Die Welt erlesen

Von Eva Massingue · · 2009/05

Kinder- und Jugendliteratur aus dem Süden wird heute kaum noch übersetzt und verlegt – doch zum Glück gibt es noch einige einzelkämpferische, engagierte Verlage.

„Guck mal übern Tellerrand“ – so nennt sich eine 1988 in Deutschland zur Förderung von Kinder- und Jugendliteratur ins Leben gerufene Initiative. Seit ihrem Bestehen kämpft sie mit vielen Hindernissen. In den 1980ern bemühte man sich verzweifelt darum, die Bücher aus dem Süden aus dem „Dritte Welt-Regal“ herauszubekommen, dieser besonderen Abteilung, in die nur derjenige seine Blicke schweifen ließ, der sich bereits für „solche“ Literatur interessierte. Den InitiatorInnen war damals gar nicht bewusst, wie glücklich sie sich schätzen konnten, denn immerhin erschien Kinder- und Jugendliteratur aus Afrika, Asien und Lateinamerika. Zwar in einer Schublade abgelegt – aber immerhin war sie da.

Inzwischen hat sich mehr und mehr herumgesprochen, dass Weltliteratur nicht nur in der westlichen Welt geschrieben wird und sogar auch, dass sich diese Tatsache auch auf die Literatur für jüngere LeserInnen erstreckt. Die Schubladen tragen heute andere Label, doch die Situation hat sich nicht verbessert, die Probleme haben sich nur verlagert: Kinder- und Jugendliteratur, geschrieben von Autoren und Autorinnen aus dem Süden, wird kaum noch übersetzt und verlegt. Eine Reihe engagierter, meist kleinerer Verlage sind in großen Verlagshäusern aufgegangen, haben dabei oft ihr Profil verloren oder sind gleich ganz von der Bühne verschwunden. Gäbe es nicht die Schweizer Reihe Baobab, die nach mehreren Verlagswechseln seit 1989 beim NordSüd-Verlag in Zürich ein Zuhause gefunden hat, dann sähe die Bilanz noch schlechter aus.

Trotzdem ist es ja nicht ganz so, dass der jugendliche Leser oder die Leserin nichts über die Welt erlesen kann. Zum Beispiel über Aids in Afrika. Da gibt es von Lutz van Dijk, einem ursprünglich Deutschen mit der Wahlheimat Südafrika, „Township Blues“, bereits 2000 erschienen (bei Elefantenpress, einem der engagierten Verlage, die heute in großen Verlagshäusern aufgegangen sind, in diesem Fall bei Random House). Es ist ein ausgezeichnetes Buch, das auch in Schulen gelesen wird und sich dem Thema mit Empathie, Verstand und Engagement nähert. Sehr gut könnte dieses Buch neben einer Reihe anderer zum Thema Aids in Afrika aus afrikanischer Feder – wenn es die denn gäbe.

2006 veröffentlichte van Dijk ein weiteres Buch zum Thema („Themba“ im ebenfalls bei Random House angesiedelten Verlag cbt); vom Kanadier Alan Stratton gibt es zwei. Henning Mankell thematisiert Aids im zweiten Band seiner Sofia-Trilogie, die in Mosambik spielt („Das Rätsel des Feuers“ bei Oetinger 2002) und in seinen Erinnerungsbüchern, die sich jedoch eher an ein erwachsenes Lesepublikum richten. Dann gibt es noch Deborah Ellis, ebenfalls Kanadierin („Das Radiomädchen“, Jungbrunnen 2006). Das einzige Jugendbuch, das Aids zum Thema hat und tatsächlich von einer Afrikanerin geschrieben wurde – „All for love“ von Jenny Robson aus Südafrika -, erschien 2007 beim Peter-Hammer-Verlag, einem der ganz wenigen ganz besonderen Verlage. Dort ist auch Meja Mwangis „Die achte Plage“ erschienen, nicht eigentlich ein Jugendbuch, es kann aber auch von Jüngeren gelesen werden.

Ein anderes Beispiel: Afghanistan. Darüber gibt es Bücher von Ellis Peters, Wolfgang Böhmer und André Boesberg. Warum werden Bücher von westlichen AutorInnen über die Länder des Südens eher publiziert als Bücher, die von dort stammen? Natürlich ist ein Buch eines afrikanischen Autors nicht per se besser oder auch nur authentischer als das, sagen wir mal, eines Kanadiers. Literarische Qualität ist ein anderes Thema. Aber nichtsdestotrotz gibt es eine ganze Reihe interessanter, spannender, qualitativer Kinder- und Jugendbücher aus dem Süden, die hier nicht oder nur über den Umweg eines anderen europäischen Landes verlegt werden. Lebt der Autor bzw. die Autorin bereits in den USA oder Europa, dann fördert das offensichtlich die Möglichkeit einer Veröffentlichung, z.B. Marguerite Abouet aus Côte d’Ivoire in Frankreich, die Koreanerin An Na in den USA, die Iranerin Marjane Satrapi, ebenfalls in Paris.

Die Autorin arbeitet bei der Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika in Frankfurt sowie als freiberufliche Autorin und Journalistin.

Mehr zum Thema sowie weiterführende Links und eine Liste empfehlenswerter Bücher auf www.litprom.de
Weitere Infos auf:
www.nord-sued.com
www.baobabbooks.ch
www.1001buch.at


Fünf außergewöhnliche positive Beispiele für Jugendliteratur aus dem Süden
John Kilaka: Frische Fische. Verlag Atlantis/ Orell Füssli (Reihe Baobab), Zürich 2001, Bilderbuch ab 5 J. aus Tansania.
Sandhya Rao (Text)/ Karuna Sesh und Pervez Bhagat (Fotos): Mein Freund, das Meer. Kreuzberger Kinderstiftung Selbstverlag, Berlin 2006. Eine Tsunami-Geschichte aus Indien ( ab 8 J.).
Pensri Kiengsiri: Seebarsch und Süßkartoffeln. Eine Liebesgeschichte aus Bangkok. NordSüd Verlag, Reihe Baobab, Zürich 2007 (ab 12 J.).
Marguerite Abouet (Text)/ Clément Oubrerie (Zeichnungen): Aya. 3 Bände, Comic, ab 14 J., Côte d’Ivoire.
Tamar Verete-Zehavi: Aftershock. cbt 2009, Israel, ab 14 J.

Fremde Welten


Fremde Welten
Der Kinderbuchfonds Baobab und andere Organisationen veröffentlichten einen Katalog mit 90 Neuerscheinungen und 100 älteren, doch immer noch aktuellen Titeln – Belletristik und Sachbücher – für Kinder und Jugendliche, die das „Fremde“ auf ganz unterschiedliche Weise thematisieren. Die beste Orientierungshilfe, die es in diesem Bereich gibt. Bezug (129 Seiten, € 9,00) info@jugendliteratur.org, Tel. 004989/4580 80-6.

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