Fußball, Terrakotta und Batuco

Von Rupert Helm · · 2006/06

Als sich der Wahl-Kapverdier Florian Wegenstein in dem Küstenstädtchen Tarrafal erstmals als Fußballtrainer anbot, meldeten sich auf Anhieb 160 Jugendliche. Aus der Fußballschule ist ein Kinder- und Jugendzentrum geworden, wo auch die Liedkunst des Batuco neu belebt wird.

Das wird wahrscheinlich einmal der Gangsterboss von Tarrafal“, meint Florian Wegenstein, nachdem er sich mit einem 15-jährigen Buben unterhalten hat. Beim Schlendern durch die Straßen des Städtchens bleibt er immer wieder für ein Gespräch mit Jugendlichen stehen. Stets ist der Ton auf beiden Seiten herzlich und respektvoll. Diese freundschaftliche Zuwendung spiegelt sich in der vor kurzem eröffneten Fußballschule wider.
Eigentlich ist der in Wien aufgewachsene Schweizer der Liebe wegen in Kap Verde gelandet. Seine Ehefrau Marisa, Mutter der beiden gemeinsamen und zweier weiterer Kinder, hat er bei einem Urlaub kennen gelernt. Nach vier Jahren in Wien haben sich die beiden für ein Leben in Marisas Heimat Kap Verde entschieden. Seit 2002 betreiben sie unweit des recht bekannten Sand- und Palmenstrandes von Tarrafal ihr kleines Restaurant „Crioulo“. Aber das war den Wegensteins bald zu wenig. „Ich kann ja nicht die globalen ökonomischen Faktoren beeinflussen, aber ich will etwas mit den jungen Leuten tun, die in Scharen die Straße bevölkern“, begründet Florian seine Idee, eine Fußballschule aufzuziehen. Denn der Gastwirt ist auch ausgebildeter Fußballtrainer.

Auf ein einziges Plakat am Hauptplatz von Tarrafal hin melden sich 160 Jugendliche an. Ende 2002 finden die ersten Trainingsstunden statt. Gleichzeitig mobilisiert Florian FreundInnen und Bekannte in Wien, denn es fehlt einfach an Allem. Diese organisieren eine Containerladung mit Dressen – unter anderem von der Wiener Austria –, Schuhen und Bällen. Doch das greift immer noch zu kurz, findet Flaviano, wie ihn die Einheimischen nennen, und macht sich auf die Suche nach einem Geldgeber für ein größeres Projekt. Der Verein Delta-Culture, der vorerst in Österreich und etwas später in Kap Verde als Delta Cultura gegründet wird, bietet den formalen Rahmen. Der deutsche Arbeiter-Samariterbund erklärt sich schließlich bereit, das Vorhaben über die Deutsche Entwicklungszusammenarbeit zu finanzieren.
Aus den Plänen für eine Fußballschule entsteht bald ein komplexes Kinder- und Jugendzentrum. Die Gemeinde Tarrafal stellt kostenlos ein Grundstück zur Verfügung, der deutsche Architekt Frank Mössinger macht die bauliche Gestaltung zu seiner Diplomarbeit.
„Natürlich hätten wir auch mit Betonziegeln bauen können, das wäre schneller und billiger gewesen“ meint Florian. Doch die aufwändigere Errichtung in klassischer Naturstein-Bauweise hat viele Vorteile. Für Betonziegel würde Sand an den Stränden abgebaut, was auf Dauer nur mehr die blanken Felsen übrig lässt – fatal für Ökologie und Tourismus. Die dicken Steinmauern hingegen seien nicht nur schön, erklärt der Wahl-Kapverdier, sondern auch funktionell, kühl am Tag und wärmend in der Nacht. Möglichst viel an dem Gebäude sollte aus regionalen Materialen hergestellt werden. Selbst die Fliesen wurden – dank Unterstützung eines extra angereisten Österreichers – selbst gefertigt: Terrakotta aus Kap Verde. Die Produktion ist inzwischen so professionell, dass auch an einen lokalen Verkauf gedacht werden kann. Mitte 2005 standen die Mauern, und ab Oktober füllten sich die Räume mit Leben.

Neben den Räumen für die Fußballschule gibt es nun einen Unterrichtssaal für zehn Schneiderlehrlinge, einen Computerraum mit 20 Ausbildungsplätzen und eine Tischlerei mit 15 Arbeitsplätzen. Dazu kommen Deutsch- und Englischkurse für 40 Jugendliche und eine Reihe kultureller Aktivitäten. Bei der ausgelassenen Eröffnungsfeier, zu der fast das ganze Städtchen auf die Anhöhe neben dem örtlichen Dieselkraftwerk kam, spielte auch Mario Lucio auf, einer der bekanntesten kapverdischen Musiker.
Musik und Kultur spielen im Projekt eine große Rolle. Marisa, Mitbegründerin von Delta Cultura, initiierte eine Batuco-Gruppe. Zu dem Wechselgesang zwischen Vorsängerin und Gruppe wird auf Plastiksäcken getrommelt. Die Liedtexte kreisen um die Lebensrealität der jungen Frauen, in der Mitte tanzt ein Mädchen mit einem Tuch um die Hüften. Damit wird eine alte, an die afrikanischen Vorfahren erinnernde Tradition neu belebt. Etwa 20 Mädchen und junge Frauen treffen sich dreimal wöchentlich, um gemeinsam zu proben und sich auszutauschen. Die Batucadeiras Delta Cultura sind inzwischen von keinem Fest in Tarrafal und Umgebung mehr wegzudenken. Im April 2006 organisierte Marisa ein Batucofestival, an dem sämtliche 16 Gruppen der Insel Santiago teilnahmen.

Im Projekt ist so etwas wie Alltag eingekehrt. Die Plätze in den Lerngruppen sind vergeben, die Jugendlichen verbringen den ganzen Tag im Zentrum. Mittags wird in der Gemeinschaftsküche gekocht. Die Mittagspause verbringen die angehenden Tischler mitunter an den Computern. Die Schneiderinnen haben ihre ersten Arbeiten fertig gestellt.
Buben lernen tischlern, an den Nähmaschinen sitzen ausschließlich Mädchen. Diese klassischen Rollenmodelle ließen sich einfach nicht auflösen, meint Florian. Aber immerhin gibt es in der Fußballschule auch ein Mädchenteam.
Prompt hat dieses auch in Calheta, einem Ort an der Ostküste der Insel, bei einem großen Fußballwochenende mit über 170 Kindern aus Tarrafal, für das meiste Aufsehen gesorgt.
Florian hat sein fußballerisches Wissen inzwischen an mehrere Personen weitergegeben. Angesichts der vielen Kinder wäre es unmöglich, alle selbst zu trainieren. Die professionelle Betreuung trägt erste Früchte. Bei diversen Turnieren gewinnt die Mannschaft der unter 17-Jährigen regelmäßig den Großteil der Spiele.
Es gibt mehrere Gründe, warum Fußball so attraktiv für die Jugendlichen ist. Man hat viel Zeit, denn Jobs sind rar. Die restriktive Einwanderungspolitik der USA und der EU rückt ein Leben im wohlhabenden Norden in weite Ferne. Was bleibt, ist der Traum vom internationalen Fußballstar und die Freude am Sport.

www.delta-culture.at

Rupert Helm ist Verlagsleiter des Südwind-Magazins mit gelegentlichen Ausflügen ins journalistische Fach und langjähriger Kenner von Kap Verde.

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