Ka schöne Leich

Von Robert Poth · · 2003/06

Das internationale Staateninsolvenzverfahren, Marke IWF, wurde sang- und klanglos entsorgt. Das Thema ist damit aber genauso wenig vom Tisch wie das Überschuldungsproblem.

Selbst wenn es ein Begräbnis gegeben hätte, viele Trauergäste wären kaum gekommen: Die Rede ist von jenem Staateninsolvenzverfahren, das vom Internationalen Währungsfonds (IWF) seit Ende 2001 geplant und nun offiziell „abgeschossen“ wurde – vom US-Finanzministerium bei der Frühjahrstagung von Weltbank und IWF Mitte April. Die Einführung eines „Sovereign Debt Restructuring Mechanism“ (SDRM), so der offizielle Name des Vorschlags, sei „derzeit nicht machbar“, hieß es lakonisch. Nicht nur der private Finanzsektor in Gestalt des Institute of International Finance (IIF) begrüßte erwartungsgemäß das Ende der „radikalen Pläne“ des IWF. Auch betroffene Regierungen wie etwa jene Brasiliens konnten der Idee wenig abgewinnen. Misstrauen gegenüber den Absichten des IWF spielte dabei ebenso eine Rolle wie behauptete oder tatsächliche Sorgen, ein SDRM könnte zu höheren Kapitalkosten bzw. zu einer weiteren „Rationierung“ von Kapital für Schwellenländer führen.
Kaum Tränen weinen auch die in der Schuldenfrage aktiven NGOs dem Vorschlag nach, obwohl der IWF-Initiative anfangs etwa von Erlassjahr Deutschland „enormes Potenzial“ zugeschrieben wurde. Denn das Konzept war vom IWF zu sehr verwässert worden – abgesehen davon, dass der SDRM bloß Probleme mit und von Anleihenbesitzern untereinander lösen sollte und nur wenige Entwicklungsländer betroffen hätte.

Mit einem Verfahren ähnlich dem nach „Chapter 9“ des US-Konkursrechts für Gebietskörperschaften, das zuerst vom österreichischen Ökonomen Kunibert Raffer als Modell vorgeschlagen wurde, hatte er jedenfalls nichts mehr gemein. Um nur drei wesentliche Unterschiede zu nennen: Weder war eine unabhängige Entscheidungsinstanz (Richter oder Schiedsrichter) vorgesehen noch ein Anhörungsrecht für VertreterInnen der betroffenen Bevölkerung, und auch wäre nicht die Gesamtheit der Verbindlichkeiten erfasst worden, ganz zu schweigen von jenen gegenüber den Internationalen Finanzinstitutionen (IFIs).
Statt des SDRM sollen nun so genannte „Collective Action“-Klauseln in Anleiheverträgen (CACs) Koordinationsprobleme auf Gläubigerseite beseitigen und zukünftige Umschuldungen beschleunigen. Und die CACs machen derzeit Schule: Im Februar emittierte Mexiko Anleihen im Nennwert von einer Mrd. US-Dollar mit derartigen Klauseln, Ende April gab Brasilien ähnliche Anleihen im selben Gesamtwert aus. Und Uruguay, am Rande der Zahlungsunfähigkeit, bietet in- und ausländischen Gläubigern einen Austausch von Schuldtiteln von mehr als fünf Mrd. Dollar gegen neue, ebenfalls CAC-bewehrte Anleihen. Der Elan sei so groß, dass diese Klauseln wahrscheinlich „Standard“ würden, heißt es aus der Branche.

An der Überschuldung zahlloser Entwicklungsländer werden die CACs jedoch wenig ändern, ebensolches gilt für den bereits zwangsweise nachgebesserten Schuldenerlass für hochverschuldete arme Länder (HIPC) der IFIs oder die Schuldennachlässe des Pariser Klubs der offiziellen Gläubiger. Proben aufs Exempel wird es in nächster Zeit genügend geben: Die Verhandlungen über die argentinischen Staatsschulden stehen noch aus, und der Erfolg des Schuldentauschs von Uruguay wird bezweifelt. Michael Mussa vom Washingtoner Institute for International Economics gibt dem Geschäft bloß eine 50%-Chance, die Zahlungsprobleme Montevideos auf Dauer zu lösen. Ecuador halte sich bloß „mittels einer umweltzerstörenden Ölpipeline durch ein Erdbebengebiet“ zahlungsfähig, meint Jürgen Kaiser von Erlassjahr Deutschland; weitere Kandidaten wären Brasilien, Nigeria oder Indonesien. Die Regierung des von der Asienkrise schwer getroffenen Landes musste zur Rekapitalisierung des Bankensystems im Rahmen eines IWF-Programms umgerechnet rund 60 Mrd. US-Dollar aufnehmen, die ab Anfang 2004 fällig werden, und wird dann laut Kaiser „technisch zahlungsunfähig“ sein.

Ein gerechtes Staateninsolvenzverfahren, ob rechtlich verankert oder als Ad-hoc-Verfahren, wird daher auf der internationalen Tagesordnung bleiben. Anfang April schloss sich als zweites Parlament der Welt nach dem deutschen Bundestag das Andenparlament (Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Peru, Venezuela) einer entsprechenden Forderung an. Und selbst die USA sorgten dafür, dass die Debatte über die Rechtmäßigkeit von Gläubigerforderungen und so genannte „anrüchige“ Schulden wieder angefacht wurde – mit der Forderung nach einem weitgehenden Schuldenerlass für den Irak. „Das Haupthindernis ist der Unwillen der offiziellen Gläubiger, ihre diktatorische Macht über Schuldner zugunsten einer ökonomisch effizienten Lösung aufzugeben, welche die Menschenrechte bewahrt und rechtsstaatliche Grundsätze respektiert“, diagnostiziert Kunibert Raffer. Dem ist nur mit entsprechendem politischen Lobbying beizukommen.


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