Ein neuer Wind kam daher

Von Al Imfeld · · 1999/10

Hat der entwicklungspolitische Journalismus auf seinem langen Weg die Dritte Welt verraten?

Als ich bei der Vorbereitung dieses Artikels die gesamte Ahnengeneration des heutigen SÜDWIND-Magazins durchging, wurde mir bewußt, daß wir alle einen langen Weg in der Kommunikation entwicklungspolitischer Themen in kürzester Zeit hinter uns haben. Ist das positiv oder negativ? Haben wir etwa die Solidarität mit den Armen verlassen, weil wir vom beinahe nackten Elendspapier und grauen Kopien, also einer bewußt armseligen Aufmachung, zum Luxuspapier, hin zu Farbe und attraktiver Gestaltung übergingen? Das Dazwischen erscheint als eine unfaßbare Kluft. War dieser Übergang ein Verrat?

Ich denke im folgenden Artikel über zwei Fragen nach:

Welchen Weg sind wir seit 1979 bis heute in der Kommunikation gegangen? Haben wir uns nur unseren Leserinnen und Lesern angepaßt oder steht dahinter ein anderes Verständnis der Welt des Südens und der Armut?

Waren die dauernden Erneuerungen und das Verschönen richtig oder ein langsames Distanzieren von der sogenannten Dritten Welt?

INI = Wer eine EPN-Nummer aus dem Jahre 1979 in die Hand nimmt, staunt wirklich. Auch ich glaubte nicht, daß die Zeit dazwischen so kurz ist. Im Grunde handelt es sich um Fotokopien oder fast noch Gestetner-Druck, das heißt, die alte Vervielfältigungsmaschine von der Firma Gestetner, mit der wir weltweit – auch in der Mission – gearbeitet haben. Damals waren wir damit zufrieden: Es war bereits ein Glück, damit Nachrichten zu verbreiten und Fotos, die ganz schwarz und schmutzig herauskamen, um Bilder der Vorstellung zu irritieren oder gar schlafende Hunde zu wecken.

Unsere Wahrnehmung hat sich offensichtlich verändert. Diese Aussage wird eindeutig, wenn ich die erste EPN- Nummer und SÜDWIND-Ausgabe Nr. 7-8/ 1999 anschaue. Vom verschmierten und dunklen zum farbigen und lebensfrohen Bild liegt ein Wandel der entwicklungspolitischen Vorstellung dazwischen.

INI = Ich kam um 1970 aus den USA nach sechs Jahren Arbeit zurück. Ich hatte an der prestigereichen Journalistenschule Medill (zur Northwestern Universität gehörend, in Evanston, Illinois) abgeschlossen und anschliessend einige Erfahrung als Reporter gemacht. Ich erschrak bei meiner Rückkehr in den deutschsprachigen Raum Europas.

Hier herrschte ein Puritanismus und die Vorstellung, daß der Journalismus aus Solidarität sich den Armen anzupassen habe. Für mich war das unverständlich und unerträglich. Es hieß jedoch, aus Solidarität mit den Armen dürfe es bloß kärgliches (Umwelt-) Papier und nur schwarz-weiß sein. Farbe wäre eine entwicklungspolitische Häresie gewesen.

Sträflich vernachlässigt wurde das Bild. Analyse wollten alle; Bilder hielten den Geist vom Wesentlichen ab, hieß es. Diese Generation der Engagierten setzte aufs Wort und war mit Bildern ganz verunsichert. Ich kam mir wie in die Debatte der Juden im Alten Testament oder im Islam mit dem unvorstellbaren Gott zurückversetzt. „Du sollst Dir (ob von Yahwe oder von Allah) kein Bild machen.“

INI = Wir wollten, im Rückblick gesehen, Bildern nicht trauen und daher war es uns recht, wenn sie bloß als Signale schwarz und verschmiert daherkamen. Bilder waren nach unserer Vorstellung nicht analytisch und nicht bewußtseinsbildend. Bilder lenkten ab, genauso wie eine schöne Aufmachung. Die alte Feindschaft dem schönen Kleid gegenüber war noch immer vorhanden. Aufmachung konnte täuschen und verführen, nicht jedoch das Wort.

Selbst beim Wort durfte es nicht ein gutes Feature oder ein Essay sein. Facts und nichts als Fakten, hieß es landauf landab. Literatur gehörte der Mittelklasse und war ein Weg zum Kapitalismus; ihr wurde in diesen Kreisen mißtraut; es war unverzeihlich, mit Bildern (statt dem Verstand) das Elend entweder zu begreifen oder anzugehen.

Kapitalismuskritik hatte ihren Weg und meist nur den über Debatte, Podiumsgespräch (total überbewertet) und geschriebenes Wort. So konnte Tag und Nacht debattiert werden. Im nachhinein sehen wir, daß es wenig (nichts) gebracht hat.

INI = Unbewußt meist – meine ich – lagen drei Befürchtungen hinter diesem bildfeindlichen Verhalten:

Man kam mit Farbe nicht zurecht. Das Bild kam sehr leicht, so glaubten wir wohl, an Klischees und an Rassismus heran. Am Rassismus oder Chauvinismus ließ sich leichter vorbeischreiben, als sich mit Hilfe der Fotografie damit auseinanderzusetzen. Lange Zeit war Entwicklungspolitik etwas Rationales. Daher kamen wir auch kaum mit Projekten zurecht.

Wir hatten einen falschen Wirklichkeitsbegriff im Kopf. Noch krasser ausgedrückt: Vor der Konkretisierung dieser Wirklichkeit oder vor der Bildwerdung hatten wir Angst. So blieben wir Theoretiker. Wir schrieben grundsätzlich.

Vielleicht lag unbewußt auch ein Mißtrauen gegenüber der Mission dahinter. Die verschiedenen Missionsgesellschaften besaßen ihre Zeitschriften. Alle waren reichhaltig illustriert. Und wir? Wir wollten anders sein.

INI = Wir haben die „Dritte Welt“ nicht aufgegeben, aber wir wissen heute, daß sie auch mitten unter uns ist. Der Kalte Krieg ist vorbei. Darauf will ich nicht weiter eingehen. Nachdrücklich will ich betonen, daß mit 1989 eine neue Welt zu existieren begann. Der Dualismus zerfällt und daher hat auch die Zählweise 1, 2, 3 wenig Sinn mehr.

Kein Kommunikationswissenschaftler würde heute behaupten, daß wir früher recht hatten oder richtig lagen und daß seither ein Abfall stattgefunden hat. Doch manche meinen, eine stete Verflachung finde statt. Was ist denn geschehen?

Generell gesagt: Die Fotografie hat eine wichtige Stellung in der Kommunikation bekommen. Texte erhalten eine Vertiefung oder gar andere Dimensionen, wenn gute Fotos einen Text begleiten. Man kann Bilder und Text parallel laufen lassen; eine direkte Illustration ist nicht gut, sie wäre eine Mißachtung des Eigencharakters und -werts sowohl des Bilds als auch des Texts.

Ein Fotofeature – so sind wir überzeugt – kann genau so Vertiefung geben wie ein guter Text. Die Fotografie ist nicht nur eine Mode: Das Bild ist wichtig.

Immer mehr merken wir, daß der Mensch mehrere Sinne hat und daß, wenn mehr als einer zur gleichen Zeit berührt wird, eine breitere oder mehrdimensionale Wirkung entsteht. Wir verlassen nicht das Bewußtsein, aber wir merken, daß eine Vertiefung in Begleitung sehr hilfreich ist.

Die Frage ob Wort oder Bild ist eine Schlinge, denn es braucht beide und sogar mehr dazu, z.B. den Geruch, den Geschmack oder den Tastsinn. Es wird immer wichtiger, bei welchem Geschmack und wo, in welchem Lokal oder Zimmer, drinnen oder draussen, etwas gelesen wird.

Die Briten der einstigen Kolonien sind zu „out-door“- Menschen geworden, also muß das Picknick, die Wanderung, können Berg und Hügel, Bach und Wiese zum Verstehen beitragen.

INI = Wie bei den meisten Völkern und Kulturen dieser Welt gilt das Direkte wie eine Ohrfeige. Indirekt sollen heikle und komplizierte Themen angegangen werden. Meister sind hier die Asiaten. Selbst bei den Afrikanern wirkt ein direktes Angehen wenig und kommt ihnen wie koloniale Belehrung und somit zu ihrer Entwürdigung vor. Ähnliches scheint sogar bei unserem Volk viel mehr als bisher angenommen vorhanden zu sein. Wir meinten, Aufklärung bedeute Direktheit.

Ganz Europa, Österreich besonders eingeschlossen, ist multikulturell geworden. Pluralismus erfordert andere Kommunikationsstile. Voraus geht das Akzeptieren bestimmter Besonderheiten, denn es gibt bestimmte Stereotypien, z.B. daß die Österreicher barocker als andere geprägt sind; daß sie Genuß, Luxus oder Schmuck lieben, jedoch anders als Franzosen; daß Schweizer Kulturmischlinge sind, stark föderalistisch, bis zur Auslagerung von allem an den respektierten Rand; daß Franzosen etwas umkreisen und ihr Essay ein Muster ist; daß Deutsche stark nach dem 5-Prozent-Schema denken, mit klaren Abgrenzungen und Wertungen, tiefschürfig, direkt und frech sind; Angelsachsen sind Meister im Popularisieren.

Kommunikation gibt bei der Aufklärung sehr viel davon wieder. Und wenn ein Erzeugnis bei den Menschen ankommen will, muß es darauf Rücksicht nehmen. Daher sind Zeitschriften aus Österreich anders als deutsche oder schweizerische. Ich weiß, daß ich hier Gefährliches geschrieben habe, aber wenn ein Magazin nicht ein bißchen davon aufnimmt, wird es schwer sein, Abonnentinnen Abonennten zu gewinnen und halten.

INI = Ich beobachte, daß SÜDWIND langsam zu diesem Selbstverständnis gefunden hat. Wenn wir – sei es in Bern oder Frankfurt – ab und zu über die entwicklungspolitischen Produkte aus Wien gelächelt haben, soll das in Zukunft nicht mehr der Fall sein. Wir dachten ab und zu, daß diese Österreicher etwas seicht und weich sind, dem Kampf ausweichen, für uns schon zu genüßlich. Privat haben wir euch bewundert, in der Öffentlichkeit mußten wir etwas spöttisch sein. Vielleicht war es Neid.

Ganz zum Schluss: Läßt mehr offen und kontrovers bleiben. Wir müssen damit leben lernen und zu einer Erziehung dazu dienen auch Magazine wie SÜDWIND.<

Al Imfeld wurde 1935 im Luzerner Hinterland geboren. Nach seiner Ausbildung in Immensee und der Preisterweihe studierte er in verschiedenen Ländern (unter anderem in Ostafrika) Entwicklungssoziologie, Kommunikationswissenschaften und Landwirtschaft. Heute

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