Der Blick über den Ozean

Von Werner Hörtner · · 2005/04

Die neue Schauspieldirektorin der Wiener Festwochen, Stefanie Carp, bringt die künstlerischen Erfahrungen und Reflexionen der so genannten Dritten Welt in die österreichische Hauptstadt.

Das außereuropäische Theater hat mich immer schon interessiert, und daher auch mein Vorschlag, das stark auf Osteuropa ausgerichtete Programm der Festwochen auf die Dritte Welt auszudehnen“, erklärt Stefanie Carp, die heuer das Schauspielprogramm der Wiener Festwochen gestaltet. Und ein Programm aufstellte, das genau für LeserInnen des Südwind-Magazins maßgeschneidert erscheint: Die südafrikanische Gruppe Third World Bunfight, was sich mit „Dritte Welt Tortenschlacht“ übersetzen ließe, zeigt mit „Bid Dada“ ein Stück über Aufstieg und Fall des ugandischen Diktators Idi Amin, der junge Regisseur Guangtian Zhang aus Peking bringt Konfuzius auf die Bühne, Festwochenintendant Luc Bondy persönlich inszeniert das neueste Stück der in Paris lebenden Iranerin Yasmina Reza. Weiters Ensembles und Aufführungen aus Mexiko, Brasilien, Kolumbien, Iran. Und Themen wie Festung Europa, Migration, Ausgrenzung, Globalisierung. Als wäre Wien plötzlich zum Zentrum des Theatergeschehens des Südens geworden.
Die deutsche Theaterfrau, eigentlich Germanistin von der Ausbildung her, ist keine Frau fürs Bequeme, fürs Etablierte. Sie will ein Theater mit Haltung – das hat Stefanie Carp schon in Zürich gezeigt, wo sie die letzten vier Jahre bei Christoph Marthaler am Schauspielhaus als Co-Direktorin und Chefdramaturgin tätig war. Da wurde kein Theater des Kunst-Weihrauchs auf die Bühne gebracht, sondern eines der politischen Brisanz, und so setzte die Politik Marthaler auf die Straße, wo dann Tausende ZürcherInnen für den Verbleib der Schauspielhausleitung demonstrierten.
„Mich interessiert die Reflexion aufeinander, die Erfahrungen, wie sie in der Dritten Welt gemacht werden und wie sie die Theaterleute dort umsetzen – und wie Europa über sich selbst reflektiert.“ In „Fort Europa“ etwa, einem neuen Stück des Belgiers Tom Lanoye, wo die EuropäerInnen angesichts der dramatisch verschlechterten Lebensumstände Europa verlassen wollen, aber nicht raus dürfen. Verzweifelt hocken sie am Wiener Südbahnhof und stellen sich Fragen…

Wie es Stefanie Carp überhaupt liebt, den herkömmlichen Theaterraum zu verlassen. „Ich habe mir gedacht, ein Festival, das so lange dauert wie die Wiener Festwochen, das soll die Stadt auch ein bisschen überwältigen, da muss man in die Stadt rein, zu den Leuten gehen – aber das ist dann leider immer wieder eine Geldfrage.“ So bespielt der israelische Regisseur David Maayan, der schon vor zehn Jahren bei den Festwochen mit „Arbeit macht frei“ großes Aufsehen erregt hatte, die Stadt Wien wie eine Simultanbühne, entführt die ZuschauerInnen an verschiedene Plätze der Metropole, wo sich die BewohnerInnen ihrer verschütteten Lebens- und Familiengeschichten erinnern.
Die räumlichen Vorgaben, aber auch das soziale Umfeld machen es oft unmöglich, Produktionen aus dem Süden in die europäische Großstadt zu verpflanzen. „Viele Theaterleute in Brasilien arbeiten in den Favelas und machen dort eine Arbeit, die eigentlich auch Sozialarbeit ist. Aber so etwas kann man nicht einladen, denn da müsste man ein ganzes Symposium zu den Begleitumständen machen.“ Theater ist eben auch sehr ortsabhängig und auch eine Kommunikationsform über soziale Erfahrungen.
Die verschiedenen Welten durchdringen einander, Armut ist kein exklusives Markenkennzeichen des Südens mehr, die Dritte Welt breitet sich auch bei uns aus. Dass diese Entwicklung kein Schicksal ist, sondern politische Inszenierung, ist Stefanie Carp klar. Was unterscheidet West und Ost, Nord und Süd, fragen sich die verzweifelten EuropäerInnen am Südbahnhof. Der junge mexikanische Regisseur Claudio Valdés Kuri, eine Regietheaterentdeckung, stellt eine bolivianische Schauspielerin als Jeanne d’Arc auf die Bühne, zeigt die Parallelen des besetzten Frankreich des Mittelalters mit der lateinamerikanischen Gegenwart, vereint in der Vision vom Befreiungskampf.

Die Dritte Welt spiegelt sich auch immer stärker in unserer Arbeitswelt – nur dass hier kein Befreiungskampf absehbar ist. Die österreichische Autorin Kathrin Röggla sammelt das Material ihrer Stücke in den verschiedenen sozialen Schichten unserer Gesellschaft. In ihrem „Sprechtheaterspektakel“ mit dem Arbeitstitel „in der eiszeit“ zeigt Röggla die fortschreitende Abkühlung in den zwischenmenschlichen Beziehungen und die Entfremdung in der Arbeitswelt. Was bleibt, ist „gelegentliches Ficken, das aber auch als Arbeit verstanden wird“. Regie führt Schorsch Kamerun von der Hamburger Punkband „Die Goldenen Zitronen“.
Nach ihrem leider nur einjährigen Wien-Intermezzo geht Stefanie Carp als Chefdramaturgin zu Castorf an die Berliner Volksbühne.

Wiener Festwochen, 7. Mai bis 19. Juni 2005. Das genaue Programm auf www.festwochen.at

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