Halbmond und Sichel

Von Günter Spreitzhofer · · 1999/07

Die Regierungschafes der Staaten Zentralasiens sind zwar durchwegs Muslime, halten aber die sekuläre Idee hoch. Der islamische Fundamentalismus steht in politischer, teilweise auch bewaffneter Opposition. Dieser militante Islam greift nun von Tadschikista

Die Haltung der zentralasiatischen GUS-Staaten Kasachstan, Kirgisistan, Tadschistikan, Turkmenistan und Usbekistan zum Islam ist so unterschiedlich wie ambivalent. Mit Ausnahme von Kasachstan – je zur Hälfte russisch-orthodoxe Christen und Muslime – sind sämtliche Länder von Angehörigen des sunnitischen Islam dominiert. In Usbekistan und Tadschikistan bilden schiitische und ismailitische Gruppierungen die zahlenmäßig stärksten religiösen Minderheiten, in Kirgisistan und Turkmenistan ergänzen buddhistische und orthodoxe Gemeinden das religiöse Spektrum.

Die gegenwärtigen Regierungschefs sind durchwegs Verfechter eines säkularen Staates, während die politische Opposition vor allem in Tadschikistan einem militanten Islam huldigt. Dieser greift seit geraumer Zeit auch auf Usbestikan über.

Dollar yes?“ wollen geschniegelte Uniformträger wissen und blättern den Inhalt verborgener Geldgürtel der Reisenden genüßlich auf die Holztische schummriger Container. Der Weg in die mittelalterlichen Märchenstädte aus 1001 Nacht ist seit Marco Polo nicht einfacher geworden, läuft doch ohne Genehmigung der Polizeiwache am Zentralbusbahnhof der usbekischen Hauptstadt Taschkent nur wenig. Sechs Stunden bis Samarkand, weitere vier Stunden bis Buchara. Die lange Reise zurück in die Vergangenheit ist gepflastert mit hausgroßen Propaganda-Parolen für ein neues Usbekistan und rostigen Kolchosen-Relikten einer alten Zeit, der nur wenige nachtrauern.

Nur langsam werden die Checkpoints seltener, wo Militsia in blauroten Uniformen nach regimefeindlichen Elementen Ausschau halten. Flimmernde Baumwollfelder, das weiße Gold Usbekistans, wo die gebückten Pflückerinnen bunte Farbtupfen in das staubige Grün bringen. Blitzblaue Beiwagenmaschinen holpern über sandige Feldwege. Im Bus macht Schnupftabak die Runde.

Die schweigende Beklommenheit der Metropole fällt sichtlich ab von den zerfurchten Gesichtern der Passagiere.

Die Zeiten sind nicht leichter geworden, seit Mitte Februar sechs Autobomben in der usbekischen Hauptstadt 15 Menschenleben und Hunderte Verletzte gefordert haben: Das Attentat auf Präsident Islam Karimov war fehlgeschlagen, die Motive sind vielschichtig. War es die russische Mafia? Tadschikische Drogenhändler? Oder doch der militante Muslimflügel im größten islamischen Land Zentralasiens, wo sich die 80 Moscheen der Sowjetzeit mittlerweile auf 4000 vervielfacht haben?

Letztere ist die bequemste Erklärung für Karimov, einen Altkommunisten, dessen Kampf gegen potentielle Verfechter eines islamischen Gottesstaates in die Endphase gegangen ist. Er mobilisiert alle Ressourcen, um die militante Opposition unschädlich zu machen. Die Verhaftung und Folterung geistlicher Oppositioneller, denen Putschaktivitäten gegen die weltliche Regierung angelastet werden, hat Tradition. Menschenrechtsfragen sind für die regionale Supermacht Usbekistan kein Thema, und die NSS – der usbekische KGB – steht nicht gerade im Ruf, zimperlich zu sein: Das Ferghana Tal im Dreiländereck zu Kirgisistan und Tadschikistan, seit langem Niederlassung fundamentalistischer Aufständischer, wird seinem Ruf als Unruheherd wieder gerecht. Schießereien und Festnahmen wegen Kleinigkeiten sind dort an der Tagesordnung.

Das Know-how pakistanisch-tadschikisch-tschetschenischer Terrorkommandos zum Aufbau einer militanten Opposition in der Region steht außer Frage. Auch die afghanischen Taliban sind stets willkommene Sündenböcke. Für Innenminister Zohirjon Almatov besteht kein Zweifel an der Beteiligung der ‚Wahhabi‘ und der ‚Hezbe Tahriri Islomiya‘, islamischer Bewegungen in den versteckten Hochtälern des Hindukusch, am Attentat auf den Präsidenten. Von den Machthabern wird die „Vergiftung der Gedanken unserer Jugend“ durch die Islamisten vorausgesagt, ebenso die Abkehr vom „wahren Islam“ und die Eliminierung sämtlicher Grenzen innerhalb der jungen zentralasiatischen Staaten.

Karimov, selbst Moslem, befürchtet die Schaffung eines neuen Kalifenstaates.

Radikale Säuberungsaktionen gegen die islamische Opposition werden mit der notwendigen Beruhigung der Zivilbevölkerung gerechtfertigt, wie Rustam Inoyatov vom nationalen Sicherheitsdienst kryptisch vermerkt. Den Attentätern drohe zumindest der Verlust ihrer Hände, ließ der Präsident bereits in einer ersten Stellungnahme keinen Zweifel an den blutigen Sanktionen.

Daß der Radio-Mittelwellensender der britischen BBC seit Jahresbeginn in Usbekistan nicht mehr zu empfangen ist, trübt das gehegte Bild eines aufgeschlossenen Potentaten im hehren Kampf gegen finsteren Traditionalismus. 500 politische Verhaftungen hat es seit Februar allein in Usbekistan gegeben, dazu kommen Deportationen unliebsamer Elemente aus der ganzen Region.: ‚Good Will‘-Aktionen, um die Gunst des mächtigen Islam Karimov zu erhalten.

Die Hintermänner des Anschlags auf Präsidenten Karimov waren (allzu) rasch identifiziert. Takhir Yuldash, ein Vertrauter von Taliban-Führer Mullah Omar, und Mohammed Solih, Nationaldichter und Vorsitzender der verbotenen islamistischen Erk-Partei, sind zwar untergetaucht, dafür erfreuen sich ihre Familien und Anhänger penibler Aufmerksamkeit der Militsia: Bei den obligaten Wohnungskontrollen ohne Augenzeugen werden mit bestechender Regelmäßigkeit Drogen und Waffen ‚gefunden‘, Verhaftungen dadurch legitimiert.

Als Mann im Hintergrund gilt Osama Bin Laden, der seinen Wirkungskreis von Afghanistan nach Norden verlegt haben könnte. Der legendenumrankte ‚Vater des Terrorismus‘ hat angeblich 150 Millionen US-$ in den Aufbau eines Sabotagenetzes in den zentralasiatischen GUS-Staaten investiert.

„Die islamische Bedrohung wird die Demokratisierung nicht aufhalten“, betont Karimov, der sich gerne als Vorkämpfer einer Liberalisierung in seinem Land gibt. Politische Beobachter schätzen diese Öffnung allerdings weniger euphorisch ein

Der Präsident Usbekistans herrscht mit eiserner Faust. Seit der Unabhängigkeit 1990 an der Macht, mag er die sozialistische Ideologie verloren haben – nicht aber seine Fähigkeit, das rohstoffreichste Land der Region dem Kapitalismus anzunähern. Trotz der katastrophalen Austrocknung des Aralsees hält sich Usbekistan (noch) an fünfter Stelle der internationalen Baumwollproduktion, hat darüberhinaus die siebentgrößten Goldlagerstätten der Welt und enorme Öl- und Gasreserven.

Die Hauptstraßen sind asphaltiert, die (urbane) Infrastruktur vergleichweise sehr gut. Einige multinationale Firmen haben Usbekistan schon als Produktions- und Absatzmarkt entdeckt.

73 Prozent der 25-Millionen-Bevölkerung sind Usbeken, jeweils rund 5 % Kasachen, Tadschiken und Russen. Der ungeliebte große Bruder Rußland ist mit rund 25% des Handelsvolumens nach wie vor Wirtschaftspartner Nummer 1.

Anfang Februar wurde der GUS-Sicherheitspakt überraschend aufgekündigt. Dazu ist Usbekistan das erste zentralasiatische Land, das seit Mai offizielle Untersuchungen über die Kriegsverbrechen der Sowjetunion seit den dreißiger Jahren vorantreibt. Die Stimmung im Lande ist gereizt, seit Moskau bereitwillig eine Friedenstruppe von 20.000 Mann im bürgerkriegsgeschüttelten Tadschikistan stationiert hat. Die erste russische Militärbasis in Zentralasien gilt nur vordergründig dem Kampf gegen den Drogen- und Waffenschmuggel. Ziel ist vielmehr die verstärkte Kontrolle einer Region, die längst ihre eigenen Wege geht.

Neue politische und ökonomische Seilschaften entstehen in Zentralasien nur langsam; das verbindende Element ist vor allem der gemeinsame Kampf gegen die islamische Bedrohung: Der türkische Präsident Suleyman Demirel eröffnete kürzlich ein weiteres Automobilwerk in Samarkand, eine 65 Millionen US-$ Investition der türkischen Koc-Holding. Ausdruck der Freundschaft der Turkvölker: „Karimovs Feinde sind auch meine Feinde“.

Mit 400 usbekisch-türkischen Joint Ventures hat die Türkei seit 1991 über eine Milliarde US-$ in Usbekistan investiert.

Der tadschikische Premierminister Yakhye Azimov und der iranische Außenminister Kamal Kharrazi haben erst kürzlich die überregionale Unterstützung gegen die Taliban-Bewegung bekräftigt.

Der Autor ist Geograph und bereiste kürzlich Zentralasien.

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