Das Narrenhaus

Von Eduardo Galeano · · 2003/03

Der schlimmste Terrorist unserer Zeit ist der Markt, meint der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano.

Die Welt ist in einem Zustand des Terrors gefangen, während der Terror selbst sich dauernd versteckt: an einem Tag ist Saddam Hussein, am nächsten Tag ist Usama bin Laden das professionelle Schreckgespenst.
Die Panik wird aber vom so genannten ‚Markt‘ verursacht. Diese Kreatur hat nichts gemein mit jenem Platz, an dem Sie gewöhnlich Früchte und Gemüse einkaufen. Er ist ein gesichtsloser und allmächtiger Terrorist, der überall auf der Lauer liegt – eine Art von Gott. Und wie Gott glaubt er, unsterblich zu sein. Seine zahlreichen VertreterInnen machen regelmäßig Aussendungen und geben Warnungen an die Öffentlichkeit: „Er reagiert nervös“ oder „Nur nicht reizen!“.
Um Krieg zu stiften, sät der Markt Ängste aus. Und die Angst schafft das richtige Klima. Das Fernsehen sorgt dafür, dass die Zwillingstürme New Yorks jeden Tag zusammenbrechen. Welche Folgen hat die Anthrax-Panik gezeitigt? Es hat nicht nur einen offiziellen Bericht gegeben, der praktisch gar nichts rund um die tödlichen Briefe aufklärt – sondern auch eine spektakuläre Zunahme des US-Militärbudgets.

Das Vermögen, das dieses Land für die Industrie des Tötens ausgibt, ist mehr als ein Trinkgeld. Die Ausgaben für knapp eineinhalb Monate würden ausreichen, um die Armut in der Welt auszulöschen, wenn das Zahlenspiel der Vereinten Nationen stimmt.
Jedes Mal, wenn der Markt es befiehlt, leuchtet die rote Warnleuchte des Terrormeters auf – des Apparats, der jeden Verdacht in Gewissheit verwandelt. Präventiv-Kriege töten im Zweifel – nicht auf Grund von Beweisen. Die Toten werden schon verstehen, dass der Irak die zweitgrößten Erdölreserven auf der Welt besitzt – genau das, was der Markt braucht, um genug Treibstoff für die irrsinnige Verschwendungssucht der Konsumgesellschaft bereitzustellen.

Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Gefürchtetste im Land? Die imperialen Mächte monopolisieren, als ein Naturrecht, die Massenvernichtungswaffen.
Zu Zeiten der Eroberung Amerikas – während das entstand, was man heute den globalen Markt nennt – haben die Pocken und die Grippe mehr Eingeborene umgebracht als das Schwert und die Muskete. Die erfolgreiche europäische Invasion hat viel den Bakterien und Viren zu verdanken. Jahrhunderte später sind diese gottgesandten Verbündeten zu Kriegswaffen in den Händen der großen Mächte geworden. Eine Hand voll Länder monopolisiert die biologischen Arsenale. Vor ein paar Jahrzehnten erlaubten die USA, dass Saddam Hussein Bomben mit Epidemie-Erregern über den Kurden abwarf. Damals war er ein Liebkind des Westens und die Kurden hatten eine schlechte Presse. Tatsache ist jedenfalls, dass die bakteriologischen Sprengköpfe bei einer Firma in Rockville, Maryland gekauft wurden.
In militärischen Belangen predigt der Markt die Freiheit, aber am Wettbewerb hat er überhaupt keinen Gefallen. Das Angebot konzentriert sich in ganz wenigen Händen, was natürlich der universellen Sicherheit dient. Saddam Hussein jagt viel Angst ein. Die Welt zittert. Die furchtbare Bedrohung: Irak könnte wieder bakteriologische Waffen einsetzen, oder noch schlimmer, er könnte irgendwann Nuklearwaffen entwickeln. Die Menschheit darf eine solche Gefahr nicht dulden, verkündet der gefährliche Präsident des einzigen Landes, das Nuklearwaffen zur Ermordung von Zivilisten eingesetzt hat.

Die Aussichten für das neue Millenium: Menschen, die nicht wissen, ob sie am nächsten Tag etwas zu essen oder ein Dach über dem Kopf haben werden – Menschen die nicht wissen, was aus ihnen wird, falls sie krank werden oder einen Unfall haben; Menschen, die nicht wissen, ob sie am nächsten Tag noch eine Arbeit haben oder ob sie doppelt so viel arbeiten müssen, um die Hälfte zu verdienen; Menschen, die nicht wissen, ob ihre Pension nicht schon von Wölfen an der Börse aufgefressen oder von Inflationsmäuschen zernagt ist; Bürgerinnen und Bürger, die unsicher sind, ob sie nicht schon morgen an der nächsten Straßenecke überfallen oder in ihrer Wohnung ausgeraubt oder von einem Verzweifelten niedergestochen werden; Bauern, die nicht wissen, ob sie morgen noch ein Land zum Bestellen haben; Fischer, die nicht wissen, ob sie noch ein Gewässer finden, das nicht verseucht ist; Menschen und Länder, die nicht wissen, wie sie morgen ihre – vom Wucher aufgeblähten – Schulden zahlen können.
Werden diese täglichen terroristischen Attentate auch zum Teufelswerk der Al Quaida gehören? Die Attentate der Wirtschaft stehen in keiner Zeitung.

Niedrige Kosten, hohe Gewinne, keine Kontrolle: Ein Erdöltanker bricht entzwei und die tödliche schwarze Flut ergießt sich über die Küsten von Galizien in Spanien und darüber hinaus.
Erdöl, das rentabelste Geschäft der Welt, schafft Vermögen und Natur-Katastrophen. Die giftigen Gase, die mit dem Erdöl in die Atmosphäre gelangen, vernichten dort die Ozonschicht und machen das Klima verrückt. In Äthiopien und in anderen afrikanischen Ländern verurteilt die Trockenheit Millionen Menschen zur größten Hungerkatastrophe der letzten 20 Jahre, während Deutschland und andere europäische Länder von einer Überschwemmungskatastrophe heimgesucht werden, wie es sie in den letzten 50 Jahren nicht gegeben hat.
Und Erdöl löst Kriege aus. Armer Irak!

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Kürzung: SÜDWIND-Magazin.

Eduardo Galeano, Schriftsteller und Journalist aus Uruguay, ist Autor von u.a. „Die offenen Adern Lateinamerikas“ und „Erinnerungen an das Feuer“.

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