Entwicklungshilfe zum Angreifen

Von Marc Diebäcker · · 1999/11

Partnerschaften zwischen Städten und Gemeinden aus dem Süden und Norden gibt es schon seit den siebziger Jahren. Doch die sich rasant verändernden internationalen Beziehungen sowie aktuelle Leitbilder der Entwicklungszusammenarbeit verhelfen dem Konzept d

Eine Städtepartnerschaft ist für mich die unmittelbarste Möglichkeit, zwischen Nord und Süd eine Brücke zu bauen“, sagt Paul Pirker, Mitinitiator der beiden Kooperationen zwischen der Stadt Salzburg und León in Nicaragua sowie Singida in Tansania.

Tatsächlich, wenn Dezentralisierung und Beteiligung der lokalen Bevölkerung als Voraussetzung zur Überwindung sozioökonomischer und ökologischer Probleme angesehen werden, so besitzt das Modell der Städtepartnerschaften ein enormes Potential für eine nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit.

In der Regel wird unter einer Städtepartnerschaft die offizielle Zusammenarbeit auf Gemeindeebene verstanden, auch wenn die eigentlichen Aktivitäten oft lokalen Partnerschaftskomitees oder Vereinen überlassen wird. Trotz der zu knappen Ressourcen für die dauerhafte Pflege der Städtepartnerschaften in Salzburg ist Pirker froh, überhaupt auf städtische Unterstützung zurückgreifen zu können. Sie liegt bei rund 570.000 Schilling pro Jahr.

In Krisenzeiten nehme eine offizielle Zusammenarbeit zudem die österreichische Gemeinde auch stärker in die Verpflichtung, meint Pirker: „Letztes Jahr, als der Hurrikan Mitch auch in León großen Schaden anrichtete, hätten wir ohne Unterstützung der Stadt Salzburg niemals 2,7 Mio. Schilling auftreiben können.

Die Geschichte der Städtepartnerschaften hängt eng mit der Europa-Bewegung nach 1945 zusammen. Schon damals wurde dieses Modell als Mittel zur Integration und Friedenssicherung eingesetzt und hat sich insbesondere für das deutsch-französische Verhältnis als Garant für gute Beziehungen bewährt. In den sechziger Jahren versuchte dann die UNO, Gemeinden der Industriestaaten zur Kooperation mit Gemeinden in Entwicklungsländern zu bewegen. Doch erst im Jahrzehnt darauf entstanden mit der zunehmenden Kritik an der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit verstärkt solche Partnerschaften.

Für viele österreichischen Städte und Gemeinden hingegen stellen kommunale Entwicklungszusammenarbeit und Städtepartnerschaften immer noch ein fremdes Terrain dar. Derzeit bestehen gerade einmal 16 derartige Kooperationen zwischen österreichischen Gemeinden und Partnern im Süden. In Wien existieren lediglich vier Partnerschaften auf Bezirksebene.

Zum Vergleich: In den Niederlanden werden derzeit über 270 Nord-Süd-Partnerschaften gepflegt – das betrifft mehr als ein Drittel aller Gemeinden des Landes!

Dem Konzept liegt ein Leitbild zugrunde, das die Entwicklungspolitik zahlreicher europäischer Regierungen erst im letzten Jahrzehnt wieder entdeckt hat: Eine ökologisch nachhaltige und sozialverträgliche Entwicklung auf nationaler und internationaler Ebene.

Diese ist nur möglich, wenn alle Maßnahmen lokal verwurzelt sind. Denn gerade auf lokaler Ebene manifestieren sich Bedürfnisse und Probleme der Menschen am unmittelbarsten. Insofern scheint die Forderung nach Zusammenarbeit zwischen Partnern auf gleicher Ebene nach dem Motto, Schule unterstützt Schule, Stadtverwaltung unterstützt Stadtverwaltung, Tischlerei unterstützt Tischlerei, nur plausibel.

Ein direkter Know-how-Transfer entsteht, und der aktive Bürger der Partnerstadt wird selbst zum Träger der Entwicklungszusammenarbeit.

Ein Projekt der „Entwicklungshilfe zum Angreifen“ ist z.B. der Städtepartnerschaft Leibnitz – Pedra Badejo (Kap Verde), bei dem der Aufbau einer metallverarbeitenden Werkstatt gelungen ist. Aufgrund der gemeinsamen Planung des Projektes sowie der langjährigen Berufserfahrung einiger LeibnitzerInnen konnten die zunächst veranschlagten Kosten von 2,2 Millionen Schilling um mehr als 90 Prozent auf 186.000 öS reduziert werden, was die Durchführung des Projektes überhaupt erst ermöglichte.

Eine weitere Qualität von Städtepartnerschaften ist die auf Dauer ausgerichtete Kooperation. Soziokulturelle und ökonomische Rahmenbedingungen sowie Bedürfnisse der Partner können erkannt und in Planung zukünftiger Projekte einbezogen werden. Mißerfolge, die aus mangelnder Nachbetreuung resultieren, können vermieden und längerfristige Projekte überhaupt erst angestrebt werden. Das kann Paul Pirker anhand eines Stadtsanierungsprojekts in der nicaraguanischen Partnerstadt León bestätigen: „Die Entwicklung des Projekts hat fast 10 Jahre gedauert. Aber nun ist ein umfassendes Programm entstanden, an dem sich alle sieben europäischen Partnerstädte Leóns beteiligen. Hamburg ist z.B. für Hausbauprojekte zuständig, Utrecht für Abwassersanierung von 40 Gerbereien, und wir arbeiten im Rahmen der österreichischen EZA an dem Ausbau der Abwasserentsorgung privater Haushalte.“

In der Praxis sind viele Städtepartnerschaften aber auch mit Problemen konfrontiert. Verständigungsschwierigkeiten, mangelnde Kenntnis von Transportwegen und Einfuhrbestimmungen und Projektarbeit zwischen nicht gleichberechtigten Partnern gehören laut dem Zentrum für Kommunale Entwicklungszusammenarbeit in Bonn zu den gängigsten Erschwernissen. „Und wenn die Sandinisten eines Tages nicht mehr den Bürgermeister in Leon stellen, bin ich mir nicht sicher, ob alles so gut weiter läuft“, merkt Paul Pirker skeptisch an. Dauerhafte Kooperationen hängen an Schlüsselpersonen.

Städtepartnerschaften beschränken sich aber nicht auf Projektaktivitäten. Schon 1985 machten 47 europäische Städte und Gemeinden sowie zahlreiche NROs mit dem „Kölner Aufruf“ deutlich, daß sowohl entwicklungspolitische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit als auch politische Kampagnen im Norden explizites Ziel jeder Kooperation sein müssen. Gerade die konkreten Kontakte und Erfahrungen von BürgerInnen im Rahmen einer Partnerschaft sind bestens geeignet, die abstrakte Problematik des Nord-Süd-Konfliktes hautnah zu vermitteln.

Die Spanne der Aktivitäten kann sich dabei über alle gesellschaftlichen Bereiche erstrecken, von Reiseberichten eines Schüleraustauschs über Ausstellungen von KünstlerInnenn bis hin zur Podiumsdiskussion über die Entwicklung eines Tourismuskonzepts.

Im ausgehenden Jahrhundert hat sich nun die Rolle von Städten und Gemeinden bei der Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung einschneidend verändert. Auf internationaler Ebene wurden sie als bedeutende Akteure internationaler Politik zunehmend anerkannt. So wurden Städte und Gemeinden 1992 bei der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio aufgefordert, ein Aktionsprogramm für nachhaltige lokale Entwicklung (Agenda 21) zu erarbeiten.

Und 1996 bei der Konferenz über menschliche Siedlungen (HABITAT II) in Istanbul wurden sie erstmals offiziell beteiligt. Für das nächste Jahrhundert bedeutet dies für die Gemeinden Verpflichtung und Herausforderung zugleich: Verpflichtung, das umfassende Know-how der lokalen Ebene für eine globale Entwicklung nutzbar zu machen; Herausforderung, um effiziente Wege zur Nutzung dieses Potentials aufzubauen bzw. weiterzuentwickeln.

Effizient weiterentwickelt erscheint das Modell der Städtepartnerschaft als ein geeignetes Instrument diesen neuen Pfad der internationalen und interkommunalen Zusammenarbeit zu gehen.

Entscheidend für eine nötige Professionalisierung und Effizienzsteigerung wird der Aufbau unabhängiger Koordinierungszentren in Nord und Süd sein, die sich als Schnittstelle aller lokalen Akteure und deren Interessen verstehen. Ihre Aufgabe wird es sein, Akteure auf gleicher Ebene zu vermitteln und zu koordinieren, Gruppen und Organisationen in Projektmanagement und Finanzierungsmöglichkeiten zu beraten und über sämtliche Aktivitäten im Rahmen der Partnerschaft zu informieren, um dauerhafte Akzeptanz unter den BürgerInnen zu schaffen.

Die dazu benötigten finanziellen Mittel dürfen aber nicht allein den Gemeinden überlassen werden. Neben dem Erschließen privatwirtschaftlicher Ressourcen, z.B. durch Sponsoring, stehen insbesondere bundes- und landespolitische Entscheidungsträger in der Verantwortung, sich zu einer weiteren Dezentralisierung der Entwicklungszusammenarbeit zu bekennen.

Ein Blick über den eigenen Tellerrand zeigt, daß anderswo bereits neue Wege beschritten werden. Die niederländische Regierung stellt jeder Gemeinde z.B. sechs Schilling je Einwohner für lokale Entwicklungszusammenarbeit aus dem nationalen Haushalt zur Verfügung, und die rot-grüne Regierung des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen in Deutschland finanziert 20 MitarbeiterInnen in lokalen Koordinierungszentren.

Der Autor schrieb an der Universität Duisburg eine Diplomarbeit über Dritte-Welt-Gruppen in der lokalen Entwicklungszusammenarbeit und arbeitete dann als Berater bei der UNIDO in Wien.

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