Im Dorf der Landlosen

Von Redaktion · · 2009/11

Auf den Philippinen geht die Landreform trotz heftigen Widerstands der feudalen Grundbesitzer langsam, doch stetig voran. Über den Kampf der bäuerlichen Bevölkerung berichten aus dem kleinen Dorf Nilantangan Christian Schwarz und Marina Wetzlmaier.

Eine bescheidene Hütte aus Bambus und Holz darf Maribel Luzara ihr Eigen nennen. Gerne würde sie in einem Haus aus Stein wohnen, doch für die Fertigstellung reichte das Geld nicht aus. Im halb errichteten Gebäude neben ihrer Hütte, das einer Ruine gleicht, hält Maribel stattdessen Schweine. Dass sich hier die Ferkel tummeln, wäre bis vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen. Damals waren die DorfbewohnerInnen vollkommen von der Außenwelt isoliert. Der Zaun aus Stacheldraht, der hinter Maribels Haus verläuft, zieht sich um das ganze Dorf Nilantangan, das rund 200 Kilometer südlich der philippinischen Hauptstadt Manila auf der Halbinsel Bondoc liegt. Er machte die EinwohnerInnen zu Gefangenen.

In Nilantangan hat das philippinische Recht praktisch keine Gültigkeit. Stattdessen gilt das Gesetz von Michael Gil Mathias – das Gesetz der Willkür des Großgrundbesitzers. Er war es, der den Zaun errichten ließ, um den Bäuerinnen und Bauern ihr Recht auf Land zu verweigern. Die einfachsten Tätigkeiten des Alltags waren somit für die Menschen in Nilantangan schwer zu bewältigen. Nicht nur das: Ständig mussten die DorfbewohnerInnen in Angst vor gewaltsamen Übergriffen durch die Schergen des Großgrundbesitzers leben. Eine in den Zaun geschnittene Öffnung ist heute der einzige Weg, durch den die BewohnerInnen des Ortes ein und aus können. Sie warten nun schon fast über acht Jahre lang darauf, ihr eigenes Land zu bekommen. Die Zeit läuft ihnen allerdings davon.

Die Situation der Menschen in Nilantangan spiegelt auf drastische Weise wider, wie hart umkämpft der Besitz von Land auf den Philippinen ist. Großgrundbesitz und Feudalsystem sind ein Erbe der spanischen Kolonialzeit, die vom 16. bis Ende des 19. Jahrhunderts dauerte. Doch noch immer ist die ungleiche Landverteilung eines der drängendsten Probleme der Bevölkerung. Viele arbeiten auf Plantagen; andere wurden von ihrem Grund vertrieben, ihres Besitzes beraubt und so zu Landlosen.

Ein Agrarreformprogramm existiert zwar bereits seit 1988; wäre alles nach Plan verlaufen, hätten binnen zehn Jahren acht Millionen Hektar Land neu verteilt werden sollen. Doch die Durchführung scheiterte an fehlendem Budget und Umsetzungswillen ebenso wie am Widerstand jener Großgrundbesitzer, die im Kongress sitzen. Laut Gesetz wären sie verpflichtet, Land gegen eine finanzielle Entschädigung freizugeben. 1,3 Millionen Hektar Land müssen noch verteilt werden. Der philippinische Kongress verabschiedete deswegen im vergangenen Juni das neue Agrargesetz CARPER (Comprehensive Agrarian Reform Programme Extension with Reforms), das eine Überarbeitung des vorangegangenen Programms ist. „Es ist kein perfektes Gesetz, aber ein Schritt vorwärts in dem langen Kampf um eine Landreform“, so die Einschätzung des Ökonomen und Abgeordneten Walden Bello (der im Mai zum 30-jährigen Südwind-Jubiläum nach Wien kam – siehe Interview SWM Nr.6/09; Anm. d. Red.).

Dennoch bleibt die Zukunft der Landbevölkerung ungewiss. Viele sind sich einig, dass es nur durch öffentlichen Druck und Proteste Fortschritte in der Landfrage geben wird. Sie haben sich deshalb zu Organisationen zusammengeschlossen, um gemeinsam ihr Recht auf Land einzufordern. Es ist ein lebensgefährlicher Kampf, bei dem Aktivistinnenen und Bauernführer stets mit Morddrohungen und -attentaten zu rechnen haben. Maribel aus Nilantangan lässt sich dennoch nicht einschüchtern. „Würde ich aufgeben, würden alle aufgeben. Das kann ich nicht tun, dazu habe ich eine zu große Verantwortung dem Dorf gegenüber“, erklärt sie. Durch ihr Engagement und ihr Durchhaltevermögen nimmt die 32-Jährige in Fragen Landrechte eine Führungsrolle im Dorf ein. Auch sie war einst Pächterin auf der Kokosnussplantage von Mathias und musste zwei Drittel ihrer Ernte an den Landlord abtreten. Von dem Drittel, das übrig blieb, konnte sie mehr schlecht als recht leben.

Zwischen den wenigen besitzenden Familien und den vielen Kleinbäuerinnen und -bauern im Land herrscht eine große Kluft. „Armut auf den Philippinen bedeutet vor allem ländliche Armut“, erklärt Belinda Formanes, die sich schon seit Jahren für die kleinbäuerliche Bevölkerung einsetzt. Ihre NGO PARDDS begleitet, unterstützt und berät Bauernvereinigungen in ihrem Kampf um eine gerechte Landverteilung, der nicht selten gleichzeitig ein Existenzkampf ist. „Land ist nicht nur eine Quelle von Nahrung“, betont Formanes, „sondern auch eine Quelle von Macht.“ Diejenigen, die über große Ländereien verfügen, dominieren gleichzeitig Wirtschaft und Politik der Philippinen. Das neue Agrargesetz konnte zwar viele Schlupflöcher des vorhergehenden Programms, mittels derer Großgrundbesitzer das Gesetz umgehen konnten, stopfen, und neue Geldmittel wurden bereitgestellt. „Doch CARPER besagt auch, dass Großgrundbesitzer ein Vetorecht bei der Landvergabe haben. Sie entscheiden mit, wer Land bekommt und wer nicht. Wir nennen diese Bestimmung nicht umsonst ‚killer amendment'“, sagt Danny Carranza, langjähriger Kämpfer für die Rechte der Bauernschaft und Experte für Agrarreform.

„Begonnen hat alles im Jahr 2001“, erzählt Dorfvorsteher Roland Zaño. Während er die Geschichte von Nilantangan erzählt, sitzen die Bauersfrauen auf seiner Veranda, plaudern und trinken Kokosschnaps. Nebenbei sortieren sie, wie jeden Abend, Trockenfisch. Der Fischfang ist zurzeit die einzige Lebensgrundlage der BewohnerInnen. Das ganze Dorf ist durchzogen von dem Geruch nach Fisch, der tagsüber am Strand in der Sonne getrocknet und somit länger haltbar gemacht wird.

2001 ging Zaño zu Landbesitzer Mathias, um zu verhandeln. „Ich habe ihm vorgeschlagen, die Ernte fifty-fifty aufzuteilen.“ Daraufhin habe der Landbesitzer ihn als Verräter beschimpft und von seinem Anwesen vertrieben. „Dann nahm er mir noch meinen Wasserbüffel weg“, klagt Zaño. Ohne das wichtige Arbeitstier konnte er nichts mehr pflanzen und ernten. Damit hoffte Mathias den Wortführer der Bäuerinnen und Bauern aus Nilantangan endgültig ruhig gestellt zu haben. Mit der Hartnäckigkeit der DorfbewohnerInnen hatte er allerdings nicht gerechnet. Denn statt aufzugeben, reichten sie im August 2001 beim zuständigen Amt für Agrarreform Anträge auf Landeigentum ein.

In der Folge kamen so genannte Goons nach Nilantangan, von Mathias bezahlte Söldner, bewaffnet mit Gewehren. „Sie streiften sich Masken über und kamen im Schutz der Dunkelheit“, erzählt Roland Zaño. „Dann schossen sie wie wild um sich, um die Menschen hier einzuschüchtern.“ Von der Polizei hatten die Menschen keine Hilfe zu erwarten. Sie untersteht Nani Tan, dem Bürgermeister der Gemeinde San Francisco und engem Freund der Familie Mathias. Die Schikanen durch die Goons waren erst der Anfang. Noch 2001 verfügte Bürgermeister Nani Tan, dass es verboten sei, im Meer zu fischen und Schweine zu halten. Dann kamen die Anzeigen wegen schweren Diebstahls und Landfriedensbruch. Insgesamt wurden 69 Haftbefehle gegen Bäuerinnen und Bauern aus dem Dorf ausgestellt. Die meisten Urteile sind bis heute noch ausständig.

2005 wurde schließlich der Stacheldrahtzaun errichtet. Als Zaño und eine Gruppe von Bauern im Jänner von mehrmonatigen Kundgebungen und Demonstrationen nach Nilantangan zurückkehrten, staunten sie nicht schlecht. Während ihrer Abwesenheit hatten Mathias‘ Goons einen Zaun rund um das Dorf aufgezogen, um das Land des Großgrundbesitzers und das Meer zu „schützen“. Die in Nilantangan verbliebenen BewohnerInnen hatten nur tatenlos zusehen können, wie sich der Stacheldraht um das Dorf schloss. Sie konnten nicht einmal mehr zu ihren Fischerbooten, die Grundlage ihrer einzigen fixen Einnahmequelle. Als letzte Möglichkeit blieb, den Zaun einfach niederzureißen. „Schließlich hörten die Goons doch auf, die Eingänge wieder zu schließen. Mathias war das irgendwann zu teuer geworden“, sagt Zaño triumphierend.

Dennoch kamen Dorfvorsteher Zaño und AktivistInnen wie Maribel zu der Auffassung, dass es so nicht weitergehen könne, etwas musste sich ändern. „Bürgermeister Nani Tan ist jetzt unser Freund“, sagt Zaño mit Erleichterung in der Stimme, „seitdem halten sich die Goons fern, und es gibt auch keine Anzeigen mehr.“ Der Grund für den Sinneswandel von Nani Tan ist einfach erklärt: Im Mai 2010 finden nicht nur die nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt, sondern auch jene für Bürgermeister. Ohne die wertvollen Stimmen der Kleinbauern und -bäuerinnen muss Tan um seine Wiederwahl fürchten. Oder anders formuliert: Er hat mehr Angst vor den Bauern als vor Mathias.

CARPER soll nun fünf Jahre laufen. „Wenn die Landverteilung bis dahin immer noch nicht abgeschlossen ist, müssen die Bauern zu anderen Mitteln greifen“, zeigt sich Danny Carranza entschlossen und lässt durchblicken, dass die Menschen selbst zu Waffen greifen würden, um das Land, das ihnen zusteht, zu bekommen.

Christian Schwarz arbeitet als freier Journalist und studiert Ostasienwissenschaften; Marina Wetzlmaier ist freie Journalistin und studiert Internationale Entwicklung und Vergleichende Literaturwissenschaft, beide Uni Wien.

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