Der alltägliche Ausnahmezustand…

Von Heidi Kabangu-Stahel · · 2006/10

Albrecht Heise: Der alltägliche Ausnahmezustand




Lieber Herr Heise,
Mit grossem Genuss habe ich Ihr Buch gelesen. Als Schaffhauserin (39), Lehrerin, bin ich zum erstenmal 1964 nach Leopoldville gekommen, habe dort meinen Mann Gilbert Kabangu kennengelernt. Er hat dann zwischen 1967 und 1975 in der Schweiz Baumeister gelernt und wir sind anschliessend mit drei kleinen Mädchen nach Kinshasa zurückgekehrt. 1976 haben wir eine Schule gegründet, in Yolo-Nord, mitten in der Cité, eine afrikanische Schule, Les Gazelles, die nun ihr 30jähriges Jubiläum feiern konnte. Eine afrikanische Schule, für Afrika.
Ich habe also den Staatsstreich von Mobutu erlebt, sein Aufstieg und sein Untergang, war 1991 bei den Plünderungen in Kinshasa, auch beim Einmarsch von Kabila, dem „Krieg von Kinshasa 1998, usw.
Was sie in ihrem Buch schreiben, ist die Realität, ich kenne diese „Hans“, die Olengha-Koyi, Tshisekedi,… Gizenga ist im Moment mein unmittelbarer Nachbar in Limete, die OTRAG hat mein Mann kennengelernt, als er für Deutsche in Kinshasa baute, wir wurden zu einem prunkvollen Gelage in Binza eingeladen von diesen Herren mit so viel Luxus und Verschwendung, wie ich es in meinem ganzen Leben auch in der Schweiz nie erlebte…..
Doch mein Leben ist in der Cité, bei den kleinen Leuten, jeden Tag zu Fuss von Limete nach Yolo….mit all den Eindrücken von „Kinder auf der Strasse und Strassenkinder“ mit mutigen starken Frauen und Männern.
Wir versuchen in Yolo-Nord eine kleine Insel zu sein, wo es gut ist zu leben, eine Schule wo auch meine drei Töchter ausgebildet wurden, verwurzelt und weltoffen zugleich, oder wie es De Gaulle sagte: Die Füsse in der Erde, den Kopf in den Sternen. Trotz mangelnder Elektrizität, mit Internetanschluss, mit Computerunterricht, aber vor allem mit Handarbeit, Singen, Zeichnen, Turnen, Schnupperpraktiken während den Ferien,…eine Schule fürs Leben. Mein Mann hat eine Berufsschule EPROBA aufgebaut mit dem gleichen Ziel.
Warum ich Ihnen dies alles schreibe ? Ich spüre, dass Sie Afrika lieben, trotz Chaos, trotz täglichem Ausnahmezustand.
Ich wünschte mir, dass Sie ein weiteres Buch schreiben würden, mit dem Titel ungefàhr : Ein anderes Afrika ist möglich, oder : in der untern Etage sind prächtige Menschen am Werk. Die Zukunft vom Kongo ist die Jugend, viel mehr als die Bodenschätze.
Da sollte man ansetzen : Jugend ausbilden, aber gute Ausbildung, nicht auf Rabat. Unsere Ehemaligen sind heute Arzte, JuristInnen, SozialarbeiterInnen, Berufsleute, 14 ehemalige sind Lehrer an unserer Schule…
Sie waren bei „Hans“ auf der obern Etage zu Besuch. Ich lade Sie ein, kommen Sie doch zehn Tage zu uns auf die untere Etage.
Das Elend ist ja, dass die beiden Etagen nicht miteinander verkehren, also einfach parallel existieren. Unten leben so viele phantastische Powerfrauen, so viele Jugendliche mit unheimlich viel Energie und Lebensfreude. Wir sollten mehr miteinander in Kontakt treten, damit die schönen modernen Wörter wie Synergie und Nachhaltig Wirklichkeit werden können.
Ich selber bin auf lange Sicht optimistisch für Afrika, denn immer mehr gibt es tolle Afrikaner wie Josef Kalamba, ein Priester der zwischen der Schweiz und seiner Heimatgegend Kasai hin und her pendelt, oder Godfrey Nzamujo der als dominikanischer Priester und Professor aus Amerika nach Benin zurückkehrte und mit seinem Buch SONGHAI : Quand l’Afrique relève la tête (Cerf Verlag, Paris 2006), Ki-Zerbo, und viele andere, eine grosse Hoffnung darstellen. Ich bin überzeugt, nur in ihrer Kultur verwurzelte Afrikaner können Afrika vorwärts bringen. Wir als Europäer können uns anschliessen, zuhören, ins gleiche Boot steigen, aber nicht vorausgehen.
Am 22. September kehre ich zurück nach Kinshasa, habe aufgetankt in der Schweiz, bin bereit wieder ein Stück Weg zu gehen mit meinen afrikanischen Weggenossen und dies trotz Chaos, Schmutz, Hitze, Armut, Strom- und Wasserunterunterbrüchen. Die Menschen haben eine Lebensfreude, die Jugend brachliegende Energien, da kann man noch etwas mithelfen.
Also kommen Sie doch zu uns, Kost und Logis gratis bei mir in Limete.
Ganz herzlichen Dank für ihr Buch, ihre Gedanken, ihre Liebe zu Afrika.
Liebe Grüsse
Heidi Kabangu-Stahel
Tel in der Schweiz : 076 511 10 62

Unser Schulzentrum heisst Les Gazelles,
Av. Bagata, Yolo-Nord, Kalamu, Kinshasa.
Tel. 00243 89 89 42 772
www.cegazelles.net






Heidi Kabangu-Stahel
B.P. 1087 Kinshasa-Limete, Av. Gerberas No 72
heidikab@hotmail.com

Basic

Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!

  • 6 Ausgaben pro Jahr als Print-Ausgabe und/oder E-Paper
  • 48 Seiten mit 12-seitigem Themenschwerpunkt pro Ausgabe
  • 12 x "Extrablatt" direkt in Ihr E-Mail-Postfach
  • voller Online-Zugang inkl. Archiv
ab € 25 /Jahr
Abo Abschließen
Förder

Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.

Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

84 /Jahr
Abo Abschließen
Soli

Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!

Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

168 /Jahr
Abo Abschließen