Herzschmerz in den Alpen

Von Georgia Schultze · · 2005/12

Tirol hat sich zu einer der beliebtesten Destinationen für Dreharbeiten des Bollywood-Kinos entwickelt. Die Tourismusbranche stellt sich auf einen boomenden Markt ein.

Scheppernd hallt ein indischer Hit aus den Lautsprechern. Muthuraj Puneeth und seine blendend schöne Film-Liebe Munjal Gauri tanzen auf einer blühenden Bergwiese in Gerlos im Zillertal. Im Hintergrund starren neugierig ein paar Kühe auf das schmachtende Pärchen. Jedes Mal, wenn Munjal Gauri in ihrem reich verzierten Sari dem Helden sehnsuchtsvoll die Hände entgegen streckt, klimpern zahlreiche goldene Armreifen. Ihre Füße sind mit Henna verziert, auf ihren Augenlidern lasten schwere falsche Wimpern. Die Gänsehaut auf ihren braunen Armen ist nicht zu übersehen.
Wenn nur diese eiskalten Böen nicht wären! Und die dunkle Wolke, die unvermeidbar näher zieht. Doch die 15-köpfige Crew scheinen die veränderten Licht- und Wetterverhältnisse nicht zu stören.
Das ist eine der Eigentümlichkeiten dieser die EuropäerInnen etwas skurril anmutenden Produktion. Eine andere, dass statt dem gewohnten „Klappe“ immer gepfiffen wird. Erst als die ersten Regentropfen fallen, genehmigt der Regisseur eine kurze Drehpause. Unter „It’s raining, it’s raining“-Rufen sucht das Filmteam unter eilig aufgestöberten Regenschirmen und Plastikplanen Schutz, bis der kurze Schauer vorbeizieht und das Singen, Tanzen und Schmachten seinen Fortgang nehmen kann. Bollywood-Fantasy-Kitsch im Zillertal: Nicht Palmen am Strand, sondern Alpengletscher und grüne Almen bedeuten für die Inder Exotik, erklärt der Hauptdarsteller.

Früher wurden diese Tanz-Szenen in Kaschmir gedreht. Doch der nordindische Himalaya eignet sich wegen der politischen Spannungen nicht mehr gut für Dreharbeiten. Als Alternative werden gern Neuseeland oder die Schweiz gewählt – und seit einigen Jahren lieben indische Filmproduzenten auch Österreich. Die Voraussetzungen für Bollywood sind in Tirol ideal, erklärt Hauptdarsteller Muthuraj Puneeth: „Wir kommen her, um auch eine andere Natur zu zeigen. Die Natur in Indien ist etwas unterschiedlich zur Natur hier.“ Obwohl sie in manchen Teilen Indiens beinahe so wie in Österreich sei: „Doch hier gibt es Schnee und es ist sehr grün“. Die hohen Berge, die Wiesen, der schöne Stausee – das alles sei „very beautiful“, pflichtet ihm Regisseur Bryrisetti Veera Sankara Srinivasu aus dem fernen Kerala bei, geschickt einer Kuhflade ausweichend. „Die Landschaft hier ist sehr schön: Sehen sie die schneebedeckten Bergspitzen dort drüben und die Seen. Das Grün ist besonders gut, erst recht in dieser Jahreszeit“, schwärmt er in einer kurzen Drehpause weiter.
Indische Filme sind stets Herz-Schmerz-Dramen, erklärt Muthuraj Puneeth. Die Drehbücher hätten sehr viel mit Indien zu tun. Gefühle spielen eine große Rolle, es werden Lieder gesungen und dazu bunte, fröhliche Tanzszenen gezeigt. Diese Tanzszenen drücken stark die indischen Gefühle aus. Muthuraj Puneeth bringt es auf den Punkt: „Wir porträtieren in einem Film, wie Indien eigentlich ist. Das ist es, wie indisches Kino funktioniert.“

Der indische Hauptdarsteller überlegt gar, sich ein Haus in Tirol zu kaufen. Denn nicht nur die Landschaft hat es ihm angetan, auch die Leute seien so freundlich, fügt er charmant hinzu: „Ich liebe Österreich und arbeite gern hier. Ich mag diese wunderbare Natur. Sie ist sehr schön und es gibt hier keine Umweltverschmutzung. Ich bin mir sicher, bald kommen wir wieder nach Österreich und werden hier noch viele Filme drehen.“
Doch Österreich hin oder her, gegessen wird immer indisch. In Warmhaltegeräten beliefert ein indischer Wirt aus Innsbruck das Team. Auch die Tourismusbranche versucht bereits, sich auf ihre indischen Gäste einzustellen. Durch indische Küche versuchen die Hotels, ihnen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Eines der prominentesten Quartiere der filmenden Gäste, der Stanglwirt in Going, hat sich ebenfalls bereits auf die exotische Küche eingestellt.
Die Beliebtheit bei den filmenden InderInnen hat der Chef des Stanglwirts, Balthasar Hauser, nicht nur der Flexibilität seines Küchenchefs zu verdanken. Einen Teil des Wellness-Areals seines Hotels hat er bereits mit satten dunkelroten Stoffen umgestalten lassen. Eine Inderin praktiziert dort Ayurveda. Auf seinem Besitz wurde ebenfalls bereits gefilmt; die InderInnen sind gern gesehene Gäste beim Stanglwirt.
Eine beliebte Filmkulisse war die Tiroler Berglandschaft immer schon. Seit 1998 wurden hier mehr als 150 Produktionen gedreht. Ein Jahr später schon wurde Cine Tirol gegründet, eine Initiative des Landes Tirol und der Tirol Werbung, die das Bundesland in Indien als Filmkulisse anpreist. In den vergangenen sieben Jahren drehten rund 45 Filmcrews indische Schlager in Tirol; die indischen Filmproduzenten haben mittlerweile in den Tiroler Alpen einen neuen Hauptschauplatz gefunden. „Indien, bekannt als Sitz der Traumfabrik Bollywood, produziert seine Filme mittlerweile bevorzugt in unserem Land“, freut sich Johannes Köck von Cine Tirol. Allein heuer gibt Tirol für fünfzehn schwülstige Liebesdramen die Kulisse ab.

Österreichs TourismuswerberInnen umgarnen die indische Unterhaltungsfilmindustrie, um die Tiroler Berge in Szene zu setzen. Um den Bollywood-Teams die Lust am Filmen in Tirol zu erhalten, werden sie von Johannes Köck mit allem versorgt: Vom Flughafentransfer bis zur Suche der richtigen Alm für den Dreh – alles organisiert Cine Tirol.
Das geschickte Product Placement der Tiroler Alpen, gebannt auf indisches Zelluloid, hat Methode. Die größte Filmindustrie der Welt setzt nämlich auch Tiroler Fremdenverkehrsattraktionen gut in Szene: Das Goldene Dachl, die Swarovski-Kristallwelten bei Wattens, den Hauptplatz von Hall und Berge, Berge und nochmals Berge. So haben für den Tiroler Tourismus die fleißigsten Filmemacher der Welt beachtliche Folgewirkungen. Zwischen den Jahren 2000 und 2004 steigerten sich die Nächtigungen indischer Gäste in Tirol um 100 Prozent auf 19.000 pro Jahr. Mittelschicht-TouristInnen aus Indien begeben sich einfach gern auf Spurensuche ihrer Superstars, die in Indien über alles verehrt werden, erklärt der Regisseur Veera Sankarar: „Viele Schauspieler sind in Indien Staatsminister geworden oder Senatoren. Die Menschen mögen sie einfach sehr.“ Und auch im südindischen Bundesstaat Karnataka würden die SchauspielerInnen unheimlich verehrt: „Die Menschen sehnen sich nach dem Einzigartigen, nach dem Gottgleichen. Und wenn sie diese Person sehen oder an die Orte kommen, wo diese Schauspieler waren, bekommen sie dieses einzigartige, gottgleiche Gefühl“, veranschaulicht er.
Diese manchmal gottgleich verehrten Filmstars in Tirol werden zum Füllhorn für den Tourismus. Der Tiroler Landeshauptmann Herwig van Staa glaubt fest, dass sich das Umsorgen der indischen Filmteams auszahlt. Rund 5.000 Euro fließen von der Cine Tirol jährlich in die indische Unterhaltungsindustrie. Die Österreich-Werbung lässt sich die Marktbearbeitung um einiges mehr kosten. Allein heuer sind für Bollywood rund 150.000 Euro budgetiert. Kommendes Jahr soll der südindische Markt beackert werden.

Bollywood und die Alpen – eine ideale Verbindung? Ein solches Drehbuch wurde auch schon tatsächlich in Österreich geschrieben. Darin verliebt sich ein indischer Kameramann in ein Tiroler Mädchen. Doch eines sei verraten: Die Liebe endet unglücklich. Denn den Inder zieht es wieder in die Ferne. Wie auch die indischen Filmteams, die jährlich mit bis zu 1.000 neu produzierten Filmen den asiatischen Markt überschwemmen. Die ersten indischen Filmteams wurden bereits in Südosteuropa und in Irland gesichtet.

AutorenInfo:
Georgia Schultze hat in Innsbruck Politikwissenschaft studiert und arbeitet als freie Journalistin für Printmedien und den ORF, wo sie regelmäßig Beiträge für die Ö1-Sendereihe „Journal Panorama“ und für FM4 gestaltet. Im vergangenen Oktober erhielt sie den Förderpreis der „Spitzen Feder“.

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