Die Globalisierungsdrohung

Von Rainer Falk · · 2004/07

Das Argument der Globalisierung wird als Druckmittel zur Durchsetzung von Partikularinteressen missbraucht. Dem kann nur die Politik einen Riegel vorschieben, meint Rainer Falk.

Die Beispiele häufen sich. Der deutsche Elektronikkonzern Siemens will in Deutschland in nächster Zeit bis zu 10.000 Arbeitsplätze streichen oder ins (lohn)kostengünstigere Ausland verlagern. Der Nähmaschinenhersteller Pfaff kündigte an, die Produktion seines Stammhauses in Kaiserslautern fast vollständig nach China zu verlagern. Die französische Niederlassung von IBM stellte ihre Belegschaft schon Mitte der 1990er Jahre vor die Wahl, eine Lohnkürzung von über sieben Prozent hinzunehmen, ansonsten hagele es Entlassungen. 95% der Beschäftigten akzeptierten dies in einer Urabstimmung, die französischen Gewerkschaften wurden nicht einmal konsultiert.
Auch der Heizkesselproduzent Viessmann wollte Teile seiner Produktion nach Tschechien verlagern, wenn die Stammbelegschaft in Nordhessen nicht bereit wäre, zwei Stunden pro Woche länger zu arbeiten, ohne Lohnausgleich versteht sich. Das tschechische Zweigwerk wurde nie gebaut, denn die Belegschaft lenkte ein. Und so wären wohl auch Siemens und Pfaff bereit zu Abstrichen an ihren Stellenkürzungs- und Verlagerungsplänen, wenn Gewerkschaften und Belegschaften sich bereit erklärten, länger und gegen geringeren Lohn zu arbeiten – vorerst.
Die Beispiele sind symptomatisch dafür, wie die Globalisierung als Drohung eingesetzt wird, um Löhne zu drücken, Arbeitszeiten zu verlängern und sozialstaatliche Leistungen und Errungenschaften abzubauen. Dabei spielt es keine Rolle, auf welcher Stufe der internationalen Arbeitsteilung das jeweilige Land angesiedelt ist. So schmerzhaft es für die Betroffenen ist, wenn ihr Arbeitsplatz im Ergebnis von Produktionsverlagerungen oder billiger Importkonkurrenz verloren geht, so verfehlt ist es jedoch, Globalisierung, Internationalisierung oder den Nord-Süd-Handel schlechthin für die wachsende und hartnäckig auf hohem Niveau verharrende Arbeitslosigkeit verantwortlich zu machen. Denn was auf der Ebene einzelner Betriebe sicherlich oft zutreffend ist, stimmt gesamtwirtschaftlich noch lange nicht. Hier ist die „Freisetzung“ von Arbeitskräften infolge von Internationalisierungsprozessen als Erklärungsfaktor etwa genauso viel wert wie die These der technologischen Arbeitslosigkeit. Denn worauf es gesamtwirtschaftlich ankommt, ist nicht so sehr die Verhinderung von Schrumpfungsprozessen in einzelnen Sektoren, sondern die Fähigkeit (der Wirtschaft und vor allem auch der Politik), im Zeitverlauf mehr Arbeitsplätze zu schaffen als infolge von Strukturwandel verloren gehen.

Das wirtschaftliche Akkumulationsmodell (mit seinem Vorrang für nationale Wettbewerbsfähigkeit und den Finanzsektor), das sich seit den 1970er Jahren schrittweise durchsetzt hat, ist nicht mehr Lage, Arbeitsplätze in dem Maße zu schaffen, wie sie an anderer Stelle verloren gehen. Deshalb die hilflosen Appelle an den „Anstand der Unternehmer“ (so der deutsche Bundeskanzler Schröder), oder an den „Standortpatriotismus“ – Appelle, die um so hilfloser ausfallen, je stärker ihre ProtagonistInnen selbst in jenem neoliberalen Politikkonformismus verfangen sind, der uns das neue Akkumulationsmodell beschert hat. Es läuft auf eine schmale Gratwanderung an der Grenze zu den Abgründen chauvinistischer Borniertheit hinaus, wenn diese Zusammenhänge außer Acht gelassen werden.
Gleichwohl hat im Zuge der Globalisierung und der damit einhergehenden Kombination von erhöhter Kapitalmobilität und hoher Arbeitslosigkeit die Verhandlungsmacht von Gewerkschaften gegenüber dem Kapital erheblich abgenommen. Die Globalisierung wird in dieser Konstellation, wie die zitierten Beispiel zeigen, zum probaten Drohinstrument in den Händen der Kapitaleigner. Die Globalisierungsdrohung – das ist das Vertrackte – zeigt sogar Wirkung, wenn sie – zum Beispiel in Form einer Produktionsauslagerung – überhaupt nicht realisiert wird.

Und so wie auf der einzelwirtschaftlichen Ebene die Drohung mit Outsourcing und Verlagerung ihre Wirksamkeit entfaltet, so auch der Verweis auf „die Globalisierung“ auf der Ebene der gesamten Gesellschaft. Selbst gegen maßlose Übertreibungen ist oft kein Kraut gewachsen. So nützt es wenig, darauf hinzuweisen, dass beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland seit einiger Zeit erneut zum Exportweltmeister aufgestiegen ist, seit europäische Konzernchefs die Keule der Globalisierungsdrohung als probates Mittel für weitere Kostensenkungen entdeckt haben. Auch der angesichts des Standortgejammers erstaunliche Umstand, dass die deutschen Exporte im ersten Quartal des Jahres 2004 um rund neun Prozent gestiegen sind, wird da kaum zur Kenntnis genommen.
Das wichtigste Gegenargument gegen diejenigen, die die Globalisierung als Drohinstrument zur Durchsetzung einseitiger Partikularinteressen begreifen, besteht deshalb darin, die vorrangige Rolle der Politik zu betonen. Das gilt für den bisherigen Verlauf der Globalisierung ebenso wie die Möglichkeiten zu ihrer Einzähmung und Gestaltung in der Zukunft. Selbst eine so unverdächtige Organisation wie die WTO schrieb in einem ihrer letzten Jahresberichte: „Die Politik, welche die Regierungen in Bezug auf den internationalen Waren- und Kapitalfluss verfolgen, kann, wie unvollkommen sie auch sein mag, das Fortschreiten der globalen Integration beschleunigen oder verlangsamen – oder sogar umkehren.“ Wenn dem aber so ist, dann ist es grundsätzlich auch möglich, den Prozess der Globalisierung politisch, d. h. sozial- und umweltverträglich, zu gestalten und ihrem Missbrauch als Drohinstrument einen Riegel vorzuschieben.

www.weed-online.org

Rainer Falk ist Herausgeber und Redakteur des „Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung“, der in Berlin und Bonn produziert wird.

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