Die Rückkehr des Kerkers

Von Redaktion · · 2009/10

In Österreichs Schubhaft sterben Menschen. Ob es sich bei den menschenbedrohenden Auswirkungen der Asyplpolitik des Innenministeriums um schlimme Zufälle handelt oder ob dahinter ein verrottetes System steckt, fragt sich Florian Klenk.

Yankuba Ceesay hat sich wahrscheinlich vieles vorgestellt, als er von Gambia nach Österreich kam. Und vermutlich hat er abseits all seiner Träume vom Paradies in Europa auch mit manchem Unglück gerechnet. Schließlich kam er illegal ins Land, und er handelte hier mit Drogen. Doch eines hat er sich bestimmt nicht vorstellen können: dass er sterben musste in einer Polizeizelle, in der es nichts gab außer einer verschmierten Gummimatte, einem verdreckten Stehklo und einer Rolle Klopapier.

Tagelang verweigerte der Afrikaner das Essen, um sich freizupressen. Als ihn die Beamten ins Spital brachten, trat er eine Krankenschwester. Die Polizisten wussten sich angeblich nicht mehr zu helfen. Eigentlich hätten sie ihn wegen Haftuntauglichkeit freilassen müssen. Ceesay war ja nur ein Schubhäftling, der auf die Ausreise wartete – kein Strafgefangener. Doch die Ärzte hielten den Gambier für „hafttauglich“. Sie wollten seinem Druck nicht nachgeben. Also fesselten die Polizisten ihm die Beine und sperrten ihn in eine Absonderungszelle. Als sie am nächsten Tag die Stahltüre öffneten, war Yankuba Ceesay verdurstet. Er wurde 18 Jahre alt.

Das war im Jahr 2005, und das Innenministerium versprach „lückenlose Aufklärung“. Doch das waren leere Worte, wie man heute weiß. Noch immer sitzen Häftlinge im Linzer Polizeigefängnis. Und ihre Lage, so halten die Berichte des Menschenrechtsbeirates im Innenministerium fest, habe sich „noch weiter verschlechtert“.

„Österreichs Schubhaft ist nicht Anhaltung, sie ist Kerker“, klagt etwa Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt und Mitglied des Menschenrechtsbeirates des Innenministeriums: „Immer wieder treffen wir auf Menschen, die keine Ahnung haben, wieso sie in Haft sind, wie lange noch, wo sie hingeschafft werden sollen – und das zum Teil über viele Wochen.“ Bürstmayer könnte Dutzende menschenunwürdige Fälle aufzählen. Jugendliche, die trotz tiefer Narben wochenlang ohne Arzt im Kotter sitzen. Geistig Behinderte, die trotz österreichischem Pass festgehalten werden, weil man sie für illegale Ausländer hält. Kinder, die eingesperrt werden, obwohl ihre Mutter im AKH liegt.

Statt dass dieses System endlich reformiert würde, wird es weiter belastet. VP-Innenministerin Maria Fekter plant in ihrer Asylrechtsreform einen Paragrafen, der vor allem das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR alarmiert: AsylwerberInnen, die auf eine Abschiebung in einen anderen EU-Staat warten (weil dieser für ihr Verfahren nach dem so genannten Dublin-Übereinkommen zuständig wäre) sind künftig in Schubhaft zu nehmen. „Es wird tausende Schubhäftlinge mehr geben“, warnt Roland Schönbauer, Sprecher des UNHCR. „Dabei stößt das System schon jetzt an seine Grenzen“, sagt der auf Asylfragen spezialisierte Rechtsanwalt Wilfried Embacher.

Die Verwahrungshaft, einst als Ultima Ratio gedacht, wird nicht mehr der zu rechtfertigende Ausnahmefall, sondern die Regel. Nur in ganz besonderen Ausnahmefällen, bei denen die Beweislast beim Asylwerber liegt, kann auf den Freiheitsentzug verzichtet werden.

Innenministerin Fekter, aber auch der rote Regierungspartner folgen nun trotz sinkender Asyl- und Kriminalitätszahlen all den xenophoben Zurufern der letzten Monate. Das Asylgesetz sei zu reformieren, damit keine “ Sippschaften aus Afrika“ nach Wien kommen, forderte etwa FPÖ-EU-Abgeordneter Andreas Mölzer. Vor Millionen Indern und Chinesen warnte der schwarze EU-Neomandatar Ernst Strasser. Auch manch schwarzer Landesfürst offenbarte sein Verständnis von Rechtsstaatlichkeit: Niederösterreichs Erwin Pröll forderte, die Strafregister von Asylwerbern zu veröffentlichen. Sein Vorarlberger Kollege Herbert Sausgruber will Flüchtlinge schon nach Anklageerhebung – und nicht erst nach einem Urteil – in Haft sehen. Kärntens Saualm-Hirte Gerhard Dörfler spricht gar vom „gesunden Volksempfinden“, das man gegen den Rechtsstaat in Stellung bringen müsse, „um die Europäische Menschenrechtskonvention einzuschränken“.

Das ist längst geschehen. Zumindest behaupten das Hofräte des Obersten Gerichtshofs, Staatsanwälte, Sektionschefs, Anwälte, Ärzte und renommierte Uni-Professoren. Seit zehn Jahren (nachdem der Schubhäftling Marcus Omofuma erstickt war) inspizieren die Honoratioren als Mitglieder des Menschenrechtsbeirats Österreichs Schubhaftzellen.

Die Beiratskontrollore sind, und das macht ihre Berichte so brisant, rechtlich gesehen Organe des Innenministeriums, die die Auswirkungen der heimischen Asyldebatten in der Realität erkunden. „Eine dauernde Unterbringung von Schubhäftlingen“, so heißt es etwa in einem mit vielen Missständen gespickten Bericht aus dem Jahr 2006, „ist ohne dauernde Verletzung der Menschenwürde nicht möglich.“ Kranke Häftlinge würden „quasi im Akkord abgefertigt“. Es herrschten „tendenzielle Voreingenommenheit“ und „grobe strukturelle Mängel in der medizinischen und gesundheitlichen Versorgung“. Die große Mehrzahl der Insassen sei „schlecht, teilweise fast gar nicht über ihre rechtliche Situation informiert“, so der jüngste Bericht vom März 2009. Die Antwort des Innenministeriums: ein Rückbau der Schubhaftberatung.

Und so ist die Frage erlaubt, ob es wirklich nur ein schlimmer Zufall ist, wenn Flüchtlinge wie Yankuba Ceesay in einer Polizeizelle verdursten oder Kinder dort ohne ihre Mutter festgehalten werden – oder ob dahinter nicht doch ein verrottetes System steckt, das man keinem Strafgefangenen in Österreich mehr zumuten würde.

Florian Klenk ist stellvertretender Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung „Falter“. Dort betreut er gegenwärtig die spektakuläre Serie über die fragwürdigen Weisungen aus dem Justizministerium.

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