„Ich bin vernetzt, daher bin ich“

Von Herbert Berger · · 2011/03

Wir Menschen sind nicht in erster Linie eine aggressive, materialistische und egoistische Spezies. In der geschichtlichen Entwicklung der Menschheit ist vielmehr eine stete Zunahme und Ausweitung des Mitgefühls und der Zusammenarbeit festzustellen, meint der US-amerikanische Wissenschaftler Jeremy Rifkin in seinem jüngsten Buch.

Die Empathie, das menschliche Mitgefühl, war früher auf den Familienclan beschränkt. Heute hingegen hat sie zumindest ansatzweise eine globale Dimension erreicht, obwohl auch gleichzeitig die globalen Konflikte zunehmen. Doch nicht nur die Reichweite hat zugenommen, sondern auch ihre Qualität. Zum Beispiel die Emanzipation der Frauen, die verständnisvollere Einstellung zu den Kindern, der Wandel im Umgang mit den Behinderten, die vielerorts fast schon erreichte Gleichberechtigung der homosexuellen Menschen. Immer mehr Menschen schließen auch die Natur in ihre Empathie ein, nicht nur, weil die Erhaltung der Natur für unser Überleben erforderlich ist, sondern auch weil Tiere, Pflanzen und die unbelebte Natur einen Wert an sich darstellen.

Was wie das Wunschdenken eines unverbesserlichen Optimisten anmuten mag, ist das Ergebnis penibler wissenschaftlicher Untersuchungen. Rifikin, renommierter Soziologe und Ökonom – u.a. Preisträger des Bruno Kreisky-Preises für das politische Buch – beschäftigte einen großen Mitarbeiterstab, der für dieses Buch recherchierte. Rifkin ist kein Träumer, er holt sich die Bausteine für seine Thesen von der Historie, der Philosophie, der Psychologie und Soziologie, von der Ökonomie und aus den verschiedenen Bereichen der Kunst.

Der Wissenschaftler übersieht nicht die blutige Seite der Geschichte, aber er konstatiert eine im Grunde positive Entwicklung der Menschheit, nicht nur im Bereich der Technologie und der Wissenschaft, sondern auch im Denken und Fühlen der Menschen. Hierarchische Herrschaftsstrukturen wurden weitgehend überwunden und der globale Anspruch auf die allgemein gültigen Menschenrechte deklariert. Die Bedrohung für die Menschheit liege nicht in ihrem aggressiven Potenzial, sondern in einer entropischen Katastrophe, hervorgerufen durch die Ausbeutung der Ressourcen unseres Planeten und den damit verbundenen Klimawandel. Rifkin erkennt Zusammenhänge zwischen Energieverbrauch und gesellschaftlicher Entwicklung. Immer wenn eine Gesellschaft neue Energiequellen erschloss, führte das – zumindest teilweise – nicht nur zu mehr Wohlstand, sondern auch zu einer Verbesserung und Erweiterung der Kommunikation.

Jeremy Rifkin
Die empathische Zivilisation. Wege zu einem globalen Bewusstsein.
Übersetzt von Ulrike Bischoff u.a. Campus Verlag, Frankfurt 2010, 468 Seiten, € 26,90
 

Gefährlich ist hingegen der Wettlauf zwischen der Maximierung der globalen Empathie und der immer schneller voranschreitenden Zerstörung der Biosphäre unseres Planeten. Nur wenn die Menschheit die Stufe eines globalen Bewusstseins erreicht, gibt es eine Zukunft. Durch Hunger, durch Kriege um die knapper werdenden Ressourcen und durch von uns ausgelöste Katastrophen könnte die Menschheit in eine noch nie gekannte Verzweiflung stürzen, was den Einsatz atomarer und biologischer Massenvernichtungswaffen herbeiführen könnte.

Nur die Schaffung eines globalen Bewusstseins könne die Zukunft sichern. Ursprünglich hatten die Menschen ein mythologisches Bewusstsein, im Altertum und Mittelalter ein religiöses, in der Neuzeit ein ideologisches und schließlich im 19. und 20. Jahrhundert ein psychologisches Bewusstsein, wo der Mensch seine volle individuelle Eigenständigkeit und Eigenverantwortung erkannte. Jetzt, im 21. Jahrhundert, sei es an der Zeit, eine maximale Vernetzung der eigenverantwortlichen Menschen zu erreichen. Hieß es in der Aufklärung „ich denke, daher bin ich“, so müsse es heute heißen, „ich bin vernetzt, daher bin ich“. Die neuen Kommunikationsmittel machen das in einem ungeahnten Ausmaß möglich.

Jeremy Rifkin ist in seinen Analysen erfrischend optimistisch. Er sieht im zunehmenden Einsatz erneuerbarer Energiequellen und der neuen Kommunikationsmittel den Weg zu einer neuen industriellen Revolution, die zu Marktwirtschaft hinführt, wo nicht der aggressive Eigennutz im Vordergrund steht, sondern die Kooperation. Es wird eine neue Lebensqualität angestrebt, wo nicht die materiellen Werte des Einzelnen im Vordergrund stehen, sondern die soziale Zugehörigkeit und das Glücksempfinden. Leider verzichtet er auf die Weisheit der außereuropäischen Völker und Kulturen, auf die zukunftsfähigen Lebens- und Gesellschaftsvorstellungen der indigenen Völker, wo die Einheit von Mensch und Natur und die Gemeinschaft im Vordergrund stehen. Was der US-Ökonom für unsere westliche Zivilisation erhofft, könnte doch eine fruchtbare Verbindung mit diesen alten Kulturen eingehen.

Herbert Berger arbeitete zur Zeit der Regierung Allende als katholischer Priester in Chile. Nach der Rückkehr nach Österreich u.a. Bereichsleiter des Renner-Instituts. In zahlreichen entwicklungspolitischen Initiativen aktiv, u.a. im Vorstand der Regionalstelle Südwind Wien.

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