Ginsterkatze mit Maggi

Von Wolfgang Kunath · · 2000/01

Essen in Afrika, aus der Sicht eines Europäers: Unser langjähriger Afrika-Korrespondent Wolfgang Kunath erinnert sich.

Natürlich kann Käse Halluzinationen hervorrufen. Das heisst, genauer gesagt: kein Käse. Wenn man nämlich über längere Zeit an einem Ort lebt – sagen wir in Nairobi, der Hauptstadt Kenias -, an dem man gelb eingefärbtes Plastikmaterial von der Konsistenz eines Tennisballes als Käse-Ersatz hinnehmen muss. Dann halluziniert man sich irgendwann unweigerlich eine Käse-Orgie herbei.

Vielleicht gibt es ja Menschen, die in der Fremde leben und sich ohne Not den fremden Essensgewohnheiten vollständig anpassen. Ich kenne allerdings nur die anderen – die, die nach dem gieren, was es in ihrem Aufenthaltsland nun gerade nicht gibt, Europäer also, die in Afrika von Schwarzbrot, Leberwurst oder eben Käse träumen. Oder genauso Afrikaner, die in Europa leben und allein bei der Vorstellung von leibhaftigen Kochbananen in Verzückung geraten.

Essen in Afrika: Beginnen wir mit dem Exotischsten. Im Süden Kameruns sass

ich mit einem alten Dorf-Chef in seiner Hütte, und während ab und zu Hühner hereinspazierten und manchmal ein Korn aufpickten, erzählte der alte Knabe, wie sich das Leben der Pygmäen durch die Straße verändert hat, die die Holzfirmen nach Süden in die Wälder geschlagen hatten. Der Alte war ein bedingungsloser Modernisierer, der eigentlich nichts daran fand, dass die Pygmäen ihr Nomadentum aufgeben, Bauern werden und sich den sesshaften Völkern Kameruns unterwerfen mussten; für ihn war das einfach der Fortschritt. Nach dem Gespräch setzte sich sein Sohn dazu, und dann kam die Rede auf die Jagd: Wie es früher war und wie es heute ist.

„,Ja klar“, sagte der Sohn, als rede er über das Wetter, „die weiter unten im Süden, die jagen auch Gorillas“. Wie bitte – Gorillas? Heute noch? „,Natürlich“, sagte der Alte, „das ist doch köstliches Fleisch“, und das klang nicht so, als würde er lang fackeln, wenn ihm ein Gorilla vor die Flinte liefe.

Gorilla gab es nicht zum Mittagessen. Aber immerhin: Auf der Speisekarte in dem kleinen Restaurant der nahelegenen Kleinstadt Abong Mbang standen Krokodil, Affe und Ginsterkatze auf der Karte. Die Katze habe ich mir verkniffen, das Krokodil schmeckte gut. Der Affe war ein Graus, und das Stichwort Ebola fiel mir erst nach Tisch ein. Der Fahrer der Mietwagens bespritzte seine Portion Ginsterkatze mit reichlich Maggi und stellte beim Essen Vergleiche über die Rind- und die Wildfleischpreise an, die mir klar machten, warum die Küche hier unten im Süden von Kamerun so unheimlich exotisch ist.

Aber exotisch ist das Essen in Afrika eher selten. Meist ist es eintönig. Für die, die sich wenig leisten können, sowieso: Wenn man durch die Slums von Nairobi spaziert, dann fallen die vielen winzigen Tischchen auf, an denen Frauen Tomaten und sukuma wiki, so eine Art Spinat, verkaufen. Diese Gemüsebeilage ist die normale Zugabe zu Ugali, dem ostafrikanischen Maismehlbrei.

Und die, die nicht auf den Shillingi schauen müssen? Ostafrika ist von den Briten kolonisiert worden; damit ist alles gesagt. Glücklicherweise haben die Briten zum Eisenbahnbau Inder nach Ostafrika geholt, deshalb findet man vermutlich nirgendwo außerhalb von Asien so viele gute indische Restaurants wie in Ostafrika.

Wenn wir schon das Exotische und Normale erwähnen, darf auch das Perverse nicht fehlen. Kinshasa im Mai 1997: Die Weltpresse wartet in der Hauptstadt von Zaire auf die Ankunft der Truppen von Kabila, die den Langzeit-Diktator Mobutu stürzen werden. Nachdem das Tagwerk getan ist, folgen abends die Freuden der Tafel. Im französischen Lokal „Caff’Con“ ist es wie in Paris, bloss dass es in Paris vermutlich billiger ist: Der Meeresfrüchte-Teller zum Beispiel kostet hier 75 Dollar. Der Besitzer sagt, dass er bis auf das Antilopenfleisch, eine Sorte Krabben und ,,das Gemüse zum Garnieren“ alles, aber auch alles per e-Mail in Brüssel bestellt, und mit dem nächsten Flugzeug ist es da.

Huschen wir quer über den Kontinent, in den Südsudan. Ein Regentag im Spätsommer 1998: Zuerst hört man das Brummen der Hercules, dann stösst sie durch die Wolken und fliegt langsam über die weite Wiese vor dem Dorf Agiep hinweg. Irgendwann öffnen sich die Luken, die weissen Säcke fliegen heraus, gefolgt von den wie Blätter trudelnden Holzpaletten, auf denen sie gestapelt waren. Die Leute vom Welternährungsprogramm sammeln die weissen Säcke auf Lastwagen, und dann wird das Feld freigegeben: Von allen Seiten stürmen die, die sich noch auf den Beinen halten können, auf die Wiese und versuchen, einander die Maiskörner vor der Nase wegzuschnappen, die aus den aufgeplatzten Säcken gerieselt sind. Man sieht als Reporter in Afrika vieles, was man lieber nicht sähe. Menschen, die sich ums Essen balgen zum Beispiel.

Wolfgang Kunath lebte und arbeitete fünf Jahre lang als Korrespondent in Afrika. Auch im SÜDWIND-Magazin konnte man seine erstklassigen Reprtagen und Berichte lesen. Jetzt ist der als Korrespondent für die Stuttgarter Zeitung in Berlin tätig. Wir werden i

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