Die Erfahrung bleibt

Von Redaktion · · 2012/07

Nach einem 30-jährigen Befreiungskrieg erkämpfte 1991 die EPLF, die Volksbefreiungsfront Eritreas, die Unabhängigkeit von Äthiopien. Der Unabhängigkeitskrieg zeichnete sich durch eine hohe weibliche Beteiligung aus. Maria Hörtner sprach mit Claudia Schamanek über die Frauenpolitik der EPLF und die Situation in Eritrea nach der Unabhängigkeit bis heute.

Südwind-Magazin: In der EPLF waren sehr viele Frauen, ca. 30 Prozent, aktiv. Wie erklärt sich dieser hohe Frauenanteil? Gab es einen gleichberechtigten Zugang von Männern und Frauen?
Claudia Schamanek:
Die EPLF bestand aus zwei Flügeln, dem zivilen Flügel mit den zivilen Kämpfern und Kämpferinnen, die aber auch Gewehre trugen, und dem bewaffneten Flügel, also der wirklichen Armee (EPLA). Es ist nicht bekannt, wie die 30% verteilt waren. Ob das vor allem den zivilen Arm betraf, also die Arbeit in den Spitälern, der Landwirtschaft, der Alphabetisierung etc., oder ob sich die Zahl nur auf die Armee bezog. Gehen wir mal davon aus, dass der Anteil bei beiden Flügeln so hoch war.

Ich habe oft gehört, dass in die Armee Mädchen sogar relativ leicht aufgenommen wurden, an die vorderste Front. Also eine Art „Kanonenfutter“. Viele junge Mädchen vom Land und auch aus der Stadt haben sich angeschlossen, weil sie endlich aus den herkömmlichen patriarchalen Formen ausbrechen konnten. Die rekrutierten Mädchen haben nicht viele zivile Fähigkeiten mitgebracht. Einen Schlosser oder eine Krankenschwester schickte man nicht so leicht an die Front. Eine Grundausbildung haben sie zwar alle gehabt. Aber die, die einen Beruf erlernt hatten, sind alle in den zivilen Bereich gekommen. Die anderen sind in der Armee aufgebaut worden. Es gab auch einzelne Frauen in höheren militärischen Rängen.

Sie zeichnen ja ein negatives Bild der Rekrutierung von Frauen. Welche Rolle hat dabei Ihrer Meinung nach die Ideologie gespielt, die emanzipatorische Einstellung?
Die EPLF war maoistisch orientiert. Frauenbefreiung stand oben auf der Agenda, wenn sie auch klassisch im Sinne von Haupt- und Nebenwiderspruch eine untergeordnete Rolle spielte. Es gab auch eine eigene Frauenunion, die Nationalunion eritreischer Frauen (NUEW). Zuerst waren nur wenige Frauen in der EPLF. Ich glaube, alle waren Akademikerinnen, die in Äthiopien studiert haben und mit US-amerikanischem Feminismus in Kontakt gekommen sind. Möglicherweise war ihr Hauptzweck das Rekrutieren. Auf jeden Fall wollte man möglichst viele Kämpfer und Kämpferinnen haben. Viele Frauen haben sich freiwillig gemeldet. Über die studentische Schiene sind auch viele gekommen, junge Frauen, die in Deutschland studiert haben und mit der 1968er Bewegung in Kontakt gekommen sind.

Die NUEW hat einen Leitungsrat von etwa 60 Frauen gehabt. Sie haben wirklich an die Sache geglaubt, daran, dass alles besser wird, die Alphabetisierung, die Selbständigkeit etc. Sie waren überzeugt, dass sie nicht nur für die militärische Befreiung kämpfen, sondern für die Befreiung der Menschen.

Welche frauenpolitische Forderungen hat die EPLF gestellt? Wie wurden sie in der Praxis des bewaffneten Kampfes umgesetzt?
Ende der 1980er Jahre habe ich es oft erlebt, wie toll es die Frauen fanden, dass es jetzt Gleichberechtigung gibt, dass sie den Männern gleichgestellt sind, auch befehlen oder in einer Kfz-Werkstatt arbeiten können. Es ist schwierig einzuschätzen, inwieweit sie sich dabei einfach den Männern und den militärischen Notwendigkeiten angepasst haben. Da kommen wohl verschiedenste Einflussfaktoren zusammen.

Subjektiv empfunden hat es auf jeden Fall Gleichberechtigung gegeben. Die Frauen konnten sich verwirklichen, vor allem im zivilen Bereich – in der Gemeinwesenarbeit, als Lehrerinnen, als Krankenschwestern. Im Vergleich zum patriarchalen Leben vorher haben sie einen beträchtlichen Spielraum gewonnen: die Möglichkeit, anders zu leben. Bei den Uniformen und der Rhetorik haben sie sich trotzdem jeder Anweisung untergeordnet. Aber die Männer ebenso.

Geht das überhaupt anders im bewaffneten Kampf?
Genau, das ist auch mein Resümee: Eine Befreiungsorganisation, die über Jahrzehnte hinweg kämpft und straffest organisiert ist, ist in erster Linie eine militärische Organisation. Und das geht mit Gleichberechtigung nicht zusammen.

Um ein Beispiel für die Praxis der Frauenpolitik zu bringen: In der Armee gab es ein strenges Sexverbot. Das allerdings auch umgangen wurde. Es gab sehr wohl Schwangerschaften und Abtreibungen. Um dieses Verbot abzumildern, ist so etwas wie eine moderne Ehe etabliert worden. Es gab Massenhochzeiten, da haben dann viele Paare geheiratet. „Honeymoon“ gab es auch, da durften sie einmal im Jahr einen Monat zusammen verbringen. So war das sexuelle Verhältnis zwischen Frauen und Männern geregelt. Mich hat das sehr beeindruckt. Und alles war gut organisiert, die Babys sind im Kriegsgebiet aufgewachsen. Spannend ist zu sehen, was später aus diesen Ehen geworden ist.

 

Claudia Schamanek ist Politologin. 1988 und 1992 unternahm sie für ihre Diplomarbeit mehrere Feldstudien in Eritrea, 1997 erschien ihre Forschung unter dem Titel „ FrauenEmanzipation in revolutionären und militärischen Kontexten. Aspekte der Geschlechterverhältnisse am Beispiel eritreischer EPLf-Kämpferinnen (1988-1992)“.

Der Befreiungskampf in Eritrea war erfolgreich, heute stellt die EPLF die Regierung, der damalige Chef der Befreiungsfront ist gegenwärtig Präsident. Doch die frauenpolitische Ziele sind nicht umgesetzt worden. Warum sind die Frauen wieder in die traditionellen Rollen zurückgedrängt worden?
Das mit der Ehe ist ein gutes Beispiel. Mir sind viele Paare im bewaffneten Kampf begegnet, deren Partnerschaft großartig funktioniert hat. Nach 1991 sind sie nach Hause gekommen und der Großteil hat sich scheiden lassen. Die Männer haben jüngere Frauen geheiratet, sich in eine traditionelle Ehe verabschiedet. Die Frauen sind zurückgeblieben, allein mit den Kindern. Natürlich gab es auch Ausnahmen. Bei Kriegsende gab es eine gewisse Sehnsucht, dass alles wieder so werde wie früher. Auch in Bezug auf die Geschlechterrollen.

Zur EPLF und den frauenpolitischen Zielen: 1992, kurz nach Kriegsende, gab es einen großen Kongress der Frauenunion mit ca. 400 Delegierten. Da wurde offiziell die Frage behandelt: Bleiben wir parteitreu, also auf Regierungsseite, oder werden wir autonom? Die Frauen entschieden sich für Parteitreue. Aber im Publikum waren viele Frauen wütend. Sie wollten sich das nicht gefallen lassen. Sie erklärten, dass sie sich ihre Rechte nicht nehmen lassen und darum kämpfen würden. Dieses große Potenzial wurde allerdings regierungs- und machtpolitisch sofort überdeckt.

Gibt es in dieser negativen Bilanz zumindest einzelne Errungenschaften für die Frauen?
Insgesamt ist die Bilanz miserabel. Es gibt einzelne Frauen, denen der Kampf und die Ideologie schon etwas gebracht haben. Sie sind heute um die 50 Jahre alt und führen ein einigermaßen selbstbestimmtes Leben.

Doch schon kurz nach Kriegsende wurden die Ehen aufgelöst. Die Ex-Kämpferinnen erhielten weder Lob noch Dank. Schon damals gab man die Forderung nach gleichberechtigter Landaufteilung auf. Nach dem Krieg hat es viele Initiativen von Frauen aus der Union gegeben, Kampagnen und Projekte, wie zum Beispiel die Vergabe von Kleinkrediten. Die Erfahrung kann man den einzelnen Frauen nicht nehmen.

Doch heute in Zeiten der Diktatur: Was soll da frauenpolitisch übrig bleiben?
Die ehemaligen Kämpferinnen sind heute zutiefst enttäuscht oder gebrochen. Oder sie haben es geschafft, irgendwo anders auf der Welt weiter zu leben. Im Land selbst können sie nichts für die Frauen ausrichten.

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