Ein Kind seiner Zeit

Von Brigitte Pilz · · 2004/10

Die Geburt, die Kindheit, die Flegeljahre und das Erwachsenwerden der Organisation ÖIE/Südwind hätten so nur in diesen vergangenen 25 Jahren passieren können. Es war eine Zeit des Aufbruchs für das entwicklungspolitische Engagement, des Suchens nach Erneuerung und Befreiung und eine Zeit des Glaubens daran, dass alles möglich ist, wenn man nur will.

Die Entstehung ist rasch erzählt: Der ÖIE wurde 1979 von einer Handvoll engagierter Menschen als Verein gegründet, nachdem sich der Jugendrat für Entwicklungshilfe aufgelöst hatte bzw. von offizieller Seite die Finanzierung der Auslandsarbeit eingestellt worden war. Das Bundeskanzleramt hatte Interesse, die für die entwicklungspolitische Informationsarbeit in Österreich bereitstehenden Mittel einer neuen Organisation anzuvertrauen. Der ÖIE präsentierte sich mit einer exklusiv auf Bildungs-, Informations- und Öffentlichkeitsarbeit in Österreich konzentrierten Konzeption. „Entwicklungspolitik im eigenen Land“ war die Devise.
Ganz bewusst setzte man das „Österreichisch“ vor den Namen. Alle interessierten Organisationen und Einzelpersonen konnten gleichberechtigt beitreten und die Arbeit mitgestalten. Dieses Prinzip schuf zwar eine breite Basis (2.000 Mitglieder 1992, 1.600 Mitglieder heute), hat aber dem ÖIE eine gewisse Krisenanfälligkeit in die Wiege gelegt, etwa bei der Suche nach Themen, die eine gemeinsame Herausforderung darstellen.
„Österreichisch“ als Prinzip kam auch in der Regionalisierung zum Tragen. Sukzessive wurden in allen Bundesländern Regionalvereine mit eigenen Büros gegründet. Auch dies für die Kommunikation eine schwierige Konstruktion. Sie hatte aber den eindeutigen Vorteil, auf unterschiedliche Ausgangslagen und Bedürfnisse eingehen zu können. So sieht die ÖIE-Geschichte in der Steiermark anders aus als im Burgenland oder in Tirol, auch die Umsetzung gemeinsamer Themen: In Salzburg etwa engagierte man sich gleich zu Beginn der Regionalarbeit stark in der LehrerInnenfortbildung; in Oberösterreich waren Betriebsräte eine wichtige Zielgruppe; im Burgenland wurden allein in den ersten fünf Jahren rund vierzig einstündige Radiosendungen gestaltet; Tirol setzte auf Kultur und vor allem auf Film.

Viel diskutiert, später vom Rechnungshof als „leistungsfeindlich“ kritisiert waren die Prinzipien „Einheit von Hand- und Kopfarbeit“ und „Gleiches Gehalt für alle“. Für viele waren diese Prinzipien motivierend. Es gab natürlich trotzdem mehr oder weniger Fleißige und Ideenreiche. Es gab solche, die sich vor dem Putzen drückten. Einige hatten in den Sitzungen das Sagen, andere waren sozial zu schwach dafür. So wurde aus der „Einheit von Hand- und Kopfarbeit“ eine ideologische Formel, die nach einigen Jahren zu Grabe getragen wurde und mit ihr die „Gleichheit des Gehalts“. Wahrscheinlich waren diese Prinzipien in der ersten Phase des Vereins wichtig, um eine eigenständige Organisationskultur zu entwickeln.

Gendergerechtigkeit wurde vom ÖIE ebenfalls groß auf die Fahnen geschrieben, obwohl damals in anderen Worten. Ulrike Lunacek, ehemalige SÜDWIND-Redakteurin, kritisch: „Unter den Angestellten gab es meist mehr Frauen als Männer. Nur die Geschäftsführung blieb fest in Männerhand – bis heute.“
„Am Anfang war der ÖIE ein Tisch, an dem alle Platz nehmen konnten, die Interesse am Thema Entwicklungspolitik hatten“, blickt Martin Jäggle, einer der Gründerväter und langjähriges ÖIE-Vorstandsmitglied, zurück. Das klingt sehr harmonisch, war es aber keineswegs immer. Platz genommen hatten Katholische Organisationen ebenso wie sozialistische, die Junge ÖVP und linke Solidaritätsgruppen. An diesem Tisch wurden gemeinsame Aktionen ausgetüftelt, es wurden Strategien überlegt. Es wurde aber auch heftigst gestritten, so dass mitunter die Fetzen flogen. Und es wurde nicht nur sachlich diskutiert. Manche erinnern sich an scharfe persönliche Attacken und Untergriffe. „Es hat mich meine Gesundheit gekostet“, sagt eine Mitarbeiterin heute. „Ich hatte kein dickes Fell, doch den Ehrgeiz: Ich schaffe es. Ich zeige es ihnen.“

„Sachlich ging es“, so Martin Jäggle, „in den frühen 1980er Jahren häufig um die Frage: Wie kritisch darf Solidarität sein?“ Auch in Österreich hatten sich zahlreiche Solidaritätsgruppen gebildet – zu Nicaragua, Chile oder El Salvador. Es gab die Anti-Apartheid-Bewegung und andere mehr. Sie standen „ideologisch klar links“, bewertet das der Journalist Adalbert Krims, der viele Jahre Vorstandsmitglied im ÖIE war. „Sie fühlten sich vom ÖIE häufig nicht genügend unterstützt.“ Dieser war jedoch als überparteiliche und nicht-konfessionelle Dachorganisation gegründet worden. Auch Krims erinnert sich an „Spannungen, die teilweise nervenaufreibend und zeitraubend waren“. Doch versöhnlich fügt er hinzu: „Es gab aber so etwas wie einen Zusammenhalt der Dritte-Welt-Engagierten.“
Herbert Berger, langjähriger Mitarbeiter des Renner-Instituts, auch er ÖIE-Vorstandsmitglied und Vorsitzender der AGEZ, des Dachverbandes entwicklungspolitischer Organisationen, hat das Verhältnis zwischen ÖIE und Soli-Gruppen „gar nicht so konfliktreich“ in Erinnerung. „Beide hatten einfach verschiedene Aufgaben: Entwicklung wollten die einen, Befreiung die anderen. Da gab es natürlich Auseinandersetzungen.“
1988 kamen die Konflikte von außen, und der ÖIE geriet in eine echte Krise. Erich Hochleitner wurde als neuer Leiter der Sektion Entwicklungshilfe im Außenministerium bestellt. Den ÖIE, diesen „Agenten Moskaus“ zu liquidieren oder ihm gehörig die Flügel zu stutzen sollte mit dem Abdrehen des Geldhahns verwirklicht werden. „Die Presse“ und konservative ÖVP-Kreise assistierten. Andreas Khol, heute Nationalratspräsident, bezeichnete die Engagierten rund um den ÖIE als weltfremde „Sozialromantiker“. MitarbeiterInnen und Mitglieder organisierten Protestaktionen. Es kam zu zahlreichen Solidaritätsbezeugungen aus ganz Österreich – auch aus ÖVP- und kirchlichen Kreisen. Organisationen, die bei Gründung des ÖIE mit ihrer Mitgliedschaft gezögert hatten, traten nun dem Verein bei. Diese breite Verankerung in Politik und in der Bevölkerung hatten die Angreifer unterschätzt.
Es blieben Schrammen: Durch die 20-prozentige Kürzung des Budgtes musste das Bundesbüro in Wien auf die Hälfte der MitarbeiterInnen reduziert werden. Wichtig war es dem Verein, trotz der Kürzungen die regionale Struktur aufrecht zu erhalten.
Von der Jahresprogramm-Förderung wurde auf Projektförderung umgestellt. Wichtiger wurde die Erhöhung der Eigenmittel, um Inhalte verfolgen zu können, die keine Chance auf eine Förderung durch staatliche Stellen hatten.
Die Krise von 1988 hat auch positive Denkprozesse ausgelöst: Was ist unverzichtbar? Was hat Priorität? Wie richten wir uns in Zukunft programmatisch aus? Schlecht war, dass dies in einer Situation der Existenzangst geschehen musste.
Heute kommt die Hälfte des Budgets aus der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit im Außenministerium, ein Viertel aus EU-Projekten und ein Viertel aus Eigenmitteln. Die Organisation hat zwar noch Ähnlichkeiten mit dem damaligen ÖIE. Sie ist aber doch unverkennbar verändert. Eine Organisationsberatung 1995 hat die Strukturveränderung begleitet: Unter anderem wurde die GmbH Südwind Agentur geschaffen, um Dienstleistungen effizienter anbieten zu können und um finanzielle Verantwortung von den ehrenamtlich Tätigen in den Vereinsorganen wegzunehmen. Die Trägerorganisation wurde in Verein Südwind Entwicklungspolitik umbenannt.
Atiye Zauner, ehemalige ÖIE-Obfrau: „Die Umgestaltung ist nicht befriedigend verlaufen. Mut zu etwas Neuem heißt auch, Visionen zu entwickeln. Das verlangt, sich von alten Denkweisen zu trennen. Das ist nicht durchgehend gelungen.“ Und Günther Ogris, der amtierende Obmann von Südwind Entwicklungspolitik, sieht es ähnlich: „Die Organisationsreform war mit einer finanziellen Krise verbunden, daher waren die Konflikte überdurchschnittlich stark, und es waren zu wenig Mittel da, diese Konflikte grundlegend zu lösen. Durch die Loslösung des Kärntner Regionalvereins wurde die Gesamtorganisation geschwächt.“ Die Landesgruppe Salzburg trennte sich später vom Verein. Die Zusammenarbeit funktioniert heute auf der Basis von Projekten gut.

Die Arbeitsfelder gliedern sich nach wie vor in Bildungsbereich (wobei die Erstellung von Ausstellungen wichtig geworden ist, neben Fortbildung für MultiplikatorInnen), Öffentlichkeitsarbeit/Kampagnen und Medien (unter anderem Herausgabe des SÜDWIND-Magazins, Betreuung der Internetplattform OneWorld.at).
Eine Person kennt den ÖIE/Südwind besser als alle anderen, sowohl als Mitarbeiter als auch als Ansprechpartner im Außenministerium für alle Projekteinreicher in diesem Bereich: Heinz Gabler. In der Rückschau benennt er Spannungsfelder, die in der ÖIE-Struktur und
-Aufgabenstellung gelegen sind:

-> „Grundsätzlich muss es neben der Öffentlichkeitsarbeit die viel stärker auf Dialog bauende Bildungsarbeit geben. Beides in einer Organisation bewältigen zu wollen, ist vielleicht eine Überforderung.“
-> „Entwicklungshilfe und Entwicklungspolitik wurden lange als Gegensatzpaar gesehen. Das war mit einem Hauptförderer, der Entwicklungshilfe und -zusammenarbeit als seine Aufgabe sah, und einem ÖIE, der auf Entwicklungspolitik setzte, etwas problematisch.“
-> „Der ÖIE war eine private Organisation, die aber doch eine quasi staatliche Mitfunktion übernommen hatte: die Koordinierung der entwicklungspolitischen Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit in Österreich. Dieses Kind hätte man später am liebsten weggelegt.“

Der ÖIE/Südwind hat also nicht nur 25 Jahre auf dem Buckel, sondern eine Menge Gepäck im Rucksack. Hat er sich (trotzdem) einen wichtigen Platz im politischen Geschehen Österreichs erarbeiten können? Heinz Gabler nüchtern: „Die gesamte Entwicklungspolitik führt leider noch immer ein Nischendasein. Der Platz des ÖIE/Südwind ist seinen Möglichkeiten entsprechend adäquat.“
Inge Jäger, Regionalbeauftragte des ÖIE-Oberösterreich, dann Nationalratsabgeordnete der SPÖ, glaubt, dass „der
ÖIE/Südwind wesentlich zur Bewusstseinsveränderung vieler Menschen in Hinblick auf weltweite Ungerechtigkeit beigetragen hat“. Im Rückblick stellt sie fest, dass diese Organisation vorausschauend alle wesentlichen weltbedrohenden Themen angesprochen und aufgegriffen hat, etwa Hunger und Nahrungssicherheit, Friede und Befreiung, Umwelt und Entwicklung, Migration und Asylpolitik usw. „Die politischen Parteien mussten sich dadurch verstärkt mit diesen Themen auseinandersetzen.“
Am Anfang gab es nur den ÖIE für die Gesamtthematik Entwicklungspolitik. Im Laufe der Jahre sind eine Reihe von Organisationen hinzugekommen, die sich ebenfalls mit entwicklungspolitischer Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit beschäftigen. Die Südwind Agentur ist ein wichtiger Mitspieler. Wird es sie in 25 Jahren noch geben? Geschäftsführer Helmut Adam: „Eine kritische Begleitung der Prozesse der Globalisierung und anderer internationaler Entwicklungen durch starke NGOs wird wohl auch dann noch unverzichtbar sein.“ Der Südwind wird dann weiter mitmischen, wenn es ihm gelingt, immer neu eine Kompetenz für aktuelle Fragen der Zeit und Themen der Zukunft zu entwickeln. Eine lange Geschichte allein ist keine Legitimation für den weiteren Bestand.

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