„Hirnschmalz für Schlupflöcher“

Von Redaktion · · 2009/03

Klimaschutz werde bedauerlicherweise immer noch als Bürde und nicht als Chance gesehen, erläutert Wolfgang Mehl im Gespräch mit Südwind-Redakteurin Irmgard Kirchner.

Südwind: Der Vertrag von Kyoto hat die Treibhausgas-Emissionen zu einem handelbaren Gut gemacht. Wie ist dieser Handel zu bewerten?
Wolfgang Mehl:
Zuerst möchte ich etwas klarstellen: Immer wieder werden der staatliche Emissionshandel nach dem Kyoto-Protokoll und der EU-weite betriebliche Emissionshandel, (das so genannte Emission Trading Scheme, ETS – siehe Kasten unten; Anm. d. Red.) verwechselt. Hat zum Beispiel der Staat A, der laut Kyoto-Protokoll verpflichtet ist, seine Emissionen um 10 Prozent zu reduzieren, diese um 15 Prozent gesenkt, dann darf er die 5 Prozent, die er mehr reduziert hat, nach Marktmechanismen zu Marktpreisen an andere Staaten verkaufen, die ihr Ziel nicht erreichen. Das gleiche Prinzip gilt im EU-Emissionshandel, allerdings für Betriebe, deren Emissionen so groß sind, dass sie in das System hineinfallen. In den ersten beiden Phasen des ETS bis 2012 hat die EU die Zuteilung der betrieblichen Emissionsrechte weitgehend nach Vorschlägen der Mitgliedsländer gemacht. In jedem einzelnen EU-Staat waren die Lobbys so stark und erfolgreich, dass überall die Betriebe mehr Emissionsrechte bekommen haben, als sie gebraucht haben. Ende 2007 ist der Preis total verfallen und das System hat sich selbst ad absurdum geführt. In Österreich sind es etwa 150 Betriebe, die 45 Prozent von Österreichs Emissionsrechten bis 2012 geschenkt bekommen haben.

Unter welchen Bedingungen könnte der Emissionshandel funktionieren?
Der Emissionshandel funktioniert nur, wenn ich die Emissionsrechte zu einem knappen Gut mache, das einen Preis hat, bei dem es sich auszahlt, in Energieeffizienz und emissionsmindernde Maßnahmen zu investieren. Nach 2012 erfolgt die Zuteilung der betrieblichen Emissionsrechte zentral von der EU-Kommission in Brüssel aus. Das ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung, weil dadurch das Lobbying der Staaten abgeschwächt wird.
Und zumindest ein Teil dieser Rechte soll ab 2013 versteigert werden. Hier läuft gerade ein ganz massives Lobbying, diese Versteigerung für die Phase bis 2020 mit dem Argument der aktuellen Wirtschaftskrise wieder hintanzustellen.
Bis jetzt hat der Emissionshandel auf EU-Ebene für den Klimaschutz außer einer symbolischen Wirkung praktisch nichts gebracht. Um ihn zu einem Steuerungselement zu machen, müsste die Zuteilung sehr viel knapper und damit der Preis deutlich höher sein.
Wolfgang Mehl ist Geschäftsführer von Klimabündnis Österreich. Er hat seit 1995 an 13 von 15 Klimakonferenzen teilgenommen – als Vertreter der Nichtregierungsorganisationen in der österreichischen Delegation.

Und wie schaut es im internationalen Emissionshandel aus?
Die Defizite im internationalen Emissionshandel laufen im Grunde auch auf das gleiche Prinzip hinaus: zu viel Angebot. 1997 in Kyoto ist die Zuteilung der Reduktionsziele in einem weltpolitischen Deal erfolgt. Viele Staaten, vor allem die osteuropäischen, haben Ziele bekommen, von denen immer klar war, dass sie sie ohne die geringste Anstrengung für den Klimaschutz übererfüllen werden. „Hot-Air-Problem“ ist der Fachbegriff dafür. Russland etwa braucht bis 2010 überhaupt nichts zu tun, der extrem Energie-ineffiziente Teil der ehemals kommunistischen Wirtschaft ist zusammengebrochen. Durch diesen Effekt allein reduzieren sich die Emissionen um ungefähr 30 Prozent. Das Kyoto-Ziel für Russland ist jedoch plus minus Null. 1997 war gedacht, dass die USA die Emissionsrechte von Russland kaufen. Dann kam die Ära Bush, der Ausstieg aus dem Kyoto-Prozess. Und damit ist der potenzielle Hauptkäufer für die russischen Emissionsrechte vom Markt verschwunden. Wenn Russland – und andere Staaten,wie etwa die Ukraine – alles verkaufen, was sie verkaufen könnten, dann kann es sich laut seriöser Berechnungen mit den Emissionen auch für den Rest der Welt ausgehen, ohne dass irgendwer wirklich ernsthaft etwas für den Klimaschutz tun muss.

Es gibt ja im Kyoto-Prozess neben dem Emissionshandel noch andere Instrumente.
Grundsätzlich sind die Projektmechanismen wie etwa der entwicklungspolitisch relevante Clean Development Mechanism (siehe Kasten Seite 35; Anm. d. Red.) positiver zu sehen als der Emissionshandel.

Es wird ein neues Instrument namens REDD (Reducing Emissions from Deforestation and Degradation, siehe Kasten seite 35) diskutiert. Es geht darum, den Schutz der Wälder in einen weltweiten Kohlenstoffmarkt einzubeziehen.
Ich bin strikt dagegen, dass Waldschutz zur handelbaren Ware wird in einem zusätzlichen Mechanismus in einem Post-Kyoto-Vertrag. Im Rahmen der UN-Verträge handeln immer nur Staaten. Durch ein Instrument wie REDD würden die Waldgebiete auch für den Staat finanziell interessant. Und damit droht die Gefahr, dass die indigenen Landrechte wieder in Frage gestellt werden. ‚Ja‘ zum Regenwaldschutz unter der Bedingung, dass die lokalen, indigenen Völker volle Rechte und endlich auch eine offizielle Stellung als Partei bekommen. Ein klares ‚Nein‘ zum Erwerb von billigen Zertifikaten aus dem Schutz von Wäldern.
Das zweite Problem ist natürlich, dass ich weitere Türen aufmache, wie sich der Norden von seiner Verpflichtung zur Emissions-Reduktion und zum Klimaschutz freikaufen kann. Das Grundproblem beim Klimaschutz liegt in der Haltung: Klimaschutzmaßnahmen werden nicht als Chance für die Zukunft, sondern als Belastung für unsere Art des Wirtschaftens gesehen.

Wird sich in der Klimapolitik der USA unter Obama etwas ändern?
Wahrscheinlich ist Obama die große Hoffnung der ganzen Welt. Man kann provokant sagen, dass eine bilaterale Vereinbarung zwischen der USA und China, die sich vor Kopenhagen abzeichnet, wahrscheinlich die größte Chance für das Ergebnis von Kopenhagen ist. Grundsätzlich habe ich den Eindruck dass die Amerikaner, wenn sie einmal etwas machen wollen, dann dazu neigen, das engagierter und ernsthafter zu machen.
Eines der Grundprobleme der Klimakonferenzen ist einfach die unheimliche Behäbigkeit der EU von ihrer Struktur her.

Wer setzt sich am stärksten für den Klimaschutz ein?
Global gesehen ist die EU die Lokomotive beim Klimaschutz, auch wenn sie momentan etwas eingebremst ist. Gegen Klimaschutz ist heute niemand mehr. „Nachhaltigkeit“ ist die „Worthure“ des Jahrzehntes. Allerdings werden die Maßnahmen dafür im Zweifelsfall gegenüber anderen Prioritäten zurückgesetzt.
Im Kyoto-Prozess ist über Jahre sehr viel Hirnschmalz dafür aufgewendet worden, sich jedes Jahr neu zu überlegen, wie zusätzliche Schlupflöcher in den Vertrag gebohrt werden können. Er ist von Jahr zu Jahr schwächer geworden. Insofern hat das Kyoto-Protokoll die Hoffnungen nicht erfüllt, die es 1997 erweckt hat. Es herrschte die Einschätzung, Kyoto 1 ist ein Schritt in die richtige Richtung und Kyoto 2 wird dann die Welt retten. Dafür haben wir noch ein Dreiviertel-Jahr Zeit.

Beim wem liegt der Ball?
Die Verantwortung liegt beim Norden, „Demonstrable Progress“, vorzeigbare Fortschritte, zu erzielen. Nur dann hat er das moralische Recht, Forderungen an andere zu stellen. Und vorzeigbaren Fortschritt gibt es bis jetzt nicht und wird es auch bis zur Konferenz in Kopenhagen im Dezember nicht wirklich geben. Kopenhagen kann nur funktionieren, wenn es eine Kombination gibt aus deutlich ambitionierteren Klimaschutzzielen für den Norden als in Kyoto 1 und einer gewissen Akzeptanz von Beschränkungen der Zuwachsraten zumindest für die Schwellenländer.
Das Wichtigste, um international eine Rolle spielen zu können, ist die Erfüllung ambitionierter nationaler Klimaschutz-Ziele.

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