„Hoffnung ist die letzte Kraft“

Von Kornelia Laurin · · 2003/12

Der Erzbischof von Burundi, Simon Ntamwana, besuchte kürzlich Graz. Kornelia Laurin sprach mit ihm über die politische Situation und möglichen Friedenschancen.

Südwind: Als 1993 durch die Ermordung des demokratisch gewählten burundischen Präsidenten, Melchior Ndadaye, der Bürgerkrieg zwischen Hutu und Tutsi in unbeschreibliche Massaker eskalierte, war Burundi auch in unseren Medien fast täglich präsent. Doch dann hörte man bei uns nicht mehr viel. Was geschah in den letzten zehn Jahren?

Simon Ntamwana:
Wir hatten bis vor kurzem noch Krieg. Gleich schrecklich, gleich grausam. Einen absurden Krieg. Jahrhundertelang lebten Hutu und Tutsi gemeinsam, heirateten einander, waren befreundet. Die belgische Kolonialmacht protegierte eine Volksgruppe, nämlich die Tutsi. Die Menschen bekamen Angst. Davor, unterdrückt und beherrscht zu werden. So kam es nach Abzug der Kolonialmacht zu einem nicht enden wollenden Bürgerkrieg. Viele Menschen mussten sterben. Allein in meiner Diözese haben 70.000 Kinder keine Eltern mehr, und es gibt viele tausend Witwen, denen geholfen werden muss.

Anfang November kam in Johannesburg/ Südafrika nach zähem Ringen unter der Leitung von Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela endlich ein Friedensvertrag zustande. Glauben Sie an diesen Frieden?

Der Vertrag existiert eigentlich schon seit Dezember vorigen Jahres. Was jetzt ausgehandelt wurde, sind die Bedingungen, unter denen die größte Rebellengruppe FDD (Kräfte zur Verteidigung der Demokratie) bereit ist, ihre Waffen abzugeben. Sie betrachtet sich als Sieger und will sozusagen ihre Belohnung kassieren. Das Wort „Friede“ hört man oft in Burundi und die Menschen haben Sehnsucht danach. Sie sind müde und wollen Ruhe. Doch gibt es noch eine andere Rebellengruppe, die nur aus Hutu besteht und in die Verhandlungen nicht miteinbezogen wurde. Es bleibt abzuwarten, ob sie den Friedensvertrag akzeptieren wird.*)

Zigtausende Waisenkinder, unzählige Witwen, verwüstetes Land. Kann unter diesen Voraussetzungen Versöhnung überhaupt möglich sein?

Auch ich habe meinen Vater und einen Bruder verloren und weiß, wie schwer es ist, dieses Unrecht zu vergeben. Es bedeutet innere Arbeit und einen starken Glauben, auch an das Gute im Menschen.

Und wie erklären Sie das Kindern?

Das ist schwer und doch muss ich Ihnen sagen, dass wenn die Menschen ihren Hass nicht überwinden, es keine Hoffnung auf Zukunft geben kann. Einander vergeben heißt „nicht zu vergessen“. Die Wahrheit muss so ehrlich wie möglich dargestellt und Gerechtigkeit geschaffen werden, erst dann kann man das Geschehene bedauern und erkennen, dass Verbesserungen nur gemeinsam herbeigeführt werden können.

Sie initiieren und begleiten Projekte, in denen Waisenkindern wieder Hoffnung auf eine Zukunft gegeben wird …

Es ist bei uns traditionell so, dass Waisenkinder von der Nachbarschaft großgezogen werden, diese Bereitschaft wurde nicht zerstört. Da haben wir Glück gehabt. So ist es mir gelungen, 70.000 Kinder, die in meiner Diözese allein waren, fast alle bei Familien unterzubringen. Wir helfen mit Schulgeld, Kleidung und Medikamenten. Das Schöne ist, dass diese Kinder ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeit aufgenommen werden. Außerdem bilde ich junge Menschen darin aus, die psychischen Bedingungen für Versöhnung zu verstehen und zu erlernen. Damit mache ich sie zu Zeugen, dass Versöhnung gelingen kann.

Das heißt, Sie geben die Hoffnung auf ein friedliches Burundi nicht auf?

Auch in der dunkelsten Stunde bin ich hoffnungsvoll. Ich halte an der Hoffnung fest, weil sie die letzte Kraft ist, die den Menschen dazu bringt, weiterzumachen und niemals aufzugeben.


*) Wie bald nach dem Interview bekannt wurde, wird die neue Einigung von Burundis zweitgrößter Rebellenbewegung FNL (Nationale Befreiungsfront) boykottiert, die nun anstelle der FDD weiterkämpfen dürfte.

Kornelia Laurin, freie Journalistin, wohnhaft in Graz, engagiert sich für Integration und Südthemen, schreibt und arbeitet auch für das ORF-Fernsehen (Heimat fremde Heimat).

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