Dem Chamäleon Rassismus begegnen

Von Redaktion · · 2000/03

Globales Lernen wird seit einigen Jahren als Schlüssel zu zielführender entwicklungspolitischer Bildungsarbeit betrachtet. Wie ist die Verbindung hin zu antirassistischer Bildung? Darüber sprach Brigitte Pilz mit den Bildungsreferenten der Südwind-Agentur

Südwind: Angesichts der politischen Situation in Österreich, fühlen Sie sich als Vertreter einer Bildungsagentur speziell herausgefordert?

Halbartschlager: Bildungsarbeit kann meines Erachtens nur mittelfristig wirksam sein. Sie ist eher auf nachhaltiges Arbeiten, auf Veränderung von Einstellungen und Wertvorstellungen ausgerichtet. Das kann aber nicht heißen, dass kurzfristige politische Entwicklungen in der Bildungsarbeit nicht aufgegriffen werden sollten. Rasche Lösungen sind davon aber nicht zu erwarten.

Grobbauer: Ich sehe ein Spannungsfeld zwischen unserer Arbeit, die sich in den letzten Jahren sehr stark in Richtung Globales Lernen entwickelt hat, und den Anforderungen aus der Innenpolitik. Beim Globalen Lernen werden alle Themen, mit denen sich die Bildung beschäftigt, in globalem Zusammenhang gesehen. Wenn man aber die aktuelle politische Situation in Österreich betrachtet und eben auch versucht, stärker in Richtung antirassistische Bildungsarbeit zu gehen, impliziert das natürlich schon, sich stärker mit der innerösterreichischen Situation auseinander zu setzen. Dabei sehe ich aber die Gefahr, dass der globale Ansatz zu kurz kommt.

Südwind: In politisch schwierigen Zeiten wird schnell der Ruf nach besserer, anderer Bildung laut. Ist das gerechtfertigt und zielführend?

Grobbauer: Ich würde sagen, es werden zu viele Forderungen gestellt, und sie sind zu einseitig. Die Problemlösungen werden zu linear vom Bildungssystem erwartet, wo das Gemeinwesen, der Gesetzgeber etc. gefordert sind. Wenn die Bildung zum Management für Katastrophen werden soll, dann kann dies nicht funktionieren.

Südwind: Wenn Sie vom Globalen Lernen sprechen, was verstehen Sie darunter? Die Methodenvielfalt wird ja bereits vielfach praktiziert: Überall wird in Seminaren getanzt, getrommelt und gekocht.

Grobbauer: Es geht nicht allein um die Methoden. Wenn ich diese isoliert einsetze, kann ich genau so Vorurteile und Klischees verfestigen. Für uns heißt Globales Lernen Fragen, Inhalte und Lösungen in globalen Zusammenhängen zu sehen, sie in globale Bezüge zu bringen. Es ist nicht die zentrale Frage, um welche Themen es in unserer Arbeit geht, sondern, welchen Blickwinkel man wählt. Wichtig ist es, bei jedem Thema eine globale Perspektive zu haben.

Südwind: Wenn ich das Thema Rassismus betrachte, wie sieht die globale Perspektive aus? Würde ich beim Globalen Lernen stärker zum Beispiel die Herkunftsländer von Ausländern, die Gründe für Migration etc. betrachten?

Halbartschlager: Auch. Global ist aber nicht nur geografisch zu verstehen, das Lernen sollte auch den ganzen Menschen umfassen. Unter Globalem Lernen verstehe ich in diesem Zusammenhang, dass man die Gefühlslage des Flüchtlings, der Ausländerin, des Fremden einbezieht, aber auch jene des Schülers und der Schülerin. Es geht zum Beispiel um Perspektivenwechsel, um den Versuch, sich in den Flüchtling zu versetzen.

Südwind: Wenn ich Globales Lernen bisher richtig verstanden habe, so ist die antirassistische Bildung „nur“ ein Thema davon.

Halbartschlager: So ist es. Das Globale Lernen ist integrativ und schließt viele andere pädagogische Konzepte ein. Antirassistische Bildung ist ein Teil davon.

Südwind: Aber ist es nicht ein Thema, das stärker konfliktbeladen ist, als manche andere Themen? Wie geht man mit diesen Konflikten um?

Grobbauer: Bei Globalem Lernen entwickelt es sich sehr rasch, dass die Themen mit dem eigenen Umfeld, der eigenen Lebenswelt, mit der eigenen Person zu tun haben. Das heißt, wenn man zum Beispiel Menschenrechte behandelt, betrifft dies neben der Situation in den Entwicklungsländern ebenso das Umfeld des Schülers, betrifft Gewalt in der Familie, in der Schule usw. Guter Unterricht greift solche Konflikte auf und bearbeitet sie.

Südwind: Was will man letztlich in der antirassistischen Bildung via Globales Lernen beim Schüler und der Schülerin erreichen?

Halbartschlager: Letztlich geht es um die Festigung der eigenen Identität. Wenn jemand sich seiner eigenen Identität sicher ist, dann ist er gegen Anfechtungen einer rassistischen Umwelt eher gefeit, dann anerkennt er auch andere Personen in deren Identitäten. Daraus erwächst Toleranz.

Südwind: Die EU-Rassismus Beobachtungsstelle in Wien hat festgestellt, dass der Rassismus in ganz Europa zugenommen hat. Hat die Bildungsarbeit versagt?

Halbartschlager: Es wären insgesamt Strukturveränderungen in unserer Gesellschaft erforderlich. Wie schon eingangs gesagt wurde, kann die Bildung allein das nicht schaffen.

Grobbauer: Man darf nicht vergessen, dass Bildung – wenn es keine strukturellen Veränderungen gibt – im gleichen gesellschaftlichen Umfeld verhaftet bleibt.

Halbartschlager: Bildungsarbeit wirkt langsam, das muss man auch sagen. Beispiel Holocaust: Erst nach 50 Jahren hat sich durchgesetzt, dass der Holocaust in Schulen flächendeckend als das schrecklichste Geschehen im letzten Jahrhundert dargestellt wird. Wenn man jetzt sieht, dass der Rassismus zunimmt, ist die Bildungsarbeit gefordert, das rasch aufzugreifen, die Wirkung dieser Arbeit ist jedoch erst in Jahren erkennbar.

Südwind: Lässt unser System Schule genügend Freiraum für Globales Lernen und antirassistische Bildung?

Grobbauer: Globales Lernen verlangt nach einer Kombination von neuen Inhalten und anderer Methodik wie Offenes Lernen, selbständiges Arbeiten und auch fächerübergreifendem Unterricht. Das setzt natürlich voraus, dass man interdisziplinäre Zugänge zu einem Thema hat. Die einzelne Lehrerin oder der Lehrer sind stärker gefordert, wichtig ist auch die Teamarbeit zwischen ihnen. Unterricht in 50-Minuten-Einheiten sollte gelockert und die Elternperspektive hereingeholt werden. Das ist in unserem System Schule nicht leicht. Lehrpersonen brauchen natürlich Unterstützung. Im Herbst soll zum Beispiel ein Fortbildungslehrgang zum Globalen Lernen starten.

Halbartschlager: Trotzdem kann man sagen, der Lehrplan ist ein Rahmenlehrplan, der sehr große Möglichkeiten in sich birgt, auch Themen, die nicht unmittelbar mit dem Fach zu tun haben, einzubauen. Ich sehe, dass die Institution Schule kein Hemmschuh für antirassistische Bildung ist.

Südwind: Ist der Ausdruck antirassistische Bildung überhaupt gut gewählt? Kann Bildung gegen etwas funktionieren, wenn es nicht Indoktrination sein soll?

Halbartschlager: Es ist natürlich ein negativer Ausdruck. Mir würde ein Begriff wie Toleranzerziehung besser gefallen. Es geht ja letztlich um eine offenere Einstellung zu allen Menschen, die nicht in den gewohnten Rahmen fallen.

Südwind: Der Sozialpädagoge Andreas Egger sagt: Rassismus wechselt je nach gesellschaftlicher Notwendigkeit seine Farbe. Hat die antirassistische Bildung genügend Methoden, dem Chamäleon Rassismus zu begegnen?

Grobbauer: Jeder Mensch sollte ein sehr genaues Sensorium für Vorurteile entwickeln – auch für die eigenen. Das wollen wir nicht zuletzt mit unserer Bildungsarbeit erreichen.

Südwind: Danke für das Gespräch.

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