Das Auge des Rassismus

Von Hakan Gürses · · 2001/02

Vielfalt der Kulturen – gut und schön und interessant. Doch wie sieht es damit in der nächsten Umgebung aus? Noch dazu in Zeiten des Wahlkampfes? Auch gut gemeinte Argumente der Verteidigung sind ziemlich daneben, meint Hakan Gürses in diesem Kommentar.

Die „kleinen“ Männer und Frauen betrachten Personen mit dunkler Hautfarbe in einem Gefühlsgemisch aus Angst, Irritation und Feindlichkeit – und veranstalten in den Sommermonaten Sonnengrillorgien mit verheerenden dermatologischen Folgen, nur um eine etwas dunklere Hautfarbe zu bekommen.
Ist das nun ein Gegenargument? Kann man dem alltäglichen Rassismus dadurch beikommen, dass man dem Herrn und der Frau Österreicher den Spiegel ihrer inkonsistenten Denkweise vorhält? Bereits in der Wortwahl (nicht nur der „kleinen“ Leute) würden wir auf eine enorme Bandbreite von feinen Unterschieden stoßen. Was beispielsweise bei den anderen Hautfarbe ist, wird am eigenen Körper „Teint“ genannt. Der rassistische Blick sieht zudem nicht bloß die Farbe, wenn er sich auf die Haut der „Fremden“ richtet. Er sondiert viel tiefer, tastet sich Schicht für Schicht vor, um ins Land der natürlichen Differenzen vorzudringen. Wo es auch hinblickt: Das Auge des Rassismus sieht überall dicke Trennlinien.

Die Wiener Gemeinderatswahlen 2001 würden als „Ausländerwahlkampf“ geführt, kündigte die FPÖ schon im Herbst an. Die humanistische, aufklärerische Seite steht (nicht erst heute) ohne effiziente Gegenkonzepte da und versucht, übermäßigen Verzehr von Döner-Kebab-Sandwiches als antirassistische Intervention gelten zu lassen. Tatsächlich gewinnt das Verhältnis zwischen Antirassismus und „Leit- versus Multikultur“-Debatte im Rahmen der Wiener Wahlen erneut an Brisanz.

In den letzten Jahrzehnten entstanden fünf Argumentationsstränge gegen Fremdenfeindlichkeit, die allesamt problematisch bis kontraproduktiv sind. Sie lauten wie folgt:

1. Das Drecksarbeit-Argument: „Ausländer machen für uns die Drecksarbeit, zu der kein Österreicher bereit ist. Ohne kloputzende Ausländer würde unser Wohlfahrtssystem zusammenbrechen.“
Dieses Argument tut genau das, was rassistische Bewegungen mit anderen Mitteln erreichen wollen: die Degradierung bestimmter Menschen auf eine Funktion („Kloputzen“) und eine ethnischkulturell bedingte Existenz als unterbezahlte SklavInnen. Auch die in jüngerer Zeit um sich greifende noblere Version des Arguments – qualifizierte Arbeitskräfte aus den Dritte-Welt-Ländern würden dem Wirtschaftsstandort Österreich (oder Deutschland etc.) zum Erfolg verhelfen – kann bloß in ein „Zwei-Klassen-AusländerSystem“ münden, nicht aber in effektiven Antirassismus.

2. Das Lendenkraft-Argument: „Ohne Angehörige aus den Drittstaaten können wir den (europaweiten) Bevölkerungsrückgang nicht aufhalten.“
Hier haben wir es mit einer biologischen Variante des DrecksarbeitArguments zu tun: Das, was rassistische Diskurse den Menschen aus der südlichen Hemisphäre als kulturelle Eigenschaft unterstellen, wird hier als Vorzug in deren Körper eingeschrieben: das übersteigerte Fortpflanzungsverhalten. „Kinder statt Inder!“ ergibt sich dann wie von selbst.

3. Das Bereicherungs-Argument: „Die AusländerInnen sind eine kulturelle Bereicherung für uns.“
Dieses Urargument des Multikulturalismus schreibt den MigrantInnen die abendlandrettende kulturelle Aufgabe zu, besonders wenn die Abnahme der Arbeit am Nachwuchs oder im Dreck keine Akzeptanz nach sich zieht. Wer aber bestimmt, was eine Bereicherung darstellt und was „inakzeptable kulturelle Praktiken“? Durch das Bereicherungsargument wird ein Gefängnis errichtet, das Kultur heißt. Und die „Leitkultur-Debatte“ ließ nicht lange auf sich warten.

4. Das Angst-Argument (wechselt oft zwischen AntirassistInnen und RassistInnen den/die BesitzerIn): „Fremde haben immer und überall – verständliche – Angst ausgelöst; wir haben das Fremde in uns; Gast war immer auch Gott: fremd und Teil des Selbst zugleich“, etc.
Diese anthropologischen Gemeinplätze lassen bloß die Frage unbeantwortet, warum etwa in Österreich TürkInnen, Roma oder AfrikanerInnen als die „Fremden“ und das „radikale Andere“ betrachtet werden und nicht etwa NorwegerInnen. Schließlich zu erwähnen ist noch…

5. Das spezifisch-österreichische Telefonbuch-Argument: „Schaut euch die tschechischen Namen im Telefonbuch an!“
Dieses Argument will die Schmelztiegel-Tradition der Monarchie wachküssen. Vergessen wird dabei, dass aus der Vielvölkermonarchie inzwischen ein Nationalstaat geworden ist und aus Hojac ein Westenthaler.

Wir „helfen“ nicht MigrantInnen und AsylantInnen, wenn wir den Rassismus bekämpfen. Der Rassismus ist ein endogenes Problem von Nationalstaaten, und seine Bekämpfung darf sich nicht in „Pro-Ausländer“-Argumenten erschöpfen.
MigrantInnen und AsylantInnen, die gegenwärtig bevorzugte Zielscheiben des Rassismus darstellen, sind allerdings aus der Rolle als Objekte der mitunter rassistischen Politik zu befreien, indem sie selbst zu politischen Subjekten werden. Rechtliche Gleichstellung und politische Partizipation sind Voraussetzungen für eine effektive Bekämpfung des „fremdenfeindlichen“ Rassismus. Antirassistische Initiativen können sinnvollerweise emanzipatorische Initiativen von Minoritäten unterstützen und mit ihnen Allianzen schließen.

Ein ermutigendes Beispiel hierfür liefert die eigens für die Gemeinderatswahl gegründete „Wiener Wahl Partie“ – eine Initiative von MigrantInnen und Nicht-MigrantInnen mit dem Ziel, Migrationsminderheiten als WählerInnenpotential in die öffentliche Debatte einzubringen. Ein sichtbares, daher schlagendes Argument. Steht aber nicht im Telefonbuch.

Hakan Gürses ist Philosoph und Chefredakteur der Zeitschrift „STIMME von und für Minderheiten“.

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