Die Weisen der Region

Von Gudrun Harrer · · 2001/12

Der Iran hatte schon vor den Taliban gewarnt, als diese noch von den USA unterstützt wurden.

Zu den politischen Folgen der Attentate vom 11. September gehört auch das neue internationale Selbstbewusstsein des Iran, zuletzt beim Auftritt von Khatami-Superstar bei der UNO-Vollversammlung in New York. Dabei wiederholte er die iranische Position – Verurteilung des Terrors gegen die USA bei gleichzeitiger Verurteilung des US-Kriegs in Afghanistan -, laut akklamiert zumindest von den Ländern der so genannten Dritten Welt.
Der Konflikt um Afghanistan lässt die Iraner heute als die alten Weisen der Region dastehen, hatten sie doch die Taliban schon hochoffiziell als „kriminell“ bezeichnet, als die US-Amerikaner im Schlepptau der Saudis noch um deren Gunst buhlten – erstens, weil alles, was anti-iranisch ist, ohnehin gut sein muss, und zweitens, weil sie durch ein von wem auch immer befriedetes Afghanistan eine Pipeline von Turkmenistan nach Pakistan zu bauen hofften. Peinlich.

Umgekehrt war es natürlich auch keine große politische Leistung der Iraner, gegen die Taliban eingestellt zu sein: Einer der wenigen ganz klaren Züge deren Ideologie ist ein fanatischer Hass auf alles Schiitische. Die afghanische schiitische Volksgruppe der Hazara im Norden und in Zentralafghanistan wurde während des Eroberungsfeldzuges der Taliban, der 1994 in Kandahar begonnen hatte, aus rassischen und religiösen Gründen verfolgt und massakriert. 1998 befand sich Iran, wo sich rund zwei Millionen afghanische Flüchtlinge aufhalten, am Rande des Kriegs mit dem Taliban-Afghanistan, nachdem die „Religionsschüler“ bei der Einnahme von Mazar-e Sharif auch elf iranische Diplomaten töteten.
Der Iran meisterte nicht nur die Krise und wurde dafür international gelobt, das Land profilierte sich gleichzeitig – im eigenen, aber auch im Interesse der internationalen Gemeinschaft – als Bollwerk gegen die von den Taliban zur Finanzierung ihres Krieges exportierten Drogen. In jene Zeit fallen denn auch die ersten lauten Überlegungen in den USA, ob es nicht opportun sei, die Politik gegenüber Teheran zu überdenken – auch angesichts der Tatsache, dass Pakistan immer unverlässlicher wurde und sich auch für den Irak Saddam Husseins keine Lösung abzeichnete.

Dass es nach dem 11. September in den USA überhaupt Überlegungen gab, ob nicht vielleicht eine Übereinkunft mit Teheran über die Nutzung des iranischen Luftraums möglich sei, hat dennoch – trotz der Deeskalation in den bilateralen Beziehungen in den vergangenen Jahren – fast als Sensation zu gelten. Sie sollten auch eine Illusion bleiben, denn die iranischen Hardliner, die Präsident Mohammed Khatami auch in seiner zweiten Amtszeit das Leben schwer machen, haben keine Freude mit der leisen Annäherung, die nun plötzlich auch eine stark emotionale Komponente hat: den Schrecken über die Attentate und das Mitleid mit den Opfern des Terrors. Der Teheraner Bürgermeister hatte als erster Iraner dem New Yorker Bürgermeister kondoliert, viele spontane Beileidsbekundungen folgten.
Es konnte nicht ausbleiben, dass das iranische Reformlager die Stimmung dazu nutzte, die Diskussion über die Beziehungen zu den USA auf eine politische Ebene zu heben. Parlamentarier schlugen einen informellen Dialog vor. Unter den Befürwortern der Aufnahme von Beziehungen zum „großen Satan“ sind interessanterweise ausgerechnet mehrere ehemalige „Botschaftsbesetzer“ von 1979, die 22 Jahre nach der Revolution politischen Pragmatismus einfordern: Immerhin habe China, das nie seinen eigenständigen Weg verlassen habe, ebenfalls Beziehungen zu den USA.
Obwohl Revolutionsführer Khamenei als Wortführer der Konservativen Ende Oktober buchstäblich auf den Tisch haute und drohte, alle jene Politiker zu entlassen, die für einen Dialog mit den USA eintreten, konnte er die Diskussion nicht stoppen. Auch nicht der erzkonservative Justizchef Hashemi Shahrudi, der mit strafrechtlichen Konsequenzen für die „Verräter an der Revolution“ von sich reden machte.

Khatami hält sich wie üblich in dieser Frage bedeckt, da hat sich auch in seiner zweiten Amtszeit nicht viel geändert. Mit Verteidigungsminister Shamkhani, der sich bei den Wahlen im Juni ebenfalls um das Präsidentenamt bewarb, hat Khatami einen der schärfsten Kritiker seiner jetzigen Politik direkt im eigenen Kabinett sitzen. Die „aktive Neutralität“ Khatamis diene allein dem US-amerikanischen Dominanzstreben in der Region, artikulierte Shamkhani jüngst die weit verbreiteten Befürchtungen, die USA würden, wenn sie einmal in Zentralasien und Afghanistan militärisch präsent seien, nie wieder weggehen – genauso wie sie nach dem Golfkrieg auch Saudi-Arabien nicht mehr verlassen hatten (einer der Gründe, die Osama Bin Laden für seinen „Jihad“ gegen die US-Amerikaner angibt).
Neben Saudi-Arabien und der Türkei ist Iran der dritte große Spieler in Zentralasien. Es geht also nicht etwa nur um Antiamerikanismus, sondern auch um handfeste politische und wirtschaftliche Interessen vor der Haustür.


Die Notwendigkeit einer Standortbestimmung nach dem 11. September scheint dem Lager der Reformer um Khatami im Moment einen ganz neuen Schwung zu geben – wobei wie schon früher so manche Khatami-Parteigänger in ihren politischen Absichten diesen weit übertreffen: Sie wollen im Grunde keine Reform, sondern einen Systemwechsel. Ihre Unterstützung für Khatami war von Anfang an sowohl Hoffnung als auch Gefahr für denselben. Aber Episoden wie der jüngste „Fußballaufstand“ der iranischen Jugend – nach dem Sieg über die Vereinigten Arabischen Emirate Anfang November hatten Freudendemos im ganzen Land einen für die Konservativen bedrohlichen politischen Touch bekommen – zeigen, dass sie mit ihrem Veränderungswillen eine vorherrschende Stimmung unter der Jugend repräsentieren.
Und jung sind die meisten Iranerinnen und Iraner: Weit mehr als die Hälfte wurden nach der islamischen Revolution 1979 geboren. Für sie ist diese nicht viel mehr als institutionalisierte Geschichte, die sie vorwiegend als Einschränkung ihrer Freiheit und ihrer Akzeptanz im westlichen Ausland erfahren mussten. Übrigens wurden nach dem Fußballspiel Tausende Satellitenschüsseln konfisziert: Mit einem sicheren Instinkt finden die Hardliner immer neue Mittel, um die Leute gegen sich aufzubringen.

Die zweite Amtszeit Mohammed Khatamis hatte im August schlecht begonnen, obwohl er bei den Wahlen im Juni eindeutig bewiesen hatte, dass trotz aller Schwierigkeiten seiner ersten Jahre die Mehrheit der Iraner und Iranerinnen fest hinter ihm steht. Im Grunde waren die Wahlen ein Referendum über den Öffnungskurs des Iran gewesen, das Ergebnis war eindeutig. Wer aus Protest gegen Khatamis Zögerlichkeit – mit der er die herrschenden Verhältnisse zementieren helfe – nicht zur Wahl ging, wählte auch keinen anderen Kandidaten. Der Sieg Khatamis fiel eindeutiger aus als von westlichen Beobachtern – die Autorin eingeschlossen – befürchtet.
Aber wie ein Geschenk für die Hardliner kam dann kurz vor der geplanten Angelobung Khatamis Anfang August die Weigerung des (von Reformern dominierten) Parlaments, zwei ihnen vorgeschlagene notorische Konservative in den Wächterrat zu wählen. Da der Wächterrat aber bei der Angelobung eines Präsidenten anwesend sein muss, und zwar komplett, wurde die Amtseinführung Khatamis abgesagt – und erst durchgeführt, als sich das Parlament gedemütigt und den Konservativen sein Plazet gegeben hatte.
Ein klares Signal dafür, dass auch in der zweiten Amtszeit Khatamis der Konflikt zwischen den Lagern weitergehen wird – und dass die Macht (und übrigens auch das Geld) weiterhin bei den Konservativen bleibt. Die Vitalität der iranischen Gesellschaft werden sie aber nicht unterdrücken können, zumindest nicht auf ewig. Und der Afghanistan-Konflikt hat die Dringlichkeit, so manche offene Fragen zu lösen, unterstrichen.

Die Autorin ist Islamwissenschafterin und Leiterin der Auslandsredaktion der Tageszeitung „Der Standard“.

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