. Fernsehen und Kleinformate entscheiden nicht nur über Erfolg und Misserfolg einer Spendenorganisation, sondern beeinflussen auch den Staat bei der Vergabe seiner Fördergelder. Der Wunsch aller bei der Tagung vertretenen Organisationen war es, dass die Medien objektiv von außen über die Projekt berichten sollten.

Der Autor beendete sein Studium der Politikwissenschaft und Geschichte in Wien mit einer Diplomarbeit über die wirtschaftliche Entwicklung Simbabwes und ist derzeit Zivildiener bei der Südwind-Agentur.

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