Die Erblast von Waka Waka

Von Markus Schönherr · · 2011/10

Die Versprechen der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 waren groß. Was Südafrika tatsächlich bleibt, ist ein Schuldenberg von zwei Milliarden Euro, viel Unzufriedenheit – aber auch Hoffnung.

"Ich bin nicht begeistert. Wirklich nicht“, sagt er. „Sie haben gesagt, das Geschäft ist um 60 Prozent zurückgegangen. Aber ich glaube es waren mehr. Das waren echte Verbrecher.“ Uncle Ronald, wie der alte Mann mit buschigen Augenbrauen genannt werden will, hat sein halbes Gesicht tief im Mantelkragen versteckt. Es ist Winter in Kapstadt, ein Jahr nach der FIFA-Fußball-Weltmeisterschaft. Die Euphorie für das Spektakel konnte der Textilwaren-Verkäufer nicht nachvollziehen. Sein Stand mit Unterhosen, Socken und Pullover befindet sich auf der Grande Parade, einem Platz in Kapstadts Innenstadt. Schon vor der Weltmeisterschaft erklärten die Behörden diesen Platz zur „Exclusion Zone“ und vertrieben rund 300 StraßenhändlerInnen – teils mit Gewalt.

Johannesburg, Durban, Port Elizabeth und Co.: In allen neun WM-Metropolen wurden um die Stadien, Fanmeilen und Public Viewings so genannte exklusive Zonen errichtet, um KleinhändlerInnen vom TouristInnenansturm fernzuhalten. Ausschließlich FIFA-PartnerInnen durften hier verkaufen: McDonalds, Coca Cola, Adidas und andere große Unternehmen. „Ich glaube, die WM hat die Reichen reicher und die Armen nur ärmer gemacht“, sagt Uncle Ronald. Ob er weiß, dass die FIFA mittlerweile bekannt gab, sie habe 2010 die bisher umsatzstärkste WM ausgetragen und 50% mehr Profit gemacht als 2006 in Deutschland?

Kapstadt, Green Point: Vor einem Souvenirshop hängen Fan-T-Shirts, die man vergangenes Jahr nicht anbrachte. Ein Schild verspricht: „Sale -70%“. Nur wenige hundert Meter davon entfernt thront jenes riesige ovale Stadion, in dem vor einem Jahr Uruguay und Niederlande das Halbfinale austrugen. Das Stadium, das noch vor ein paar Jahren dort stand, wurde wegen der WM abgerissen, für knapp 290 Millionen Euro das neue Cape Town Stadium hochgezogen. Bauarbeiten, die laut Statistik eine Million Jobs schufen: Ohne Sozialversicherung, unter gefährlichen Bedingungen und mit Löhnen, die selbst für südafrikanische Verhältnisse niedrig waren. Es trat das Phänomen des „jobless growth“ ein: De facto beschäftigten die Bau-Giganten ihre ArbeiterInnen nicht länger als drei Monate. Streiks verschafften eine minimale Lohnerhöhung, aber die wahren Gewinner blieben die Baufirmen selbst.

Im Cape Town Stadium wurden während der WM acht Spiele ausgetragen. Heute dient die 64.000 Plätze fassende Schüssel regionalen Fußballclubs wie Ajax Cape Town oder Vasco da Gama als Zuhause. Die Stadtverwaltung von Kapstadt hält das Stadion hoch und verlautet, damit sei endlich eine Gelegenheit geschaffen, internationale Stars zu empfangen und Konzerte zu veranstalten. Dabei betreibt die Stadt die Einrichtung bloß als Erbe. Oder wie andere bemängeln, als Erblast. Ursprünglich sicherte sich die französische Gesellschaft Sail Stadefrance die Rechte zur Betreuung und Vermarktung des Stadions für 30 Jahre. Doch im Oktober 2010 kündigte das Unternehmen den Vertrag. Kapstadt sprang ein und übernahm das Management. GlobalisierungskritikInnen hatten stets gefürchtet, die neu gebauten Stadien würden zu sogenannten „weißen Elefanten“: Bauten, die aus dem Moment des Spektakels heraus entstehen und künftig als gigantische Ladenhüter in der Gegend herumstehen und ungenutzt Betriebskosten fressen.

Ein Jahr danach steht fest, dass diese Befürchtung nur bedingt eingetreten ist. Das Stadion in Kapstadt floriert nicht, ist aber annähernd gut ausgebucht. Beim African Nations Cup, den Südafrika 2013 anstelle von Libyen austrägt, könnten die Stadien neue Verwendung finden. Nach wie vor sind jedoch die Provinz-Stadien in Nelspruit und Polokwane den KritikerInnen ein Dorn im Auge. Doch der Regional-Manager der Südafrikanischen Fußballvereinigung Gay Mokoena verteidigt das Stadion in Nelspruit: „Das Mbombela-Stadion hat sich bisher als beste Sportstätte erwiesen, was Fußball anbelangt. Das Nationalteam nützt es häufig.“ Mit einem Lächeln fügt er hinzu: „Und es ist noch dazu ein Glücksbringer, denn die Mannschaft hat hier bisher kein einziges Spiel verloren.“

Ke Nako 2011

Auch die afrikanische Community in Österreich hat sich damit beschäftigt, wie nachhaltig die WM für das Afrika-Bild in Österreich war und führt die Aktivitäten rund um Afrika auch im Jahr 2011 weiter. Die vor der WM entstandene Website www.kenako.at ist auch weiterhin aktiv, unter dem Motto Ke Nako 2011. Sie informiert nicht nur über Veranstaltungen mit Afrikabezug (wie schon vor und während der WM), sondern stellt u.a. Afrika-Medienberichte zur Verfügung oder gibt Tipps zum afrikanischen Kochen.

Ein besonderer Veranstaltungshinweis: Der afrikanische Literaturtag am 4.11. in Linz in der Kärntner Straße 26. Weiters etabliert sich gerade eine Afrika-Quiz-Runde: „Unterhaltung für Entwicklung – voneinander und miteinander über Afrika lernen“. Dabei treten Teams gegeneinander im afrikanischen Restaurant Sagya in Wien an.
MiK

Das größte Sorgenkind unter den neuerbauten WM-Stadien ist das in Polokwane. Um die jährlichen Betriebskosten von 1,7 Millionen Euro zu decken, müsste jeden Monat eine Großveranstaltung stattfinden. Um ein Minus zu verhindern, fordern viele den Abriss. „Ja, es wäre besser“, meint Uncle Ronald auf der Grande Parade. „Denn im Endeffekt bleibt es an uns allen als Steuerzahler hängen.“ Und mit dieser Meinung steht Uncle Ronald nicht allein da.

Im September 2010 veröffentlichte das Schweizer Arbeiterhilfswerk (SAH) eine Evaluation zur Weltmeisterschaft. Für Südafrikas Wirtschaft hält der Bericht besonders düstere Zahlen bereit: Statt des erwarteten Gewinns von umgerechnet 490 Millionen Euro bescherte die WM einen Netto-Verlust von zwei Milliarden. Kritische Stimmen nennen hierfür viele Gründe, doch alle davon sehen einen gemeinsamen. Die „exclusion zones“ verbannten KleinunternehmerInnen vom Geschehen und privilegierten die Großkonzerne. Das hätte Südafrikas Wirtschaft verkraftet oder sie hätte gar noch Gewinn daraus geschlagen. Doch kurz vor der WM hatte die Regierung dem Druck der FIFA nachgegeben und erließ sämtlichen ihrer Sponsoren die Steuern. Kein Burger, den McDonalds in den Fanmeilen verkaufte und keine Flasche Coca Cola brachten Geld in die südafrikanische Staatskasse.

Bereits vor der WM gab ein Regierungssprecher zu: „Wir haben der FIFA so viele Zugeständnisse machen müssen, dass wir keinen Profit mehr erzielen können.“ Unterdessen kursieren Petitionen durchs Internet, die eine Steuer-Befreiung für die Weltmeisterschaft 2018 in Russland verhindern wollen.
Als noch alles auf einen ökonomischen Riesenerfolg hindeutete, veröffentlichte der britische Wirtschaftsprüfer Grant Thornton die Prognosen: Die WM würde 55,7 Milliarden Rand (ca. 5,5 Milliarden Euro) in die Wirtschaft einbringen, 19,3 Milliarden davon als Einkommenssteuer, und 415.000 Jobs schaffen. Die Erwartungen wurden enttäuscht. Die Rating-Agentur Moody’s warnt, es sei zum ersten Mal seit der Apartheid wieder politisch am Brodeln in Südafrika. Und die WM habe ihren Teil dazu beigetragen.

Die namibische „Allgemeine Zeitung“ bringt am 4.7. 2011 die Sorgen vieler auf den Punkt: Demnach bestünde die Gefahr, dass die radikalen Forderungen der Linken in der südafrikanischen Regierungspartei African National Congress (ANC) zur offiziellen Agenda der Regierung würden. Die hohe Armut, die extreme Arbeitslosigkeit und die negative Bilanz der WM schaffen ein Klima für Populismus. Unausgesprochen deutet die Zeitung damit auf Julius Malema hin, den Präsidenten der Jugendliga des ANC. In letzter Zeit erregte er aber weniger Aufsehen durch sein Amt als durch seine Hetzreden. KritikerInnen werfen dem 30-Jährigen vor, er sei ein Hardliner und Kommunist. Simbabwes umstrittenen Präsidenten Robert Mugabe bezeichnete er als „Visionär“, die Verstaatlichung von Minen und Unternehmen sind sein Programm. Die südafrikanische Presse veröffentlichte bereits eine Karikatur: einen leeren Bilderrahmen mit Malemas Namen – neben den Portraits von Hitler und Mao. Aber: Die Ohren junger, schwarzer SüdafrikanerInnen sind offen für seine Botschaft wie nie zuvor.

Kirk Friedrich ist Mitbegründer der Football for Hope-Bewegung, die den Hype um Fußball nützt, um Jugendliche über HIV aufzuklären. Dass sich viele Menschen als so genannte „FIFA losers“ fühlen, erklärt er sich folgendermaßen: „Ich glaube, viele Leute hatten Erwartungen, die nicht erfüllt wurden. Aber meiner Ansicht nach waren diese Erwartungen unrealistisch.“ Den Nutzen der WM sieht er vielmehr in der Gesellschaft als in der Wirtschaft. Die WM habe mitgeholfen, ein differenziertes Afrika-Bild zu erzeugen. Außerdem habe man ihren Schwung genutzt, um Sozialprojekte zu etablieren: Die Football for Hope-Bewegung wird von der FIFA mitfinanziert, die derzeit 20 Zentren in Afrika baut. Das erste Zentrum steht in Khayelitsha, einem Township vor den Toren Kapstadts. Für die Jugendlichen im 1,5-Millionen-Township, in dem Aids grassiert, ist das Zentrum ein gutgemeinter Start für eine aussichtsreiche Zukunft. Sie erhalten kostenlos Kondome, werden über Verhütung informiert und zu regelmäßigem Sport animiert. Derzeit planen die MitarbeiterInnen eine Bibliothek für jüngeres Publikum. Eine Zeitung soll die BewohnerInnen Khayelitshas über die Aktivitäten im Zentrum aufklären.

In den Fakten rund um die WM 2010 finden sowohl BefürworterInnen als auch GegnerInnen ihre Argumente. Und mit dementsprechenden Emotionen wird aktuell eine Debatte über ein weiteres Sportereignis am Kap geführt: Soll Südafrika 2013 ein Formel 1-Rennen austragen, wie derzeit geplant?

Markus Schönherr ist freier Journalist in Südafrika. Er schreibt für mehrere Magazine und Newsportale.

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