Eine kurze Geschichte der Bevölkerung

Von Redaktion · · 2010/06

Ein Auf und Ab
Vor der Entwicklung der Landwirtschaft etwa um 10.000 v. Chr. dürfte die Weltbevölkerung aus rund einer Million Menschen bestanden haben. 300 bis 400 n. Chr. lebten allein im Gebiet des west- und oströmischen Reiches bereits 55 Millionen Menschen. Zwischen 541 und 750 wurde die europäische Bevölkerung durch Seuchen praktisch halbiert. Um 1340 war die Weltbevölkerung auf mehr als 440 Millionen angewachsen. Um 1400, nach den verheerenden Pestepidemien, war sie um fast ein Viertel geschrumpft. Die Bevölkerung in Europa benötigte ca. 200 Jahre, um wieder den Stand von 1340 zu erreichen. Im Mittelalter schrieb der nordafrikanische Universalgelehrte Ibn Chaldun (1332-1406) das erste wissenschaftlich-theoretische Werk zu den Themen Bevölkerung, Entwicklung und Gruppendynamik, die Muqaddimah.

Eroberung und Ernährung
Nach 1400 wuchs die Weltbevölkerung etwas stetiger. Ein Grund war die Ernährung: Neue Feldfrüchte aus den Amerikas, die im 16. Jahrhundert in Asien und Europa eingeführt wurden, trugen zum Bevölkerungswachstum auf diesen Kontinenten bei. Die indigene Bevölkerung der Amerikas dagegen wurde von Krankheiten dezimiert, die europäische KolonistInnen eingeschleppt hatten. Während der landwirtschaftlichen und industriellen Revolution in Europa erhöhte sich die Lebenserwartung von Kindern drastisch. In London etwa starben in den Jahren 1730-1749 74,5 Prozent der Kinder, bevor sie fünf Jahre alt wurden; 1810-1821 lag dieser Anteil bei nur mehr 31,8 Prozent. Die Bevölkerung Europas nahm im 18. Jahrhundert auf 200 Millionen zu, fast eine Verzweifachung, und verdoppelte sich im 19. Jahrhundert dank der besseren Lebensumstände und der Gesundheitsversorgung ein weiteres Mal.

Thomas Malthus
Ende des 18. Jahrhunderts kam der anglikanische Pfarrer und Mathematiker Thomas Malthus zum Schluss, dass Bevölkerungen exponenziell wachsen, wenn man nichts dagegen unternimmt. In seinem einflussreichen Werk von 1798, Essay on the Principle of Population, sagte er voraus, dass die Bevölkerung rascher wachsen würde als die Nahrungsmittelproduktion, mit der Folge einer sich stetig verschärfenden Hungersnot und Verarmung. Er hatte unrecht: Die Bevölkerung wuchs zwar, aber dank der verbesserten Anbaumethoden wuchs auch die Nahrungsmittelproduktion. Seine pessimistische Sicht war eine Reaktion auf Antoine-Nicolas Condorcet und William Godwin, zwei Denker der Aufklärung. Beide vertraten die Ansicht, dass Armut und Elend auf mangelhaften Institutionen beruhten und durch Reformen überwunden werden könnten. Malthus meinte, Wohlfahrtsmaßnahmen würden das Elend bloß verschärfen, da die Armen dadurch mehr Kinder haben könnten.

Gute und weniger gute Menschen
Während der industriellen Expansion wuchs die europäische Bevölkerung rasch. Insbesondere Regierungen begrüßten diese Entwicklung, da sie eine größere Zahl von Menschen mit Wohlstand und militärischer Sicherheit verbanden. Rassendenken und Darwinismus stützten die Vorstellung, dass die „überlegenen“ und „bestgeeigneten“ Menschen blühen und gedeihen würden. Die privilegierte Oberschicht in Großbritannien bemerkte jedoch, dass sich die „ungeeigneten“ unteren Schichten der Gesellschaft rascher vermehrten als sie selbst, und entwickelte entsprechende obsessive Ängste. 1907 trat der Soziologe Edward Ross in den USA für ein Maßnahmenpaket mit dem Ziel ein, „fähige“ Menschen zu ermutigen, Kinder in die Welt zu setzen, während „Menschen, die sich übermäßig vermehren“, einer Geburtenkontrolle unterworfen werden sollten.

Rasse, Reiche, Eugenik
Anfang des 20. Jahrhunderts griff in den USA die Angst um sich, dass sich Schwarze rascher vermehren würden als Weiße und die angelsächsische Bevölkerung von einer Flut von ImmigrantInnen erdrückt werden könnte. Britische Imperialisten vertraten die Ansicht, das Überleben des britischen Reichs erfordere ein ständiges Wachstum der Bevölkerung „englischer“ Rasse. Die Schreckensherrschaft der Nazis und die Rolle, die die Eugenik bei der Vernichtung des jüdischen Volkes, der Roma und Sinti, von Menschen mit Behinderungen und von Homosexuellen spielte, führten dazu, dass derartige Ansichten nach dem Zweiten Weltkrieg etwas zurückhaltender geäußert wurden.

Babybooms
1947 trat die Bevölkerungskommission der Vereinten Nationen erstmals zusammen, womit die Bevölkerungsproblematik zu einem Thema der Weltpolitik wurde. Es war nun die Bevölkerung in der so genannten Dritten Welt, die sich „zu rasch vermehrte“. „Diese Menschen sind ein Problem, ja eine Gefahr für alle diese Länder der Welt … als wirtschaftlich abhängige Gebiete, als explosive Unruheherde und als mögliche Störer des Weltfriedens“, schrieb der US-Soziologe J.O. Hertzler 1956. 1958 stellten die Demographen Ansley Coale und Edgar Hoover von der Universität Yale die These auf, dass ein rasches Bevölkerungswachstum die wirtschaftliche Entwicklung beeinträchtige. Geburtenkontrolle wurde Teil der US-Außenpolitik gegenüber Entwicklungsländern. Die Sorge über den gleichzeitigen „Babyboom“ in Nordamerika, Europa und Australien hielt sich dagegen in Grenzen.

Bevölkerungs- und andere Bomben
Im Kalten Krieg blühte die „strategische Demographie“ auf: Bevölkerungsentwicklungen wurden als potenzielle Sicherheitsrisiken analysiert. Etwa war man besorgt, dass die wachsende, aber arme Bevölkerung im Süden zum Kommunismus neigen könnte. Am raschesten nahm die Bevölkerung damals in Asien zu, und das 1959 erschienene Buch „Too Many Asians“ von John Robbins war typisch für diese Zeit. Kerala diente ihm als Paradebeispiel: In diesem dichtbevölkerten indischen Bundesstaat war eben eine kommunistische Regierung gewählt worden. Paul Ehrlichs Bestseller „Die Bevölkerungsbombe“ warnte vor einer verbreiteten Hungersnot – eine düstere Prophezeiung, die sich genauso wenig bewahrheitete wie die seines Vorgängers Thomas Malthus. Dessen ungeachtet war sein Buch aber einflussreich.

Die Artikel dieses Themas wurden zuerst im Monatsmagazin „New Internationalist“ (Ausgabe 429, Jänner 2010) veröffentlicht. Wir danken den KollegInnen in Oxford für die gute Zusammenarbeit. Der „New Internationalist“ kann unter der Adresse: Tower House, Lathkill Street, Market Harborough, Leicestershire LE16 9EF, England, U.K., bezogen werden (Jahresabo: 37,85 Pfund; Telefon: 0044/ 171/82 28 99). www.newint.org. Redaktionelle Bearbeitung und Kürzung der Artikel: Irmgard Kirchner.
Übersetzung: Robert Poth.

„Entwicklung ist das beste Verhütungsmittel“
Bevölkerungsfragen wurden zusehends zu einem politischen Streitgegenstand. Gegensätzliche Positionen überwogen, Konsens war selten. War das hohe Bevölkerungswachstum das Haupthindernis für Entwicklung oder war die Armut die Wurzel des Bevölkerungsproblems? „Entwicklung ist das beste Verhütungsmittel“ war die zentrale Botschaft der Weltbevölkerungskonferenz von 1974 in Bukarest. In den zwei Jahrzehnten danach kam es auf allen Kontinenten zu einer raschen Ausweitung von Familienplanungsangeboten, und auch die Palette der technischen Optionen erweiterte sich. Zwangsmaßnahmen in Bangladesch, Indien, Indonesien und China erschütterten jedoch das Vertrauen der Öffentlichkeit.

Frauen in Kairo
Im September 1994 koordinierte die UNO eine Weltbevölkerungskonferenz in Kairo. Dabei wurde ein Aktionsplan ausgearbeitet, der den Schwerpunkt vor allem auf Frauenrechte legte. Trotz heftiger Gegenwehr religiös-konservativer Kreise sowohl christlicher wie muslimischer Provenienz einigte sich die Konferenz auf die vier folgenden Ziele: Universeller Zugang zu Grundschulbildung sowie Zugang von Frauen zu Schul- und Berufsausbildung; signifikante Reduktion der Kindersterblichkeit und der Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren; Halbierung der Müttersterblichkeit bis 2000 gegenüber 1990 und eine weitere Halbierung bis 2015; Zugang zu einer breiten Palette von Leistungen im Bereich der reproduktiven und sexuellen Gesundheit, inklusive Familienplanung, sowie Maßnahmen gegen weibliche Genitalverstümmelung. Konservative Kreise in der US-Regierung unter George Bush reagierten darauf mit einer drastischen Kürzung der Mittel für Familienplanung.

Umwelt
Von drohenden biologischen Grenzen des Wachstums war schon in den 1980er Jahren die Rede, aber im vergangenen Jahrzehnt gewann diese Argumentation neuerlich an Stoßkraft. Der Klimawandel hat den Diskussionen über Bevölkerungsfragen und die ökologischen Grenzen des Wachstums neue Brisanz verliehen.

Copyright New Internationalist
 

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