„Ich habe drei Tugenden“

Von Redaktion · · 2014/03

Ignacio Taibo ist der erfolgreichste Krimi-Autor Lateinamerikas. Ende Jänner traf ihn Südwind-Mitarbeiter Werner Hörtner in Linz zum Gespräch.

Südwind-Magazin: Welche Möglichkeiten und Grenzen für politischen Aktivismus gibt es in Mexiko heutzutage?
Ignacio Taibo:
Der einzige Schlüssel, den wir nach den betrügerischen Wahlen 2012 gefunden haben, ist ein Steuerstreik. Einfach keine Rechnungen an den Staat, an das System mehr bezahlen, keinen einzigen Centavo. Aber um damit etwas zu erreichen, musst du erst einmal 25 Millionen Mexikaner mobilisieren. Ich würde sagen, das Gebot der Stunde lautet: in Verbindung mit den vielen sozialen Kämpfen, die sich im Land abspielen, die Bevölkerung mobilisieren und daraus eine einzige Bewegung bilden. Die einzige Konstante im politischen Kampf in Mexiko in den letzten 50 Jahren ist die Zersplitterung der Kämpfe. Die große Lektion, die die Linke daraus ziehen müsste, ist die, dass es nur die Menschen selbst sind, die die Übel im Land bekämpfen können. Den Drogenhandel etwa kann nur die Bevölkerung selbst bekämpfen, mit Maßnahmen der Selbstverteidigung.

Sie haben vor beinahe zehn Jahren zusammen mit Subcomandante Marcos, dem legendären Führer der zapatistischen Aufstandsbewegung in Chiapas, den Krimi „Unbequeme Tote“ geschrieben. Wie war es möglich, über eine Entfernung von 800 km Entfernung und unter großem Zeitdruck gemeinsam ein Buch zu schreiben?
Dieses Unternehmen stellte uns vor gewaltige logistische Schwierigkeiten. Erschwerend kam noch dazu, dass parallel zum Entstehungsprozess die Geschichte als wöchentliche Serie in der Tageszeitung „La Jornada“ erschien, der größten linksliberalen Zeitung des Landes. Ich erhielt jeweils dienstags den Text von Marcos aus Chiapas, am Samstag musste ich ihm schon mein Antwortkapitel schicken, am Dienstag darauf an die Jornada. Ein ungemein kompliziertes System!

Im Buch äußern Sie eine starke Sympathie für die Zapatisten.
Ich war in den letzten vier Jahrzehnten praktisch in allen sozialen Kämpfen in Mexiko aktiv. Ich bin zwar kein Mitglied der zapatistischen Bewegung, aber ich schätze sie sehr. Schade ist, dass sie nur in einem sehr kleinen Gebiet des Landes einen direkten Einfluss hat. Um eine größere Ausstrahlung zu haben, müsste sie mit anderen Sektoren der Gesellschaft Allianzen schließen. So haben es die Zapatisten nicht geschafft, sich als eine nationale Option zu präsentieren. Ich finde, sie sollten mehr mit anderen sozialen Bewegungen zusammenarbeiten, etwa mit Gewerkschaften. Mit ideologischem Purismus alleine kannst du das korrupte neoliberale System nicht bekämpfen.

Elias von der „Zapatistischen Ermittlungskommission“ gibt im erwähnten Buch einen prophetischen Satz von sich: „Wem es gelingt, die Energie und das Erdöl zu privatisieren, in dessen Taschen werden ungeheure Summen fließen.“ Nun, fast ein Jahrzehnt später, ist es soweit: die Privatisierung wurde vom Parlament genehmigt. In welche Taschen fließt nun das Geld?
Am neoliberalen System der mexikanischen Regierung haben sich schon in der Vergangenheit zahlreiche Funktionäre, Politiker und Unternehmer immens bereichert. Und nun können sie einen Riesentopf unter sich aufteilen. Das haben sie bei den letzten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen (am 1. Juli 2012; Anm. d. Red.) gut vorbereitet. Als sie sahen, dass sie auf dem normalen Weg nichts erreichen würden bei den Wahlen, sind sie auf eine neue Idee verfallen: den Weg des Stimmenkaufs. Fünf Millionen Stimmen haben sie mit Geld gekauft. Obwohl sich in Meinungsumfragen 57% der Befragten gegen die Privatisierung des Erdöls ausgesprochen hatten, konnte die neue Regierung der PRI unter Enrique ­Peña Nieto das Projekt nun durchziehen.

Hat Ihnen Ihr immer wieder sowohl öffentlich als auch in Ihren Büchern geäußerter Protest gegen das politische Establishment keine Schwierigkeiten eingebracht?
Nein (lacht), denn die lesen ja nichts. Und außerdem schlagen sie ja nur an der Basis zu, dort, wo es nicht sichtbar ist. Aber in der Welt der Literatur, da passiert nichts. Vielleicht ab und zu ein Drohanruf, oder es wird ein Buch verboten, aber sonst nichts.

Wenn ich mir Ihre intensiven politischen und literarischen Aktivitäten ansehe, dann frage ich mich immer wieder, wie Sie das alles unter einen Hut bekommen. Sind Sie ein Frühaufsteher? Arbeiten Sie sehr diszipliniert?
Ich habe drei Tugenden, die mir dabei helfen: Ich trinke keinen Alkohol, wodurch ich mir viel Zeit erspare. Ich bin monogam, bin schon seit über 40 Jahren mit derselben Frau verheiratet, verschwende also keine Zeit mit polygamen Ausflügen. Und drittens: Ich schreibe gerne. Ich schreibe nicht zu fixen festgelegten Stunden, sondern dann, wann ich will, wann ich die Lust dazu habe. Normalerweise in der Nacht. Oft beginne ich in der Abenddämmerung, und wenn das Morgengrauen heraufzieht, weiß ich, dass es Zeit ist zum Schlafen.

Paco Ignacio Taibo II oder kurz ­Taibo II kam 1958 im Alter von neun Jahren aus dem nordspanischen ­Gijón nach Mexiko. Seine ­Eltern waren im Kampf gegen die Franco-Diktatur aktiv gewesen. Vom Studium der Geschichte und Soziologe kam er über den Journalismus zum Schreiben. Heute ist er der wichtigste und erfolgreichste Krimi-Autor Lateinamerikas, mit etwa 20 ins Deutsche übersetzten Titeln, darunter eine Biographie von Che Guevara.

Zuletzt erschien „Die Rückkehr der Tiger von Malaysia“ (Assoziation A, Berlin 2012, 288 Seiten, Euro 20,50).

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