Der Geruch des Rainfarns

Von Michael Kegler · · 2018/Mar-Apr

Literatur aus dem globalen Süden unterliegt zahlreichen außerliterarischen Ansprüchen. Wie sich das auf die Arbeit des Übersetzens auswirkt, beschreibt Michael Kegler.

Wie oft waren Sie schon in Luanda? Als Übersetzer von José Eduardo Agualusa werde ich das regelmäßig gefragt, und die Antwort darauf ist nicht einfach. Ich kenne Gegenden, die selbst Einheimische dort nicht finden: das Gebäude, in dem Ondjakis Roman „Die Durchsichtigen“ (Afrika Wunderhorn, 2015) spielt, das „Haus der Beneideten“, in dem sich eine Portugiesin 30 Jahre lang eingemauert haben soll, und sogar einen gigantischen Wolkenkratzer namens „Termiteira“, der auf keinem Stadtplan verzeichnet ist.

Sollte ich je nach Angola kommen, werde ich mich sicherlich wundern. Als ich einmal im brasilianischen Cataguases war, dem Schauplatz von Luiz Ruffatos Romanen, die ich übersetzt habe, staunte ich: Die Stadt ist fast so, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Doch – ist das wichtig?

Literatur aus dem globalen Süden wird immer noch gern als eine Art Tatsachenbericht angesehen. Was mir ein Buch über Angola, Brasilien oder Mosambik zeigen kann, ist eine Frage, die meist implizit, manchmal ausdrücklich an Bücher „aus diesen Ländern“ herangetragen wird.

Verantwortung. Der Angolaner José Eduardo Agualusa betont gern, dass er als in Europa und Brasilien erscheinender Autor stets auch Übersetzer einer geografischen, historischen und sozialen Wirklichkeit ist, die eine Mehrzahl seiner LeserInnen nicht kennt. Der Übersetzer seiner Literatur ist damit gewissermaßen ein Zweitübersetzer. Was das in der Praxis bedeutet, lässt sich auch an der Arbeit mit Luiz Ruffato verdeutlichen, der es sich zum Programm gemacht hat, die Wirklichkeit derer zu schreiben, die in der bürgerlichen Literatur (Brasiliens und der Welt) nicht vorkommen.

„Erzählungen aus einem kollektiven Gedächtnis in die Literatur übertragen“ sieht er als Arbeitsprinzip: „Die Geschichten in meinen Büchern gehören mir nicht“ – ein klassisches Statement aus der Übersetzerwerkstatt. Wenn also das Original schon Vermittlungsarbeit ist, unterliegt dessen Übersetzung gleich einer doppelten, besonderen Verantwortung.

Bei der Übertragung seines Klassikers „Es waren viele Pferde“ (Assoziation A, 2012) entschloss sich der Verlag, dem Buch kein Glossar nachzustellen. Eine ungewöhnliche Entscheidung, denn je „fremder“ die erzählte Welt, für umso notwendiger wird meist ein Glossar erachtet, das fremde Begriffe erläutert und einordnet – das Lesen erleichtern soll.

Doch hier, wo Befremden schon als ein Grundgefühl all der unterschiedlichen Erzählstimmen wichtiges ästhetisches Stilmittel ist, würde ein Glossar eher stören.

Den Leserinnen und Lesern des Originals steht es auch nicht zur Verfügung. Die Übersetzung aufzubereiten und den fremdsprachigen Leserinnen und Lesern zu erklären, was viele in der Originalsprache auch nicht sofort wissen, hieße, das Buch zugunsten des Landeskundlichen seines (ästhetischen) Reizes zu berauben.

Ewige Terra incognita. Übersetzungen unterliegen stets Ansprüchen, die immer über den reinen Text hinausgehen. Für Übersetzungen aus Literaturen des „Südens“, der ewigen „Terra incognita“, gilt das in besonderem Maß. Und nicht immer erheben Leserinnen und Leser, Rezensentinnen und Rezensenten, Übersetzerinnen und Übersetzer und nicht zuletzt die Verlage die gleichen außerliterarischen Ansprüche. Während die einen vielleicht in besonderem Maß etwas „über das Land“ erfahren wollen, interessiert andere die „besondere“ Poetik und letztere sorgen sich möglicherweise um die Verkaufbarkeit und um Fördergelder, auf die Literatur aus dem Süden (wie auch aus anderen Randgebieten des literarischen Geschehens) nach wie vor angewiesen ist.

Dabei spielen Klischees – unbewusst oder offen – eine bedeutende Rolle. Was wissen Leserinnen und Leser bereits über ein Land, einen Kontext, eine Situation? Was glaubt man, dass sie wüssten oder wissen wollen? Von welchem Punkt aus muss oder will man sie abholen? Ein Buch ist dann nicht mehr nur ein Buch, sondern eines „aus“ Angola, Brasilien, Afrika, Lateinamerika etc. Jede dieser geografischen Verortungen ruft Bilder auf. Ob man will oder nicht.

Ein Rucksack voller Sonderaufgaben. Die Übersetzung aus Ländern, die als „exotisch“ oder „fremd“ gelten, läuft immer Gefahr und unterliegt der Notwendigkeit, sich noch einen ganzen Rucksack an Sonderaufgaben aufzubürden. Erst recht, seit in Zeiten der vermeintlich überall verfügbaren Information über alles mit Leichtigkeit aufgedeckt werden kann, dass ein Baum, der in bestimmten Regionen Brasiliens volkstümlich als Mandelbaum (Amendoeira) firmiert, gar kein Mandelbaum ist, sondern ein Ficus und im schlimmsten Fall einen so hässlichen deutschen oder, noch schlimmer lateinischen Namen trägt, dass seine korrekte Verwendung den Lesefluss nachhaltig stören würde. Und im Internet steht wiederum nicht, dass der Betrachterin im Ursprungsland eine solche Spitzfindigkeit herzlich egal ist.

Es geht also auch darum, was nicht übersetzt wird. Nehmen wir als Beispiel einmal das deutsche Wort Rainfarn, bei Erwin Strittmatter in der Erzählung „Hasen über den Zaun“ zu finden. Botanisch ist dieser kein Farn (den man etwa ins Portugiesische mit dem wunderschönen Wort Samambaia übertragen könnte), sondern ein Wiesenkraut, das im Portugiesischen den absolut unmöglichen Namen Catinga de Mulata (Mulattinnenkraut bzw. Mulattinnenschweißgeruch) trägt, bei dessen Übersetzung ins Deutsche man wiederum sehr erleichtert wäre, im Wörterbuch auf das harmlose „Rainfarn“ zu stoßen.

Machimbombo, mehr als ein Bus. Aber wird der Begriff außerhalb von Angola und Mosambik verstanden? © Core Pinceladas (CC BY 2.0)

Das wunderbare Machimbombo, das in Angola und Mosambik gern einen Omnibus (Portugiesisch: Autocarro) bezeichnet und trotz seiner afrikanischen Herkunft auch in Portugal verstanden wird, ließe sich schlicht und stumpf mit dem Wort „Bus“ übersetzen und europäisiert seines melodischen (und afrikanischen) Klangs berauben. Lasse ich ihn – in Ermangelung einer afrikanischen Variante des Deutschen – als „Machimbombo“ stehen, laufe ich aber Gefahr, den Text über Gebühr zu exotisieren.

Und was kann ich tun, wenn etwa José Eduardo Agualusa, dessen literarisches Programm auch die Verteidigung des Portugiesischen als eine eigene afrikanische Sprache beinhaltet, einen Protagonisten mit brasilianischem Einschlag reden lässt, einen anderen mit portugiesischem Akzent und den nächsten im Dialekt des zentralangolanischen Huambo?

Keine perfekte Übersetzung. Übersetzen von Literatur ist immer ein Scheitern am eigenen Anspruch. Eine perfekte Übersetzung gibt es nicht. Sprachliche Finessen, Sprachspiele, Doppeldeutigkeiten, alles, was Literatur ausmacht, verlangen beim Übersetzen Entscheidungen für und damit stets auch gegen bestimmte Begriffe.

Das Übersetzen aus globalisierten Sprachen mit kolonialer Vergangenheit (wie etwa dem Portugiesischen, das in acht Ländern auf vier Kontinenten gesprochen wird), kann deren Wirklichkeit im Deutschen, das hauptsächlich in Europa gesprochen wird und dessen Varianten etwa in Brasilien oder Namibia weitaus exotischer sind als etwa das mosambikanische Portugiesisch, nur hilfsweise sichtbar machen.

Ziel des Übersetzens muss dennoch sein, ein schönes, vielschichtiges, poetisches, gehaltvolles Buch als ebensolches wiederzugeben und nicht als Lexikon, Reiseführer oder Gebrauchsanweisung. Das Fremde nicht wegglätten, aber erst recht auch nicht überbetonen sollte ein weiterer Anspruch sein.

Michael Kegler übersetzt seit vielen Jahren aus dem Portugiesischen, zuletzt unter anderem Bücher von Luiz Ruffato (Brasilien), José Eduardo Agualusa (Angola) und Rui Zink (Portugal).

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