Denken von gestern

Von Irmgard Kirchner · · 2012/02

Wer von den Dringlichkeiten so vor sich hergetrieben wird, dass er auf das Wichtige vergisst, leistet schlechte Arbeit. Das gilt auch für PolitikerInnen.

Dringendes und Wichtiges parallel zu verfolgen – dieser Anspruch wird heute an jede halbwegs fortgebildete Arbeitnehmerin gestellt. Für das politische Personal hingegen scheint das nicht zu gelten. Im hastigen Verhandeln bleiben kein Raum und keine Zeit für gesellschaftliche Aushandlungsprozesse, die – zumindest in der Theorie – die Grundlage von Politik und Staat sind. In der politischen Praxis werden sie weitgehend durch intransparentes Lobbying einflussreicher Interessengruppen ersetzt. Das gilt für nationale so genannte Sparbudgets ebenso wie für die internationale Politik.

In der globalen Klimapolitik zum Beispiel wurde weltweit jahrzehntelang so vieles versäumt, dass angesichts der Dringlichkeit raschest gehandelt werden muss und verbindliche Beschlüsse geboten sind. Es geht um die existenzielle Herausforderung, die Erderwärmung unter den gerade noch verkraftbaren 2 Grad plus im Vergleich zu Beginn der Industrialisierung zu halten.

Bei der UN-Klimakonferenz in Durban im vergangen Dezember hat sich die internationale Staatengemeinschaft unter enormem Zeitdruck nur auf einen schwachen Kompromiss geeinigt. Das 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll wird um eine zweite Verpflichtungsperiode verlängert. Bis 2015 soll ein neuer Weltklimavertrag unter Einschluss der USA und der Schwellenländer erarbeitet werden, der dann 2020 in Kraft treten soll.

Indien hat sich bei der Klimakonferenz den Ruf eines Bremsers eingehandelt. Unter anderem, weil es darauf drängt, in zukünftigen Verhandlungen die historischen Emissionen der Industrieländer in zukünftige Reduktionsziele mit einzurechnen. Westliche Industrieländer, allen voran die USA, fordern ihr Recht auf Aufrechterhaltung ihres verschwenderischen Lebensstils. Schwellenländer wie Indien und China fordern ihr Recht auf industrielle Entwicklung und damit nachholende Verschmutzung der Erdatmosphäre.

Indien stellt also die Frage nach Gerechtigkeit in der Klimapolitik. Und die ist von herausragender Wichtigkeit, auch wenn man die Interessen des Fragers kritisiert und seine echte Dialogbereitschaft bezweifelt.

Die Art, wie Menschen und Gemeinwesen auf diesem Planeten mit seinen begrenzten Ressourcen ihre in Widerspruch stehenden Interessen verfolgen und ihr Verhältnis zueinander gestalten, wird in Zukunft immer wichtiger werden.

Gerne wird derzeit zumindest sinngemäß Albert Einstein zitiert, die aktuellen Probleme der Welt könnten nicht mit dem Denken gelöst werden, das diese Probleme hervorgerufen habe. Neues Denken bedeutet hier weniger neue Entdeckungen oder technische Fortschritte, sondern neue Formen, mit dem bereits Vorhandenen umzugehen. Es geht auch um eine neue Art des Miteinanders, der Diskussion und der Kooperation zwischen Nord und Süd, zwischen den Generationen, zwischen den Wissensdisziplinen und den Gesellschaftsschichten. In Zukunft werden wir uns viel ernsthafter und verantwortungsvoller über wichtige Fragen auseinandersetzen müssen, damit die dringlichen Probleme nachhaltig gelöst werden können.

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