Im Irrgarten der Globalisierungsdebatte

Von Robert Poth · · 2001/10

Mit neuen Studien und Zugeständnissen an ihre KritikerInnen versucht die Weltbank, ihre Positionen zur Liberalisierung zu verteidigen.

Wenn meine Erklärungen richtig sind, dann muss ich zuerst meine Kollegen unter den Ökonomen überzeugen, und nicht die allgemeine Öffentlichkeit“, schrieb John Maynard Keynes 1936 im Vorwort zu seiner „Allgemeinen Theorie des Gleichgewichts“, einem Frontalangriff auf die vorherrschende klassische Nationalökonomie. Gegen den „Mainstream“ argumentieren zu müssen, ist nicht das Problem der Weltbank – die ökonomische Zunft ist eher auf ihrer Seite. Also geht es ihr um die öffentliche Meinung? Tatsächlich wird die Botschaft jedenfalls bereitwillig von jenen Medien verstärkt, deren Ansichten sie bestätigt.

„Die Globalisierung erhöht die Einkommen, und die Armen partizipieren daran zur Gänze“, schloss etwa der britische Economist, als im April ein Entwurf einer Studie der Weltbankökonomen David Dollar und Aart Kray über Handelsliberalisierung, Wachstum und Armut erschien. Die Hauptaussagen: „Globalisierende“ Entwicklungsländer erzielen höhere Wachstumsraten als die reichen Länder, während andere Länder, die den Außenhandel weniger liberalisiert haben, zurückbleiben (siehe Grafik); und außerdem profitieren die Armen im Schnitt genauso vom Wachstum wie andere Bevölkerungsgruppen – mit anderen Worten: Zunehmende Ungleichheit ist keine Folge der Globalisierung.

Es war kaum zu erwarten, dass sich die KritikerInnen der Globalisierung beeindruckt geben. Stellvertretend für viele meldete etwa das Center for Economic and Policy Research (CEPR), ein kritischer Think Tank in Washington, noch vor der erweiterten Version der Studie vom Juni Zweifel an ihrer Aussagekraft an: Das langsame Wachstum in Lateinamerika und Afrika sei eher ein Beweis dafür, dass die Reformprogramme der Internationalen Finanzinstitutionen Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IFIs) kein Wachstum fördern würden – und darin bestehe der eigentliche Erklärungsbedarf. Dollar ist dafür allerdings eher die falsche Adresse: Er ist Ostasienexperte und beriet von 1989 bis 1995 im Auftrag der Weltbank Vietnam bei der wirtschaftlichen Liberalisierung.

Auch ein weiterer Weltbankbericht zur Globalisierung, den NGOs im Juli in einem Entwurfstadium begutachten konnten, dürfte ähnlich verpuffen. „Einige Ängste sind begründet“, heißt es darin, und in Bezug auf die von ihr verursachten Probleme sei er „erfrischend ehrlich“, urteilte immerhin das Bretton Woods Project, ein „Watchdog“ der IFIs. Eingeräumt werden neben der Gefahr einer Vorherrschaft der „amerikanischen“ Kultur auch gravierende Probleme nationaler Wettbewerbsbehörden mit Monopolen und Oligopolen sowie die Gefahr, dass die Welthandelsregeln die Starken begünstigen, etwa bei Patentrechten. Tatsächlich, so Oliver Buston von Oxfam, scheine der Bericht aber „Business as usual“ zu empfehlen, nämlich eine allgemeine Handelsliberalisierung durch die armen Länder als wirksames Mittel der Armutsbekämpfung. Das sei falsch: „Die erfolgreichsten Länder sind jene, die sich die Kontrolle über ihr eigenes wirtschaftliches Schicksal bewahrt haben“.

Oxfam gehört zu jenen, die noch am ehesten einen Dialog mit den IFIs für möglich halten. Als aber vier US-amerikanische NGOs, darunter Global Exchange und „50 years is enough“, die IFIs im Vorfeld ihrer für Ende September in Washington geplanten (und nun aufgrund der Terroranschläge verschobenen) gemeinsamen Jahrestagung zu einer öffentlichen Debatte einluden, war die mediale Reaktion skeptisch: Das Ereignis werde zu einem Wettkampf verkommen, bei dem sich die TeilnehmerInnen Glaubenssätze entgegenschleudern wie bei einem Gipfeltreffen zwischen zwei fundamentalistischen Religionen, kommentierte die britische Tageszeitung Guardian.

Warum ist eine sachliche Debatte über Pro und Kontra der „Globalisierung“ so schwierig? Ravi Kanbur, der Teamleiter des Weltbankberichts „Attacking Poverty“, der im Mai 2000 wegen Eingriffen in die Berichtsaussagen zurücktrat, hat einige Kommunikationsblockaden identifiziert: Unterschiedliche Perspektiven und Schwerpunkte in drei entscheidenden Bereichen, nämlich der Abbildung der Wirklichkeit durch Indikatoren, dem Zeithorizont und der Einschätzung der Marktstruktur. Der Effekt: Es ist den Beteiligten nicht einmal möglich, Einigkeit über die grundlegenden Fakten herzustellen- und daran werden auch die neuen Studien wenig ändern.

Etwa im Streit um die Ab- oder Zunahme der Armut. Folgt man „Attacking Poverty“, dann ist der Anteil der extrem armen Bevölkerung im Süden (mit einem Einkommen von weniger als einem US-Dollar pro Tag) von 1987 bis 1998 von 28 auf 24 Prozent gesunken, während die absolute Zahl der Armen gleich blieb. Diese Entwicklung kann sowohl positiv als auch negativ interpretiert werden. Denn in jenen Regionen des Südens, die zuletzt kein ausreichendes Wachstum erzielten, steigt die extreme Einkommensarmut absolut (siehe Grafik).

Doch spiegeln die Daten die Wirklichkeit? Laut Kanbur nicht unbedingt. Reine Einkommensdaten erfassen etwa den Wert öffentlicher Dienste nicht oder kaum. Gehen dem lokalen Gesundheitsposten die Medikamente aus oder kommt der Schulunterricht zum Erliegen, weil ein Lehrer sein Überleben anderweitig sichern muss, dann wird das von diesen Daten nicht erfasst.

Wie der Effekt einer Handelsöffnung auf die Armen beurteilt wird, hängt wiederum vom Zeithorizont ab: Während die „offizielle“ Seite laut Kanbur eher mittelfristig denkt, also an fünf bis zehn Jahre, konzentriere sich die Gegenseite sowohl auf kurzfristige wie auch langfristige Effekte. „Kurzfristige Anpassungsprobleme“ können Hundertausende ins Elend stürzen und sie zwingen, ihr Hab und Gut zu einem Spottpreis zu verkaufen; wer in Zeiträumen von 50 oder 100 Jahren denkt wie etwa Umweltorganisationen, stellt sich gegen jede Politik, die ein nicht nachhaltiges Wachstum befördert.

Am weitreichendsten sind wohl die Differenzen über die Marktstruktur: Hier geht die offizielle Seite, so Kanbur, von einem Marktmodell aus dem Lehrbuch aus und verteidigt es geradezu instinktiv: ein Markt mit Wettbewerb zwischen zahlreichen Akteuren, die wechselseitig keine Marktmacht aufeinander ausüben. Doch nur dann sind positive Effekte von Handelsöffnung und Konkurrenz wahrscheinlich. Die Gegenseite wiederum sieht Marktstrukturen, die von wenigen mächtigen Konzernen oder Akteuren mit Monopolstellung bestimmt werden – mit vorhersagbaren negativen Effekten.

Die Realität solcher Marktstrukturen ist einer der vielleicht wichtigsten Gründe für die Opposition gegen die aktuelle Globalisierung: Sie wird als Ausweitung von verzerrten, „anstößigen“ Märkten wahrgenommen. Je extremer die möglichen Ergebnisse des Markts, je größer die Distanz zwischen einem Marktakteur und jenen, die die Folgen seines Handelns tragen, und je höher die Ungleichheit in den Marktbeziehungen, desto eher wird das Operieren eines Markts Anstoß erregen, wie Kanbur in einer anderen Arbeit formuliert. Und solche Charakteristiken lassen sich nicht nur für die Märkte für Waffen, Giftmüll, Kinderarbeit oder den Organhandel, sondern auch für Märkte für kurzfristiges Kapital oder die internationalen Schuldenmärkte nachweisen – siehe die Folgen der Asienkrise oder die unbezahlbare Schuldenlast der ärmsten Länder. Es gibt keine nachvollziehbare Begründung für die Durchsetzung solcher Märkte, es sei denn, man profitiert davon. Das ist auch ein Grund, warum der Dialog so schwierig ist.

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