Ein ganz normaler Mord

Von Redaktion · · 2007/11

Das organisierte Verbrechen gewinnt immer mehr Macht in Guatemala. Wer im Weg steht, wird skrupellos beseitigt – so wie José Méndez, tätig im Kontrollturm des internationalen Flughafens. Hommage an einen aufrechten Menschen von Andreas Boueke.

Das Haus liegt in einem der Außenbezirke von Guatemala-Stadt. Meine Hände sind feucht. Ich stehe vor der kleinen Küche der Familie Méndez. Mutter Miriam trocknet Geschirr ab. Bisher kannte ich sie als eine disziplinierte Frau, streng in der Kontrolle ihrer Gefühle. Das erste Mal haben wir uns vor fast fünfzehn Jahren gesehen, in San Francisco, Kalifornien. Dort lebte sie eine Zeit lang im Exil, zusammen mit ihren drei Kindern und ihrem Mann Amílcar, der sich in Mittelamerika als unerschrockener Menschenrechtsaktivist einen Namen gemacht hat.
In Guatemala erhielt die Familie jahrelang immer wieder Morddrohungen. Der Schatten der Gewalt hat ihr Leben verdunkelt. Trotzdem sagte Miriam oft, sie halte sich für eine privilegierte Frau, eine glückliche Mutter. Ihre Kinder waren fröhliche, hilfsbereite Menschen. Der Sohn José, genannt Pepe, liebte sie, wie es sich eine Mutter nur wünschen kann.
José Méndez starb am 17. August 2007 im Alter von 28 Jahren. Mindestens acht Kugeln hatten seinen Körper durchbohrt. „Meine Trauer ist grenzenlos,“ sagt Miriam. „Doch ich muss sie herunterschlucken, um zu vermeiden, dass sich die Zwillinge erschrecken. Die beiden sind erst sieben Jahre alt, aber schon Halbwaisen. Nur wenn sie mal nicht im Haus sind, stoße ich Schreie aus, als ob ich verrückt wäre.“
Ich gehe auf Miriam zu, um ihr zu sagen, wie leid es mir tut. Ich streichele ihre Schultern, sie schaut mich an, sie bedankt sich und … bricht zusammen. Wie eine Explosion der Trostlosigkeit, eine Sirene der Trauer. „Sie haben meinen Sohn ermordet.“

Die Tat wurde in der Nähe des Flughafens verübt. „Es war ein genau geplantes Verbrechen, mit dem Ziel, José zu töten“, versichert Alvaro Matús, Direktor der nationalen Mordkommission. Ich frage mich, ob die Mörder wirklich wissen, was sie tun? Ob die Auftraggeber solcher Morde einen Moment lang darüber nachdenken, welches Leid sie anderen zufügen? Pepes Frau Surgey muss die Zwillinge nun allein groß ziehen. Soviel Schmerz, solch ein Verlust. „Diese Leute haben kein Gewissen“, meint Surgey. „Sie denken nicht daran, was es bedeutet, einen Menschen zu verlieren, den man liebt. Bevor wir an den Ort kamen, an dem Pepe auf der Straße lag, dachte ich noch, er habe nur eine Wunde, dass er bald wieder bei uns sein würde. Ich hätte ihn gepflegt. Aber es war schon zu spät. Ich kann es noch immer nicht glauben.“
Pepes Vater, Amílcar Méndez, sitzt in seinem Arbeitszimmer. Die Möbel sind voller Bücher, Akten, Papiere. So hat der kleine Raum immer ausgesehen. Wir sind schon oft hier gesessen und haben Fälle diskutiert. Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der Amílcar nicht an der Aufklärung irgendeines Verbrechens beteiligt gewesen wäre oder an Hilfsprojekten für verarmte Gemeinden auf dem Land, an Gesetzesinitiativen oder Solidaritätskampagnen für unterdrückte Minderheiten. Er spricht gerne über Details und zieht dabei allerlei Dokumente aus Schubladen oder öffnet Archive auf seinem Computer. Jetzt beteiligt er sich wieder an einer Untersuchung. Er will herausfinden, wer seinen Sohn getötet hat.

„Dieser Mord ist einer von vielen tausenden in Guatemala. Wir sehen die Tat nicht als Einzelfall, sondern in dem Kontext des Terrors und Blutvergießens, das wir in unsrem Land erleben. Die Gewalt, die Korruption, die großen Geschäfte der Privatwirtschaft, die von einigen wenigen, sehr reichen Familien kontrolliert werden. Der Bürgerkrieg ist vor elf Jahren zu Ende gegangen. Seither sind die perversen Strukturen der Militärs durch andere kriminelle Strukturen ersetzt worden. Heute regiert das organisierte Verbrechen. Es geht um Drogen, Schmuggel, illegale Migranten, Prostitution, Kinderhandel. All das ist bekannt, aber ich muss eingestehen, dass ich zu vertrauensselig war. Mein Sohn hat im Kontrollturm des internationalen Flughafens gearbeitet. Alle Welt weiß, dass das ein Operationszentrum der Mafia ist. Weil Pepe die legalen Vorschriften befolgt hat, ist er bestimmten Leuten in die Quere gekommen. Deshalb haben sie beschlossen, ihn zu töten.“
Ich erinnere mich noch gut daran, wie mir Pepe schon als Jugendlicher von seinen Erfahrungen im Bürgerkrieg erzählt hat. Mehrmals ist er mit seinem Vater in Dörfer gefahren, in denen die Armee kurz zuvor dutzende Menschen massakriert hatte. Mit einer Videokamera hat er die Leichen gefilmt, um diese Kriegsverbrechen zu dokumentieren. Amílcar ist stolz darauf, dass er in seiner Arbeit immer auf die Unterstützung seiner Kinder zählen konnte. Sie haben seinen Enthusiasmus für den Kampf um Gerechtigkeit geteilt, obwohl sie schon früh erfahren mussten, was es bedeutet, bedroht zu werden und Angst vor Todesschwadronen zu haben.
Jetzt zieht Amílcar wieder Dokumente hervor und diskutiert Hypothesen. Aber etwas ist verloren gegangen in der Seele dieses traurigen Vaters. Sein Haar scheint grauer geworden zu sein, sein Gesicht düsterer. Er versucht, die Trauer mit Aktivität und Resignation zu überspielen. Aber manchmal kann er nicht verhindern, dass seine Stimme zittert. Seine jüngste Tochter Ana Maria, 21, sagt, sie müsse jetzt stark sein, um ihre Eltern zu unterstützen, ihre Schwägerin und die Kinder: „Sonst fällt alles auseinander. Wir als Familie waren immer eine enge Gemeinschaft. Aber jetzt ohne Pepe wird es nie wieder so sein wie früher. Ich habe oft mit ihm darüber gesprochen, wie grausam das Leben in diesem Land ist, wie viel Blut vergossen wird. Manchmal habe ich ihn am Wochenende auf den Flughafen begleitet. Ich habe miterlebt, wie unzuverlässig die Kontrollen dort sind. Wer die richtigen Beziehungen hat, der kann rein und raus bringen, was er will. Pepe war immer sehr korrekt in seiner Arbeit. Er hatte die Befugnis, eine Starterlaubnis zu geben oder zu verweigern. In manchen Situationen hing alles von seiner Entscheidung ab.“

Das Land der schwarzen Zukunft
Am 4. November finden in Guatemala Stichwahlen um das Präsidentschaftsamt statt. Die Kandidaten sind der Sozialdemokrat Álvaro Colom und der General Otto Pérez Molina. Während des Wahlkampfes wurde offensichtlich, dass Coloms Partei von Angehörigen der Armee und von obskuren Gestalten aus dem Umfeld des organisierten Verbrechens unterwandert ist. Pérez Molina hingegen versucht erst gar nicht, seine dunkle Vergangenheit zu verschleiern. Während des Bürgerkriegs war er als Kommandant einer Militärbasis in der Hochlandregion Quiche verantwortlich für zahlreiche Massaker an der Zivilbevölkerung. A.B.

Arbeitskollegen vom Flughafen erzählen mir, der Generaldirektor des Flughafens habe Pepe kurz vor seinem Tod persönlich aufgefordert, seinen Platz zu räumen. Der mächtige Mann wollte ihn entlassen, nachdem er eine nächtliche Starterlaubnis für ein Flugzeug verweigert hatte, dessen Besitzer der Direktor selbst ist. Dieses startetet dann trotzdem, ohne dass die Fracht ordnungsgemäß kontrolliert worden wäre. Pepe konnte sich gegen die Entlassung wehren, weil er gemäß den Vorschriften entschieden hatte. Aber wenig später war er tot. Viel mehr möchten die Arbeitskollegen nicht sagen. „Es ist aber eine Tatsache, dass hier auf dem Flughafen schon einige Piloten ermordet wurden, ohne dass die Staatsanwaltschaft ernsthafte Nachforschungen angestellt hätte“, erklärt einer. „Wir vermuten, dass es Druck von oben gibt. Wenn die Leute an der Macht nicht wollen, dass ein Fall aufgeklärt wird, dann gibt es auch keine Anklage.“

Der für den Mord an Pepe zuständige Ermittler der Staatsanwaltschaft, Héctor Canastuj, bestätigt die Vermutungen über den Einfluss des organisierten Verbrechens auf dem Flughafen: „Diese Leute haben keine Skrupel. Sie eliminieren Personen, von denen sie sich gestört fühlen. Bisher wissen wir nur von Hinweisen, dass auf dem Flughafen Drogen umgeschlagen werden. Beweise gibt es nicht. Die Mafia erlaubt keine Zeugen.“
An selben Tag meines Besuchs in dem Haus der Familie Méndez wurden in der guatemaltekischen Hauptstadt acht Menschen ermordet. Das entspricht etwa dem statistischen Durchschnitt pro Tag. Wahrscheinlich wird nicht ein einziges dieser Verbrechen aufgeklärt. Im Fall von Pepe hat sich das FBI eingeschaltet, weil sein Vater Amílcar gute Beziehungen zu Menschenrechtsorganisationen in den USA hat. Eine internationale Kampagne mit dem Titel „Gerechtigkeit für Pepe“ ist angelaufen.

Mehr über die internationale Kampagne „Gerechtigkeit für Pepe“ auf
http://cgrs.uchastings.edu/campaigns/pepe/JusticeForPepe_page.html

Der deutsche Journalist und Buchautor Andreas Boueke lebt seit knapp 15 Jahren als freier Journalist in Guatemala.

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