Der Müllstrudel

Von Redaktion · · 2008/11

Charles Moore und seine KollegInnen von der Algalita Marine Research Foundation in Kalifornien segelten einen Monat lang mit dem Forschungsschiff Alguita von Hawaii nach Los Angeles, auf den Spuren eines gigantischen Strudels von Plastikmüll mitten im Pazifik. Nachfolgend ein Auszug aus dem Blog des Schiffes, großteils geschrieben von Anna Cummins.

Dienstag, 22. Jänner 2008. Wir verließen Hilo, Hawaii Sonntag abends in der Dämmerung, wenige Stunden vor Einbruch der Nacht. Der Vollmond tauchte die sanft rollenden Wogen in einen hellen, silbernen Glanz und verwandelte die erste Nachtwache in ein grandioses Schauspiel. Der Ort, wo wir unsere erste Probe entnehmen wollten, befand sich unmittelbar vor Kamilo Beach, dem verschmutztesten Strand der USA. Ein paar Tage zuvor hatten wir selbst die gefährliche zweistündige Autofahrt nach Kamilo gewagt, um uns mit eigenen Augen zu überzeugen – entlang einer malerischen, vulkanisch geprägten, scheinbar völlig unberührten Küste, mit klarem blauen Wasser und herrlichen Stränden, allesamt übersät mit Plastikmüll.
Orte wie dieser zeigen, welches Ausmaß das Problem mit dem Müll im Meer angenommen hat – und sie erinnern uns plastisch daran, warum wir uns überhaupt auf diese einmonatige Reise begeben.

Montag, 28. Jänner.
Breite: 30°08,4′ Nord; Länge: 165°24,9′ West

Wir sind in die zentrale Hochdruckzelle des Wirbels gelangt und haben mit der Entnahme von Proben begonnen. Im nachstehenden Bild sieht man, was wir in unserer ersten Probe gefunden haben. Besser kann man den Begriff nicht veranschaulichen, den Kapitän Charles Moore für den Wirbel verwendet: „Plastiksuppe“. Es ist wirklich schwer, das Ausmaß dieses Phänomens zu begreifen. In der Öffentlichkeit stellt man sich den Wirbel häufig fälschlich als „Platz“, als identifizierbaren Ort vor, aber es handelt sich tatsächlich um ein riesiges Gebiet, das sich nur schwer eingrenzen lässt.



Dienstag, 29. Jänner.
32°09,2′ N 165°28,5′ W

Heute morgen haben wir unser Schleppnetz ausgebracht. Nach einer Kurskorrektur Richtung Westen entdeckten wir mehr Müll, darunter eine mit Algen und Moostierchen bedeckte Reinigungsmittelflasche, die eine verärgerte Hochseekrabbe beherbergte. Dann schwamm ein Gebilde aus ineinander verwickelten alten Tauen vorbei, unter dem sich ein ganzes Fischbiotop gebildet hatte. Auch ein Effekt des Mülls im Meer – er ist für Fische attraktiv.
Genauso interessant wie das, was wir in unserer Probe fanden, war das, was wir darin nicht fanden. Joel bemerkte, dass der Großteil des Mülls, den er beim Tauchen sah, sich in etwa einem Meter Tiefe befand. Wenn schwimmende Plastikteile kleiner werden, verlieren sie etwas Auftrieb und sinken ab. Es ist also möglich, dass wir große Mengen kleiner Plastikteile nicht erwischen, da wir bloß die Oberfläche abschöpfen. Obwohl wir alle gut vorbereitet sind und erwarten, große Mengen Plastik zu finden, sind wir doch schockiert – das Zeug gehört einfach nicht hierher.

Donnerstag, 31. Jänner.
32°46,2′ N 170°03,4′ W

Die Nachmittagsflaute wurde durch eine neuerliche Sichtung einer Masse in sich verschlungener Taue unterbrochen. Als wir sie an Bord zogen, schlüpften dutzende Fische und Krabben heraus. Wir fingen sie mit der Hand und warfen sie in ein Miniaquarium, um sie zu beobachten und zu fotografieren, bevor wir sie wieder frei ließen.
Ein besorgter Familienangehöriger fragte, ob es denn ungefährlich sei, hier draußen, mitten in dieser Plastiksuppe, Fisch zu essen. Ausgezeichnete Frage. Die Wahrheit ist: Wir wissen es nicht. Wie sich Chemikalien in Kunststoffen auf lebende Organismen auswirken, wurde noch nicht ausreichend erforscht. Migrieren etwa die von den Plastikteilen angezogenen Schadstoffe ihrerseits in die Organismen, die sie konsumieren?
Je weiter oben in der Nahrungskette, desto höher ist auch die Konzentration von Schadstoffen. Je größer die Fische, desto eher haben sie kleinere, kontaminierte Fische gegessen und die in ihnen enthaltenen Toxine absorbiert. Am sichersten ist es, bloß die kleinen zu essen.

Samstag, 2. Februar.
Ahoi, hier Kapitän Moore. Ich löse unsere Chefbloggerin Anna ab, um mit euch darüber reden zu können, wie groß der „Eastern Garbage Patch“ (der östliche „Müllstrudel“ im Nordpazifik, Anm. d. Red.) ist und welche Art von Müll er enthält. Modelle der Oberflächenströmungen zeigen Müllgebiete in der Größe von Texas im östlichen und westlichen Nordpazifik, wo ein Großteil des Mülls jahrzehntelang verbleibt. Wir haben herausgefunden, dass Millionen von Quadratkilometern zwischen 20° bis 40° nördlicher Breite und 135° westlicher Länge bis zur internationalen Datumsgrenze (180° W, Anm. d. Red.) erheblich betroffen sind.
Die Laysan-Albatrosse waren die ersten, die Proben der Plastikpest im Nordpazifik lieferten. Nicht lange nach Beginn des Wegwerfzeitalters begannen sie, ihre aus natürlichen Abfällen und Tintenfischen bestehende Nahrung mit Plastikmüll zu ergänzen. Wir besitzen dutzende Fotos von herausgewürgten Mageninhalten von Laysan-Albatrossen mit Gegenständen, die man an der Kasse des lokalen Supermarkts finden könnte: Verschlusskappen von Flaschen, kleine Fläschchen, Feuerzeuge, Kugelschreiber und Zahnbürsten, abgesehen von Plastikstückchen verschiedener Größe und Farbe.

Samstag, 9. Februar.
36°23,4′ N 150°15,7′ W

Ständig werden wir gefragt, ob es nicht möglich ist, diesen Müll abzuschöpfen, mit Netzen herauszufischen oder herauszufiltern. Aber die Dimension des Problems ist einfach zu groß. Genauso könnte man vorschlagen, die USA reinzufegen. Oder die Sahara durchzusieben. Und wie man an den Bildern unserer Proben erkennen kann, besteht ein Großteil des Mülls aus kleinen Stückchen, die man nur mit einem feinmaschigen Netz erwischen könnte. Was heißen würde, auch Tonnen von Plankton zu entfernen – die Basis der gesamten marinen Nahrungskette. Wäre der Müll netterweise in Form einer großen „Müllinsel“ konzentriert, könnten wir ihn vielleicht entfernen. Aber er verteilt sich über ein unfassbar großes Gebiet. Begriffe wie „Müllgebiet“ oder „Misthaufen so groß wie Texas“ suggerieren konkrete Gebiete, aber tatsächlich erstreckt sich diese „Plastiksuppe“ über den gesamten Wirbel. Dazu kommen noch einige Unbekannte: Wieviel Plastik türmt sich am Meeresboden? Oder verteilt sich vertikal über die ganze Wassersäule? Wenn man noch die Kosten und die Schwierigkeit bedenkt, überhaupt hierher zu gelangen, sollte klar sein, dass man den Wirbel nicht säubern kann. Wir müssen uns auf die Vorbeugung konzentrieren.

Sonntag, 10. Februar
35°41,0′ N 147°38,0′ W

Wir sind wieder zurück in dem Gebiet, das Kapitän Moore 1997 überhaupt zu seiner Initiative motivierte. Zwei Stunden lang fischten wir so schnell wir konnten, zogen Schwimmer von Fischnetzen, Zahnbürsten, Plastik- und Glasflaschen, einen Golfball, eine Billardkugel, einen ungebrauchten Klebestift und mehrere Gebilde aus verschlungenen Tauen heraus, gefüllt mit Krabben und winzigen gestreiften Fischen. Am schlimmsten war aber das Plastikkonfetti: ein scheinbar endloser Strom feiner, weißer Schneeflocken, der den Ozean wie Plastikpuder bedeckte.
Unser erstes „Geisternetz“ sichteten wir früh am Abend, es wog mehr als eine Tonne. Was an der Oberfläche wie ein Wirrwarr aus Netzen samt darin verfangenem Müll aussah, erwies sich bloß als Spitze des Eisbergs. Ein nautischer Alptraum, der sogar der gefährdeten Hawaii-Mönchsrobbe – der einzigen tropischen Robbe – zum Verhängnis werden könnte, genauso wie anderen Lebewesen, einschließlich Korallen.

Dienstag, 13. Februar.
35°31,7′ N 141°00,3′ W

Eben haben wir 3.000 Seemeilen auf unserer Fahrt hinter uns gebracht. Unsere heutige Probe enthielt etwas, was wir an der Oberfläche noch nicht gesehen hatten – viele dünne Fäden und kleine Fragmente von Leinen. Diese Fasern machen den Hauptteil des Mülls aus, den wir mit unseren bis zu 100 Meter tief reichenden Schleppnetzen gefunden hatten. Da sich das Wasser hier kaum bewegt, konnten diese Fragmente an die Oberfläche aufsteigen, wo sie sich in unseren Netzen verfingen. Die Kleinheit der Stücke könnte bedeuten, dass dieser Müll schon geraume Zeit im Kreis herumschwamm und schließlich zu kleinen, halbverfaulten Stückchen zerfiel.
Nach den Daten, die bei Säuberungsaktionen an der Küste erhoben wurden, stammen 80 Prozent des marinen Mülls, der auf den Stränden landet, vom Festland – etwa Straßenabfall, der durch die Kanalisation ins Meer geschwemmt wird. Hier draußen stammt ein großer Teil des Mülls, den wir identifizieren können, von der Fischerei – Schwimmer, Seile, Teile von Netzen und anderes Fischereigerät. Bei der Mehrheit handelt es sich jedoch um Plastikstücke.

Freitag, 15. Februar.
35°45,3′ N 138°34,2′ W

Heute haben wir unsere beiden letzten Proben entnommen und damit die Wiederholung unserer Forschungsfahrt von 1999 abgeschlossen. Es ist zwar noch zu früh, um Bilanz zu ziehen, aber wir können mit Sicherheit sagen, dass die Menge und Anzahl der Plastikstücke pro Meeresoberfläche dramatisch zugenommen hat.

Copyright New Internationalist

Nähere Informationen zur Arbeit der Algalita Foundation unter www.algalita.org

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