Filmen für Veränderung

Von Martha Dietrich · · 2010/09

Filmen ist nicht mehr den Profis vorbehalten. Weltweit greifen Menschen zur Kamera, um sich und ihre Umgebung zu filmen – und setzen sich damit für Entwicklung, Demokratisierung und Menschenrechte ein.

15. Mai in Caracas, Venezuela. In den Slums von La Bombilla de Petáre bereiten sich die Bewohnerinnen und Bewohner auf einen wichtigen Tag vor. Zum 23. Mal feiern sie den beliebten Musiker und Salsero Ismael Rivera, auch „Maelo“ genannt, der einige seiner Lieder diesem Viertel gewidmet hat.

Menschen kommen von weit her, um dabei zu sein, erzählen die BewohnerInnen des Viertels einander und beobachten aufmerksam das Treiben vor ihrer Haustür. Hinter der prächtig geschmückten Bühne steht eine Gruppe aufgeregter Mädchen, die zum letzten Mal ihre Tanzschritte wiederholen. Nervös streifen die Mädchen die Falten ihrer rosa-schwarzen Kostüme glatt. Alle hier haben etwas vorbereitet. Es gibt zu Essen, zu Trinken und eine Show, die „sich gewaschen“ hat.

Ignacio sucht die richtige Position für seine Kamera. Er wird das Geschehen für den lokalen Community-Sender TV Petáre aufnehmen. „Veranstaltungen wie diese stärken unsere Gemeinde“, sagt er. „Normalerweise sieht es hier bei uns ganz anders aus.“ Banden und Drogenkriege beherrschen das Viertel, nur heute nicht. „Die Aufgabe von TV Petáre ist es, die guten Dinge in unserem Viertel zu filmen und die jungen Leute durch partizipative Videoproduktionen von der Straße wegzubringen“, erklärt er. Lokale Nachrichten, Diskussionsrunden über Lokalpolitik mit den Bewohnerinnen und Bewohnern und Berichte von lokalen Veranstaltungen stehen auf dem Programm von TV Petáre.

Partizipation scheint immer beliebter zu werden: Partizipative Entscheidungsfindung, partizipative Forschungsmethoden gibt es, sogar Demokratie wird partizipativ und jetzt auch die Medienarbeit. Sie spiegelt die Forderung nach einer Einbindung und aktiven Beteiligung der Bevölkerung am gesellschaftspolitischen Geschehen wider.

Die Digitalisierung und die Entwicklung kostengünstiger Technologien haben partizipative Medieninitiativen möglich gemacht, bei denen ganz „normale“ Menschen teilnehmen, „partizipieren“. Wie bei TV Petáre unterstützt partizipative Medienarbeit die lokale Gemeindearbeit, macht eine größere mediale Präsenz möglich und Anliegen und Forderungen können lokal sowie global leichter verbreitet werden.

Partizipative Videoproduktionen sind immer mehr fixer Bestandteil der Öffentlichkeits- oder Repräsentationsarbeit von Interessengruppen, Minderheiten oder indigenen Gruppen. Ob nun die Aborigines in Australien Videos zum Erhalt ihres kulturellen Erbes einsetzen, die Massai mit Videos im Internet über die Folgen des Klimawandels berichten, indigene Gruppen im Amazonas Film zur Verteidigung ihrer territorialen Rechte verwenden oder ob es sich um urbanes Community-Fernsehen in den Slums von Caracas handelt, partizipatives Video ist so vielfältig wie dessen Anwendungsfelder.

Internationale Organisationen wie die UNESCO oder UNDP, Medieninstitutionen wie der BBC World Service Trust sowie eine Reihe von Nichtregierungsorganisationen, setzen immer mehr auf die Förderung partizipativer Medieninitiativen in der Entwicklungszusammenarbeit. Auch europäische Entwicklungsorganisationen wie die deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit oder die österreichische Austrian Development Agency sehen die Ausbildung von JournalistInnen und die Förderung freier Medien durch die Einbindung der ärmsten Bevölkerungsgruppen als Chance für gesellschaftliche Partizipation. Videos als Sprachrohr, Druck- und Ausdrucksmittel sollen einerseits die öffentlichen Botschaften stärken, andererseits Kommunikation und Prozesse innerhalb der Gruppe fördern.

Partizipative Videoproduktionen hängen jedoch von finanziellen und personellen Ressourcen ab. Wissen, Können und eine Kamera-, Ton- und Schnittausrüstung erfordern teils beträchtliche Finanzmittel, die von sehr unterschiedlichen Quellen zu Verfügung gestellt werden. Dabei lohnt es sich, genau hinzusehen. TV Petáre ist, wie wenige Community-Fernsehsender in Venezuela, ein unabhängiger Sender, der sich durch Werbeschaltungen von vorrangig lokalen Unternehmen über Wasser hält. Staatlich geförderte Initiativen müssen im Gegenzug für die finanzielle Unterstützung Sendezeit für die Anliegen der Regierung zur Verfügung stellen. Die wöchentliche Sendung „Aló Presidente“, bei der der venezolanische Präsident Hugo Chávez seine aktuelle Politik diskutiert, oder sogenannte Werbeschaltungen im öffentlichen Interesse propagieren soziale Initiativen der Regierung und stehen exemplarisch für die Zusammenarbeit von staatlich geförderten Community-Fernsehsendern und dem venezolanischen Ministerium für Kommunikation und Information.

Finanzhilfe gibt es aber auch von ganz anderer Seite. Eine Reihe transnationaler Konzerne wie etwa der Pharmakonzern Roche Group oder die Kellogg Foundation des Lebensmittelherstellers Kellogg’s unterstützen Medieninitiativen als Teil ihrer Kampagnen im Bereich Corporate Social Responsability (gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen). Geldgeber wie diese verpflichten die ProjektteilnehmerInnen jedoch zu politischer Abstinenz. Die Abhängigkeit von finanziellen Ressourcen zwingt die Produzentinnen und Produzenten daher oftmals zu Kompromissen.

Wer partizipiert und wie weit Partizipation gehen kann und soll, bei dieser Frage scheiden sich die Geister. Während für manche Wirkung und Reichweite der Videos im Vordergrund stehen, legen andere mehr Wert auf den Produktionsprozess und dessen Bedeutung für die Gemeinschaft. Beispielsweise unterstützt der BBC World Service Trust unabhängige Videoproduktionen in Zeiten von Wahlen, um eine ausgewogene Berichterstattung über Fernsehen oder Internet gewährleisten zu können. Hier dient Video als Kontroll- und Druckmittel.

Medieninitiativen, die bei den Gemeinden ansetzen, haben vielfältige Agenden: Bildungs- und Aufklärungsarbeit, Frauenrechte, Armutsbekämpfung, Klimawandel und kulturelle Repräsentation marginalisierter Gruppen sind wiederkehrende Themen.

Nichtregierungsorganisationen wie die Londoner Organisation Insightshare unterstützen mit Trainings und Workshops einen sicheren Umgang mit der Ausrüstung, aber auch die gezielte Aufbereitung von Themen. Im Zentrum ihrer Arbeit stehe der Dialog, meinen Sara und Soledad, Mitarbeiterinnen von Insightshare, die gerade von einer Reihe partizipativer Videoworkshops in der Balkanregion zurückgekehrt sind. Das Ziel war die Produktion eines filmischen Touristenführers zu regionalen, nachhaltigen Umweltinitiativen.

„Erst einmal gilt es, die Leute an einen Tisch zu bringen und sich auf gemeinsame Themen, Kriterien und Aussagen zu einigen“, sagt Sara. Männer und Frauen, jung und alt, Muslime und Christen arbeiteten ein Skript und dessen Umsetzung aus. Dabei war der Fokus, wie sich kulturelles Wissen mit nachhaltigen Praktiken verbinden lässt. Die Produzentinnen und Produzenten begaben sich auf Spurensuche: Sie interviewten Bäuerinnen und Bauern in der Umgebung und filmten die neuesten Praktiken und Initiativen, die im Zuge eines Umweltprojektes in Kooperation mit Green Agenda entstanden.

„Der Prozess war nicht immer einfach, da immer alles diskutiert wurde, aber das ist das Ziel“, sagt Soledad nach ihrer Erfahrung mit den FilmemacherInnen. Das Material wurde gemeinsam geschnitten und wird auch bald im Internet zu finden sein. Videos haben hier die Aufgabe, Austausch anzuregen und sich auf eine kreative Zusammenarbeit einzulassen.

Nicht immer laufen diese Projekte konfliktfrei ab, insbesondere wenn es sich um heikle oder tabuisierte Themen handelt, wie zum Beispiel bei den von der UNESCO initiierten Aufklärungskampagnen zu Themen wie HIV oder FGM (weibliche Genitalverstümmelung). Betroffene aus den jeweiligen Regionen nahmen die Kameras selbst in die Hand, um mit Bildern über ihre Realität zu berichten, Expertinnen zu befragen und Alternativen aufzuzeigen.

Auch wenn vielerorts Telenovelas oder US-amerikanische Importproduktionen nach wie vor die Fernseh- und Computerbildschirme beherrschen, das partizipative Video ist eine Möglichkeit, gegen Marginalisierung zu kämpfen und durch Bilder ein kollektives (Selbst)Bewusstsein lokal, national, global sichtbar zu machen.

Martha Dietrich ist Ethnologin und arbeitet an ihrer Dissertation zu visueller Anthropologie am Granada Centre for Visual Anthropology in Manchester, UK.

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