Die Last der Frauen

Von Brigitte Voykowitsch · · 2004/05

Die moderne Vietnamesin soll patriotisch, gebildet, gesund, dynamisch, innovativ, kultiviert, gutherzig usw. sein. Bei der Beschreibung des idealen Männerbildes ist den Politikern nicht so viel eingefallen.

Auch die Frauen haben einen großen Anteil am Sieg bei Dien Bien Phu gehabt“, betont Tran Thi Hang. Zwar hätten sie nicht direkt an der Front gekämpft, in der Logistik aber hätten sie eine wichtige Rolle gespielt, sagt die 22-Jährige, deren Großväter beide in der Schlacht dabei waren. Sie ist zufrieden, dass sie beim Fest am 13. März mittanzen durfte. Später will sie als Geschichtslehrerin den Kindern von Dien Bien Phu erzählen.
Aktiv mitgekämpft haben Frauen hingegen im Vietnamkrieg gegen die Vereinigten Staaten, wie Nguyen Thin Hong Pham, die heute bei der Frauenunion in Hue arbeitet. 16 Jahre war sie alt, als sie während der Frühjahrs- (Tet-)Offensive von 1968 mit zehn anderen Frauen eine Partisaninnen-Gruppe bildete. Später arbeitete sie für den Vietcong in der „Volksgewinnung“. Heimlich und zumeist nächtens musste sie in Dörfer und Städte gehen, die unter Kontrolle der US-Amerikaner standen, um Männer für die Befreiungstruppe zu gewinnen. Es war eine gefährliche Arbeit, „aber damals war ich mutig“, meint Nguyen ruhig.

Die Rolle der Frauen im Befreiungskampf würdigt auch Pham Hoai Giang, die Vorsitzende der Frauenunion in Hanoi, in einem ihrer ersten Sätze zur Stellung der Frau in Vietnam. Schon in der ersten Verfassung wurde die Gleichstellung verankert. Doch Pham räumt ein, dass mit dem Sieg und der Rückkehr der Männer von der Front die Frauen wieder auf ihre traditionelle Rolle in einer vom Konfuzianismus geprägten Gesellschaft verwiesen wurden. Der Anteil der weiblichen Abgeordneten etwa sank von 30 Prozent vor der Wiedervereinigung auf 17,8 Prozent 1986.
Das, betont Pham, „war vor der Einführung der Doi Moi-Politik“. Heute sitzen in der Nationalversammlung wieder 27,3 Prozent Frauen. Führungskräfte in Politik oder Wirtschaft sind in der Regel aber männlich. Da die mangelnde Bildung von Frauen hier oft als Argument angeführt wird, sieht die Frauenunion eine ihrer zentralen Aufgaben darin, die Vietnamesinnen so zu qualifizieren, dass sie, wie es offiziell heißt, „einen größeren Anteil am gesellschaftlichen Leben haben“.
Wie fortschrittlich aber ist das Frauenbild der Frauenunion, einer Massenorganisationen mit landesweit zwölf Millionen Mitgliedern, tatsächlich? Das „Ideal eines modernen Frauenbildes“ wird da in der Synthese zwischen Tradition und Moderne gesehen, die Rolle der Frau als Mutter, Ehefrau und Staatsbürgerin beschworen und mit Begriffen wie „patriotisch, gebildet, gesund, dynamisch, innovativ, kultiviert, gutherzig und achtsam auf soziale und Gemeinschaftsinteressen“ beschrieben. Die vielfach belastete Superfrau also? Und wie steht es mit dem Ideal eines modernen Männerbildes? Da bleiben offizielle Antworten vage.
Moderne Männer, meint Tran Thi Hang in Dien Bien Phu, wissen, dass sie umdenken und ihren Anteil in Haushalt und Familie übernehmen müssen. Aber wie viele solcher Männer gibt es? Drei Viertel der Bevölkerung leben am Land, die Mehrheit davon Frauen, und da gelten offenkundig noch andere Regeln.
„Wenn ein Mann krank wird, wird er einen Arzt aufsuchen. Wenn eine Frau zum Arzt gehen will, muss sie ihren Mann fragen. Der wird ihr dann nur allzu oft weismachen, ‚du hast doch nichts. Außerdem gibt es zu viel Arbeit.‘ Daher können sich Frauen oft nicht um ihre Gesundheit und die ihrer Kinder kümmern“, schildert die Ärztin Dao Thi To Nga. Söhne würden zudem besser versorgt als Töchter, denn der Sohn gelte als Stammhalter mehr.

„Als wir am Anfang in die Dörfer gingen, konnten wir nie mit Frauen sprechen, denn laut unserer Kultur sollen Frauen nicht mit Fremden reden“, erzählt Le Thi Hoai Phuong von den Quakern. Die Quaker, überzeugte Pazifisten, sind eine von nur vier internationalen NGOs, die sofort nach 1975 in Vietnam arbeiten durften. Eines ihrer Programme sind Mikrokredite für Frauen im Bezirk Thin Gia. „Unser Zielgruppe sind die Ärmsten der Armen“, sagt Le. „Menschen haben drei Monate pro Jahr nicht genug Reis zu essen, sie essen dann Blätter von Süßkartoffeln, die man sonst Schweinen gibt. Wenn sie so arm sind, können sie an unserem Projekt teilnehmen, wer nur zwei Monate lang nicht genug Reis hat, fällt nicht unter diese Armutsdefinition, denn es gibt zu viele Arme.“
Mit Mikrokrediten von zunächst etwa 33 US-Dollar erwerben Frauen Hühner oder Schweine zur Zucht oder ziehen ein Kleingewerbe auf. „Nach dem dritten Kredit können die Leute dann reich werden, d.h., sie haben genug zu essen, sie können sich ein Ziegelhaus leisten und sie können alle Kinder zur Schule schicken. Das ist eine Bedingung“, betont Le.
Nur selten wird ein Kredit nicht zurückgezahlt. Wenn es passiert, dann ist ein möglicher Grund der, dass eine Frau plötzlich verschwindet. 555 Frauen wurden in den letzten Jahren aus Thin Gia nach China verkauft, wo Familienplanung und Bevorzugung von Söhnen zu einem Missverhältnis der Geschlechter geführt haben. In einem so armen Bezirk, wo es noch genug Analphabetinnen gibt, werden junge Frauen mit Versprechen wie „geh nach China, da kannst du leicht viel Geld verdienen“, in die Falle gelockt. „Eine Frau, die schließlich wieder aus China geflohen war, erzählte nach ihrer Rückkehr: Sie musste Arbeitssklavin und Frau für einen Mann und dessen drei Söhne sein. Sie weinte viel, als sie das schilderte“, sagt Le.

Die Unterbeschäftigung am Land ist eine der großen Herausforderungen für Vietnam und besonders auch die Frauen. Jährlich erreichen 1,4 Millionen Menschen in den ländlichen Regionen das erwerbsfähige Alter. Schon jetzt aber kann die Landwirtschaft kaum mehr neue Arbeitskräfte absorbieren. Leben heute noch 75 Prozent der 80 Millionen VietnamesInnen am Land, werden es laut Prognosen im Jahr 2020 nur mehr 45 Prozent sein.
Immer mehr junge Mädchen ziehen heute auf Arbeitssuche in die Städte. Viele Jobs, die sie da finden, sind nur kurzfristig. Joint Venture-Betriebe zwischen Vietnam und Südkorea oder Taiwan etwa geben keine Arbeitsverträge und entlassen laut einer Studie der Quaker die Frauen nach einigen Jahren. „Viele bleiben dann in der Stadt, viele werden Prostituierte … Wenn ich in einem Dorf höre, die Tochter arbeitet in der Stadt als Schneiderin, werde ich schon skeptisch“, erklärt Le. „Junge Mädchen sagen ihren Eltern natürlich nicht, was sie wirklich in der Stadt machen.“

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