Exempel Sudan

Von Dominic Johnson · · 2007/10

In Sudan will die UNO mit gigantischen Eingreifplänen beweisen, dass sie Frieden stiften kann. Das Ergebnis könnte das Gegenteil sein.

An Sudan will die UNO ein Exempel statuieren. Darfur, die Kriegsregion im Westen des Landes an der Grenze zu Tschad, soll demnächst die größte Blauhelmmission der Welt beherbergen, mit knapp 20.000 Soldaten, 6.000 Polizisten und 5.000 zivilen MitarbeiterInnen. Schon heute steht in der Region Südsudan, die nach 22 Jahren verheerenden Krieges Anfang 2005 Autonomie unter Führung seiner ehemaligen Rebellen erhielt, eine zweite Blauhelmmission mit derzeit 8.800 Soldaten. Sollten erst einmal alle UN-Soldaten in allen Teilen des Landes angekommen sein, stellt die UNO in Sudan eine der größten Armeen Afrikas. Verglichen mit der aktuellen Präsenz von über 160.000 US-SoldatInnen in Irak zwar immer noch bescheiden, wird sie auch die wohl teuerste Truppe des Kontinents sein. Wenn dann Sudan immer noch nicht zum Frieden findet, dürfte am UNO-Sitz in New York heftiges Nachdenken über den Sinn und Unsinn von Militärinterventionen in afrikanischen Bürgerkriegen einsetzen.
Aber nach Frieden in Sudan sieht es nicht aus. Der Krieg in Darfur, der 2003 mit einem Aufstand lokaler Rebellen gegen die Zentralregierung begann und in einen blutigen Vernichtungsfeldzug regierungstreuer Milizen eskalierte, hat bereits rund die Hälfte der einst sechs Millionen BewohnerInnen der Region entweder getötet oder zu Flüchtlingen gemacht. Die Kämpfe gehen trotz wiederholter Friedensbekundungen weiter – Mitte September waren schwere Bodengefechte in Nord-Darfur im Gange, bei denen die Rebellen sogar Kampfhubschrauber der Regierungstruppen abschossen. Die Bewegungsfreiheit für humanitäre Hilfswerke und sogar für die seit 2005 stationierte Eingreiftruppe der Afrikanischen Union (AU), AMIS, schrumpft ständig. Bei den jüngsten Kämpfen in Nord-Darfur blieben die lokalen AU-Einheiten in ihren Kasernen, weil es für sie zu gefährlich war, auf die Straße zu gehen.

Es wird einen Quantensprung in der Risikobereitschaft ausländischer Truppen brauchen, damit die geplante UN-Mission nicht ähnlich irrelevant wird. Sie ist eigentlich, wie aus der UN-Resolution 1769 vom 31. Juli hervorgeht, gar keine richtige UN-Mission, sondern eine sehr kompliziert angelegte „hybride Mission“ aus UNO und AU, mit UN-Kommando aber meist afrikanischen Truppen und faktisch doppelten Entscheidungssträngen. Ausgerechnet das schwierige Kriegsgebiet Darfur wird zum Probefall für ein in dieser Form noch nie ausprobiertes doppeltes Eingreifmodell zweier rivalisierender Organisationen. Das dürfte die Aufmerksamkeit der Missionsführung weg von den Begebenheiten in Darfur selbst auf die inneren bürokratischen Abläufe und Empfindlichkeiten lenken, was ihre Effektivität schmälern wird.
Von vornherein befindet sich die UNO in Darfur gegenüber Sudans Regierung in Khartum in der Defensive. Am 31. August 2006 hatte der UN-Sicherheitsrat schon einmal die Entsendung einer reinen UN-Blauhelmtruppe nach Darfur beschlossen. Khartum lehnte ab, und daraufhin wurde das Kompromissmodell der „hybriden Mission“ aus UNO und AU entworfen. In den langen Verhandlungen, die der UN-Resolution 1769 zugrunde lagen, wurde das Mandat dieser Truppe gegenüber ursprünglichen Plänen entschärft. Zum Beispiel werden sie nicht mehr Brüche des UN-Waffenembargos verhindern, das Sudans Regierung den Transport von Rüstungsgütern nach Darfur verbietet. Der Schutz von ZivilistInnen ist zwar noch im Mandat enthalten, aber in einer sehr allgemeinen Form, die das Eingreifen in konkreten Situationen eher dem Ermessen überlässt. Khartums erste Reaktion auf den UN-Beschluss war denn auch die Forderung, jedes Mal konsultiert zu werden, bevor UN-Soldaten in Darfur irgendetwas machen – das würde jede Intervention zum Schutz bedrohter ZivilistInnen erschweren.

Inzwischen haben sich afrikanische und asiatische Länder mit Truppenangeboten für Darfur überboten, so dass UN-Generalsekretär Ban Ki-moon Anfang September stolz feststellen konnte, er habe mehr Blauhelme als nötig. Aber Luftunterstützung, ohne die sich kein Soldat in der Wüste Darfurs bewegen kann, fehlt, weil europäische Länder zögern. Der im UN-Beschluss enthaltene Stichtag des 31. August, bis zu dem alle Kontingente der Mission endgültig feststehen sollten, konnte nicht eingehalten werden. Damit wird auch fraglich, ob der nächste Schritt – die anvisierte Entsendung von 3.000 ersten UN-Soldaten in die bestehende AU-Truppe im Oktober – termingerecht erfolgen kann. Vorgesehen ist offiziell, dass zum Jahreswechsel 2007/08 die AU-Mission AMIS in die UN-AU-Mission UNAMID übergeht und diese bis März ihre volle Stärke erreicht.
Wenn die UN-Stationierung stockt und die Kämpfe in Darfur weitergehen, dürften auch die neuen Friedensgespräche zwischen Sudans Regierung und Darfurs Rebellen in Schwierigkeiten geraten, bevor sie überhaupt begonnen haben. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon handelte Anfang September bei einer Rundreise durch Sudan, Tschad und Libyen den 27. Oktober als Beginn einer neuen Darfur-Friedenskonferenz aus, die in Libyens Hauptstadt Tripoli stattfinden soll. Aber schon jetzt hat der Führer der noch kämpfenden Mehrheitsgruppe der größten Rebellenbewegung SLM (Sudanesische Befreiungsbewegung), Abdelwahid al-Nur, die geplanten Gespräche abgelehnt, während die zweitgrößte Darfur-Rebellenbewegung JEM (Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit) ihre Teilnahme aufgrund der anhaltenden Gefechte in Frage gestellt hat.
Da Libyen als Gastgeber eher seinen eigenen Ruhm mehren will und überdies seit Jahrzehnten eine sehr undurchsichtige und oft destabilisierende Rolle in Sudans inneren Machtkämpfen spielt, ist zu erwarten, dass Gespräche jeder Art in Libyen nur die Kulisse für regionale und innersudanesische Rivalitäten werden. Viele Darfur-Rebellen stützen sich auf Tschad, wo über 200.000 Flüchtlinge aus Darfur leben und wo auch die in Darfur unterdrückten Ethnien vertreten sind. Der Darfur-Konflikt in seiner Form der „ethnischen Säuberung“ hat längst auf den Osten Tschads übergegriffen, tschadische Rebellen genießen sudanesische Unterstützung in ihrem Kampf gegen Tschads Regime (siehe SWM 3/2007, S. 12-15). Um den Osten Tschads sowie den Nordosten der angrenzenden Zentralafrikanischen Republik zu stabilisieren, will die EU ab Oktober in diese beiden Regionen eine Eingreiftruppe nach dem Muster der Kongo-Truppe EUFOR vom letzten Jahr entsenden. Sie soll im Kern aus dem bestehenden permanenten Kontingent Frankreichs im Tschad mit rund 1.000 Mann bestehen und mindestens 3.000 Soldaten umfassen.
Aber auf diese Weise militärisch die Zehenspitzen in den Sumpf des Regionalkonflikts rund um Darfur zu tauchen, ohne zu wissen, wer da aller zubeißen kann und ohne politisch nachgedacht zu haben, welchen Beitrag Europa zum Frieden in der Region eigentlich leisten könnte, ist ein riskantes Abenteuer. Eine hochgerüstete EU-Truppe in Tschad, die mit modernsten Kampfjets herumfliegt, dürfte außerdem die Unzulänglichkeiten einer kaum beweglichen UN-AU-Mission jenseits der Grenze in Darfur erst recht herausheben.

Vor lauter Sorge um Darfur wird die größte Merkwürdigkeit des geplanten Eingreifens dort international kaum beachtet: Sudan wird als einziges Land der Welt zwei Blauhelmmissionen haben, eine in Darfur und eine in Südsudan, die miteinander offiziell nichts zu tun haben sollen. Dies mag ein Vorwegnehmen des zu erwartenden Zerfalls des Sudan sein, wenn der autonome Südsudan im Jahr 2011 unter Führung seiner einstigen Rebellenbewegung SPLA (Sudanesische Volksbefreiungsarmee) über seine Unabhängigkeit abstimmt. Der historische SPLA-Führer John Garang, der 2005 bei einem Hubschrauberabsturz über Uganda ums Leben kam, galt noch als Verfechter der Einheit Sudans, natürlich unter seiner eigenen Führung. Aber sein heute regierender Nachfolger Salva Kiir vertritt die Abspaltung der Region, und dies wird auch von der großen Mehrheit der Bevölkerung Südsudans favorisiert, nachdem Herrschaft aus Khartum immer nur Unterdrückung und Krieg bedeutete.
Was eine Abspaltung Südsudans für Darfur bedeuten könnte, und ob Khartum es hinnimmt, auf einen arabischen Rumpfstaat in der Sahara-Wüste reduziert zu werden, ist völlig offen. Darfurs Rebellen fordern Autonomie nach dem Muster Südsudans, womit implizit die Möglichkeit einer Sezession enthalten ist. Aber genau dies lehnt Khartum strikt ab, weil Darfurs Politik anders als die des Südsudan aufs Engste mit der der Hauptstadt verflochten ist. Ein unabhängiges Darfur könnte schnell unter die Herrschaft der jeweiligen Khartum-Fraktion geraten, die in Khartum selbst gerade nicht an der Macht ist, was nicht zu Stabilität führen würde.

Im Windschatten der Darfur-Eingreifdebatte bleibt überdies unbemerkt, dass Südsudans Friedensprozess ins Stocken geraten ist. Der Stichtag des 9. Juli 2007, an dem die letzten Truppen der Khartumer Regierungsarmee aus Südsudan hätten abziehen sollen, verstrich ergebnislos. Die Demarkation der noch strittigen Grenze zwischen Nord- und Südsudan stockt ebenso wie die Bildung einer funktionierenden Autonomieverwaltung in Südsudans Hauptstadt Juba. Diese erlebt zwar einen Wirtschaftsboom, ist politisch jedoch in Klüngelwirtschaft zwischen rivalisierenden Militärs und Politikern der SPLA verstrickt, die von demokratischer Öffnung und Einbeziehung der verschiedenen Volksgruppen ihres Landesteils nichts halten. Hilfszusagen aus dem Ausland in Milliardenhöhe können in Ermangelung funktionierender Strukturen nicht umgesetzt werden. Südsudans Autonomieregierung ist fast zur Gänze von den Transfers sudanesischer Ölexporteinnahmen aus Khartum abhängig. Aber Transparenz gibt es weder für die Festlegung der zu transferierenden Summen, noch für den Transferprozess selbst und schon gar nicht für die Verwendung der spärlichen in Juba ankommenden Gelder.
Ein Zusammenbruch Südsudans würde ganz Sudan zurück in den Krieg stürzen, warnten im September zahlreiche AnalystInnen. Ausgerechnet dann also, wenn die UNO in Sudan ihr kompliziertestes, teuerstes und größtes Blauhelm-Experiment anlaufen lassen will. Man kann nur hoffen, dass sich einige Leute in der UN-Zentrale in New York schlaflose Nächte machen.

Dominic Johnson ist Afrika-Redakteur der Berliner Tageszeitung taz.

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