Die Welten erlesen II

Von Eva Massingue · · 2010/02

Nach dem Blick auf die außereuropäische Kinder- und Jugendliteratur (SWM 5/09) untersuchen wir heute, wie deutschsprachige Autorinnen und Autoren den so genannten Süden unseres Planeten unseren jungen LeserInnen darstellen, und die entsprechende Verlagspolitik.

Im vergangenen Mai habe ich an dieser Stelle beklagt, wie spärlich Kinder- und Jugendliteratur aus den Ländern des Südens den Weg in die Publikationslisten deutschsprachiger Verlage findet. Dergleichen „Exotisches“ überlassen die meisten Verlage gerne einigen wenigen kleineren Verlagen, von denen man annimmt, dass sie „auf so etwas“ spezialisiert seien. „Afrikanische Literatur? – da wenden Sie sich am besten an den Peter Hammer Verlag in Wuppertal“, heißt es. Oder: „Ein Kinderbuch aus Mexiko? So was macht doch der Schweizer NordSüd-Verlag in der Reihe Baobab.“ Das ist schon richtig, aber es sollte keine bequeme Ausrede sein für andere Verlage, sich Bücher aus dem Süden dieser Welt nicht einmal anzusehen.

Bücher nicht aus dem, sondern über den Süden, geschrieben von westlichen AutorInnen, scheinen für Verlage jedoch von Interesse zu sein. Erwartet man in den Lektoraten, dass eine deutsche Autorin eher verständlich und interessant über den Nahostkonflikt schreiben kann, ein kanadischer Autor besser über Aids in Afrika Bescheid weiß als jemand aus dem Süden? Diese polemische Frage soll nicht den Eindruck erwecken, dass etwa jeder afrikanische Autor kompetenter über afrikanische Themen schreiben kann als eine Nicht-Afrikanerin. Die Herkunft eines Autors, einer Autorin ist noch kein Qualitätsmerkmal. Und doch stellt sich die Frage, warum die westlichen AutorInnen dann so überproportional häufig in einer Liste der Literatur über den Süden vertreten sind.

Erwartet man sich von den „eigenen“ AutorInnen hilfreichere Erklärungen? Eine bessere Vermittlung zum Verstehen des Fremden? Fühlen sich die LektorInnen hier einfach sicherer? Oder sind es die Vertriebswege? Finden die Bücher der westlichen AutorInnen einfacher und schneller den Weg in die Lektorate deutschsprachiger Verlage? Spart man gern auch Übersetzungskosten? Die Antwort ist sicher eine Mischung der einzelnen Komponenten, und zumindest bei den letzten drei kann „litprom“ (die deutsche Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika) gegensteuern, da gibt es für Verlage die Möglichkeit, Übersetzungskostenzuschüsse zu beantragen (siehe unten). Oder bei den Verlagsinformationen oder der Gutachten-Datenbank kann nach Büchern aus außereuropäischen Kulturen statt über die Länder des Südens gesucht werden. zu suchen.

Der Schwerpunkt bei den ersten Fragen des oben genannten Fragenkomplexes liegt wahrscheinlich auf einer ganz bestimmten Gruppe von Büchern: den Jugendbüchern, die den Nahostkonflikt, Terrorismus und Migration wegen lebensbedrohlicher Zustände dem deutschsprachigen Jugendlichen nahe zu bringen versuchen. Eines der lesenswertesten Bücher dieser Gruppe ist von einer Israelin geschrieben: „Aftershock“ von Tamar Verete-Zehavi. Die Folgen eines Selbstmordanschlages sind Thema dieses Buches, frei von Hass oder Schuldzuschreibung dargestellt, aber deutlich in den Konsequenzen.

Die französisch-israelische Autorin Valérie Zenatti beschreibt in „Leihst du mir deinen Blick?“ eine E-Mail-Freundschaft zwischen Jerusalem und Gaza und die Schwierigkeiten, ja fast die Unmöglichkeit eines Dialoges zwischen Israelis und Palästinensern. Valérie Zenatti hat Jahre in Israel gelebt und dort auch ihren 21-monatigen Militärdienst abgeleistet. Offensichtlich werden Israeli, die über den jüdisch-arabischen Konflikt schreiben, übersetzt. Bei rein arabischen Konfliktherden sieht das anders aus. Mehrere europäische Autorinnen und Autoren haben sich in diesem Genre versucht, u.a. Brigitte Blobel („Zwischen Bagdad und nirgendwo“), 315 Seiten über die Flucht eines zum Waisen gewordenen 15-jährigen Jungen aus Bagdad und seine Schwierigkeiten, in Berlin eine zweite Heimat zu finden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Akkulturationsschwierigkeiten des Jungen und seiner ersten Liebe.
Hinweise:
Zum Übersetzungskostenzuschuss siehe www.litprom.de/uebersetzungsfoerderung.html
Mehr zur Aktion „Guck mal übern Tellerrand“ und zur Liste empfehlenswerter Bücher auf www.litprom.de
Tel. 004969/2102-270
E-Mail: a.stock@book-fair.com

Im Bertelsmann Verlag (Verlagsgruppe Random House) gibt es zwei eigenständige Jugendbuchverlage:
cbj (Kinder- und Jugendbücher) sowie cbt (für älteres Zielpublikum), www.randomhouse.de

Anna Perera, eine englische Autorin, schrieb in der Art von „Der Junge im gestreiften Pyjama“ ein zu Herzen gehendes Buch über einen Jugendlichen, der schuld- und hilflos in die Mühlen einer grausamen Maschinerie gerät: Guantanamo Boy.

Wolfgang Böhmer, ein Journalist aus Österreich, erzählt in „Hesmats Flucht“ eine, wie im Untertitel betont wird, wahre Geschichte einer Flucht aus Afghanistan. Eine zweite Fluchtgeschichte nach einer ebenso als wahr hervorgehobenen Vorlage beschreibt André Boesberg in „Den Taliban entkommen“. Boesberg ist Niederländer.

Nichts per se gegen diese Bücher, aber gerne würde ich doch ein Buch aus arabischer Feder lesen – und empfehlen – können und mehr Bücher „aus“ statt „über“.

Die Autorin arbeitet bei der Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika in Frankfurt sowie als freiberufliche Autorin und Journalistin.

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